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Alchemist aus dem Nordend

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Von: Ronny Paul

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Als eins mit seiner mystischen Kunst zeigt sich Ruben Talberg.
Als eins mit seiner mystischen Kunst zeigt sich Ruben Talberg. © Gries

Wer eigentlich ist Ruben Talberg? Ist er ein unbequemer Gesellschaftskritiker, den manche links liegen lassen, ist er ein Performer, der sich als „Gesamtkunstwerk“ vermittelt, oder ist er gar ein in Offenbach viel zu wenig beachteter Künstler von internationalem Format?

Offenbach – Beim Besuch in seinem wie aus der Zeit gefallenen Atelierhaus im Nordend, seit zehn Jahren seine Galerie und sein Museum, trifft man auf einen zuvorkommenden, jung-dynamisch wirkenden 57-jährigen Deutsch-Israeli mit guten Manieren und keineswegs stromlinienförmigen Ansichten.

Vom ersten Blickkontakt an möchte er Erwartungen des Gegenübers nicht enttäuschen. Das gelingt ihm spielend beim ersten Gang durch seine „Factory“, eine frühere Schreinerei mit Industriefenstern, einer steilen Treppe zum Büro und einer gastfreundlichen Bar. Die lichtreiche Aura dieser Räume setzt Talbergs farbstarke, expressive Faltenskulpturen, die „Manifolds“, gekonnt in Szene. Was man vor sich hat, ist keine Pop Art, keine Protestkunst, keine Postmoderne und keine Antikunst. Talbergs skurrile, zuweilen auch suggestive Kunst vollführt eine Gratwanderung zwischen Formfindung und -auflösung, die sich in keine Kunst-Schublade stecken lässt. Im tänzerischen Spiel zwischen dem Außen der Galerie und dem Innen der abstrahierten Figuren drückt sich auch Archaisches aus, das der Künstler von Alten Hochkulturen kennt.
Beim Erklären seiner Kunst tut sich der Nietzsche-Verehrer („Also sprach Zarathustra“) mit der Zehnkämpferstatur nicht immer leicht, obwohl er in Heidelberg geboren und in der Bundesrepublik aufgewachsen ist. Er ist frankophil und teilt sein Leben zwischen Offenbach und Südfrankreich auf. Seine Sozialkritik lässt jedoch nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: „Meine Kunst reflektiert auch Oberflächlichkeit einer selbstverliebten Gesellschaft, in der reines Schubladendenken vorherrscht. Der Betrachter meiner Ausstellung wird auf sich selbst zurückgeworfen – und beginnt zu ahnen, dass er jegliche politische oder soziale Utopie verloren hat. Ob Kunst- oder Kapitalmarkt – in einer Gesellschaft, in der sich Gehorsam nicht mittels offener Gewalt durchsetzen lässt, betreiben intellektuelle Handlanger der Märkte und selbsternannte Experten das Spiel organisierter Bevormundung und Indoktrination.“ Das ist starker Tobak von 2013, der kaum an Aktualität verloren habe, meint Talberg.

Der Freigeist weiß jedoch Offenbacher Offenheit zu schätzen und fühlt sich hier recht wohl: „Ich kann gut arbeiten in dieser Stadt mit ihren harten Kontrasten und ihrer Ehrlichkeit.“ Als er von Frankfurt aus nach geeigneten Räumen suchte, fand er im Nordend diesen „geschützten Raum“ für seine Kunst: „Die Gründung meines Museums 2011 war keine Geheimaktion. Es kamen viele, darunter auch OB Schneider, und waren angetan. Dieses Interesse ließ dann nach, vielleicht weil ich niemanden gefragt hatte, ob ich hier mein Museum betreiben darf. Inzwischen kennen mich hier zu wenige, das möchte ich ändern.“ Die mangelnde Zuwendung der städtischen Gesellschaft trifft ihn, er gesteht: „Die Manifolds sind meine Babys, zumal ich keine Kinder habe.“ Talbergs Kunst hat ihre eigene Magie: „Ich bin Mystiker und Alchemist, forme oft aus dem Nichts und aus Gebrauchsmaterialien, die manche eher als Haufen Dreck ansehen.“ Als Inspiration nimmt er auch mal einen Klodeckel, aus dessen Form er Wundersames macht in seinem „Opus magnum“. Mischtechnik kann man den materiellen Vorgang benennen, in den auch Knochen, Stahl und Ton einmodelliert werden. Die emporstrebenden, verschlungenen oder spiralig in den Raum wachsenden Formen mit dem mannigfaltigen Faltenwurf basieren auf einer Vision, die Talberg vor gut 30 Jahren im italienischen Bellagio hatte. „888, meine Manifolds-Produktion wird zu Lebzeiten auf diese Zahl begrenzt sein. Das ist meine Glückszahl“, lässt er sich nicht in die Karten schauen, „in meinem Atelier findet oft über Monate ein zwölfstufiger alchemistischer Prozess statt, eine Art Auto-Rotation, in der Material und Energie von Manifold zu Manifold wandert, bis sich herauskristallisiert, um was es sich handelt. Die Skulpturen entwickeln Strahlkraft und Energie, die sich potenziert.“

Schaut man sich die Produkte der künstlerischen Alchemistenküche an – Talbergs Werke besitzen weltweit mehr als 200 Kunstsammler – so lässt sich das beschriebene energetische Wachstum nachvollziehen. In Kontrast zu den oft biomorphen Raumgebilden steht deren intensiv schimmernde oder leuchtende Lackhaut, die sich abwechselt mit stumpfem Grünspan archaisch geformter Bronzegüsse. Ein eigenes Thema sind Talbergs golden und rot leuchtende, kreisrunde Tondo-Reliefs. All das ist laut Talberg „Transformation von Gegensätzen: Festes wird flüssig, Hartes weich, Dunkles hell.“ Seine Kunst hat mit Kult im alten Sinne zu tun. Auch deshalb scheut Talberg kommerzielle Galerien, empfängt aber gerne Kunstfreunde aller Art. Einen Besuch ist sein Museum an der Ludwigstr. 151 HH, allemal wert, auch zur Retrospektive ab 15. Dezember (bis Sommer 2022). (Reinhold Gries)

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