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Nach Beinahe-Terroranschlag: Warum radikalisieren sich Jugendliche?

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In Offenbach wurden drei mutmaßliche Anhänger der IS festgenommen.
In Offenbach wurden drei mutmaßliche Anhänger der IS festgenommen. © Swen Pförtner/dpa

Nach den vereitelten mutmaßlichen Terroranschlägen in Offenbach erklärt nun ein Experte, wie es dazu kommt, dass sich Jugendliche radikalisieren.

Offenbach – "Oftmals ist Religion nur eine Maske, ein Rechtfertigungsgrund", berichtet Hakan Çelik über seine Arbeit beim Violence Prevention Network (VPN).

"Aber dahinter stehen manchmal ganz andere Gründe, die sozialen Umstände der Menschen spielen eine ganz wichtige Rolle", fährt er fort und zieht als Beispiele für ein Abdriften junger Menschen in die Hände islamistischer Fundamentalisten die Erfahrung von rassistischer Diskriminierung, häuslicher Gewalt oder Stress in der Schule heran.

Offenbach: Experte nennt Gründe für Radikalisierung von Jugendlichen

In der Arbeit des VPN ist es wichtig, darauf zu achten, wie und aus welchen Gründen Jugendliche und junge Erwachsene sich radikalisieren. Die konkreten Gründe dafür seien zwar immer individuell und der jeweilige kulturelle, familiäre und persönliche Hintergrund sowie das Milieu, in der die jeweilige Person sich bewegt, müsse stets berücksichtigt werden. Doch "gewisse Muster", so der Offenbacher Islamwissenschaftler Çelik, gebe es dennoch.

Dies könne etwa ein Rückzug aus Freundeskreisen oder die Abkehr von der Familie sein. Aber auch ein Wandel von einer ehemals lebensfrohen und kommunikativen, hin zu einer stark vereinzelten und in sich gekehrten Persönlichkeit stelle ein Alarmzeichen dar. "Häufig bekommen Eltern gar nicht mehr mit, was bei ihren Kindern los ist und was sie so bewegt", beschreibt er diesen Entfremdungsprozess.

Vereitelte Terroranschläge in Offenbach: Jugendliche oft verletzlich

Die meisten Klienten, mit denen VPN arbeitet, sind zwischen 15 und 24 Jahre alt. Junge Menschen, die sich entweder in der Pubertät befinden oder in einer anderen Umbruchphase ihres Lebens, in welcher sie viele Entscheidungen treffen müssen. "Da passiert einfach unheimlich viel in deren Leben, manche kommen gut damit klar, andere nicht."

Und genau um diese anderen, die sich in ihrer Verletzbarkeit und Unsicherheit allein gelassen fühlen und sich via Internet oder Bezugspersonen aus dem Umfeld verführen lassen und sich zu radikalisieren beginnen, sind Gegenstand der alltäglichen Arbeit des Netzwerks. Die Beratungsstelle richtet sich sowohl an Jugendliche, Eltern und Fachpersonal, denen Maßnahmen der Prävention als Antwort auf die allgemeine Hilflosigkeit im Umgang mit religiös begründetem Extremismus angeboten werden.

Offenbach bietet Hilfe für Jugendliche an

Neben der wöchentlichen Sprechstunde im Stadtteilbüro Mathildenviertel, bietet die Offenbacher Außenstelle auch eine telefonischen Hotline an. "Zudem sind wir sehr mobil. Wenn es Gesprächsbedarf gibt, fahren wir auch zu den Familien nach Hause oder treffen uns an einem neutralen Ort", erläutert Çelik.

Die Arbeit mit den Klienten lässt sich grob in zwei Ebenen einteilen. "Auf der kognitiven ist es eigentlich gar nicht so schwer, weil man da einfach mit Argumenten kommen und diskutieren kann", berichtet er. Weitaus schwieriger gestalte sich die emotionale Ebene. "Viele der jungen Menschen fühlen sich sehr verletzbar und es fehlt ihnen an der notwendigen Resilienz, also der psychischen Widerstandskraft, auch schwierige Lebenssituationen und Krisen zu überstehen." Daher stellt die Beziehungsarbeit einen elementaren Bestandteil der Prävention dar: "Bindung kommt vor Bildung, lautet unser Credo."

Extremfälle in Offenbach: Wann der Experte abbrechen muss

Dennoch gäbe es auch Fälle, wo die Arbeit abgebrochen werden müsste. Etwa wenn die Klienten sich bereits derart stark radikalisiert hätten, dass eine Selbst- oder Fremdgefährdung nicht ausgeschlossen werden könne. "Aber da haben wir auch einen guten Austausch mit den Sicherheitsbehörden, dass da nichts Schlimmeres passiert", versichert er.

Bedeutend sei ebenfalls, nicht immer auf die Defizite zu schauen, sondern auch die Stärken der Klienten zu fördern. Schließlich sollen den jungen Menschen Handlungsstrategien aufgezeigt werden, wie sie mit krisenhaften Situationen umgehen und Frustration im Alltag entgegenwirken können. Denn "Abschottung und Diffamierung bringen überhaupt nichts und führen nur zu einem weiteren Rückzug und dem Denken in Parallelwelten", ist sich Hakan Çelik sicher.

Nach vereitelten Terroranschlägen in Offenbach: Nicht pauschalisieren

Daher sei es wichtig, nicht zu pauschalisieren und mit dem Finger auf bestimmte Gruppen zu zeigen und diese als alleinige Verursacher verantwortlich zu machen. Statt einseitiger Beschuldigungen setzt er daher auf gemeinsame Diskussion der Problemlage. "Für mich ist das ein Dauerdialog, der die ganze Gesellschaft und auch alle Bürger dieser Stadt betrifft und bei dem man nicht aufgeben darf", schließt Çelik.

VON JOEL SCHMIDT

Nachdem die drei mutmaßlichen IS-Anhänger in Offenbach festgenommen wurden, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nun ein Versprechen abgegeben.

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