S-Bahn steht über 90 Minuten auf freier Strecke: Fahrgäste bringen sich selbst in Lebensgefahr

Eine S-Bahn stoppt bei Offenbach auf freier Strecke. Die Fahrgäste öffnen nach mehr als 90 Minuten die Türen einfach selbst. Doch das ist streng verboten.
Offenbach – Die Situation könnte einem bösen Traum entspringen. Die S-Bahn stoppt bei Offenbach plötzlich auf offener Strecke. Dann steigt die Temperatur in den Waggons. Was tun? Aufwachen? Blöd nur, dass es kein Traum ist. . . Auch wenn es sich aus dem Bürostuhl heraus einfach sagen lässt: Ruhe bewahren und auf keinen Fall aussteigen.
„Defekte S-Bahn im Tunnel stoppt Bahnverkehr“, „Leitungsdefekt stoppt S-Bahn“, „Sturmholz stoppt S-Bahn“... Es kommt gar nicht so selten vor, dass ein Zug unvorhergesehen zum Halt gezwungen ist. So auch die S2 von Dietzenbach nach Niedernhausen am Mittwoch gegen 17 Uhr. „Der Zug hielt etwa einen Kilometer südlich vom Bahnhof Bieber auf freier Strecke. Zeitnah die Info des Zugführers: Problem mit Stellwerk in Offenbach-Ost“, schildert ein Leser die Ausgangslage.
S-Bahn des RMV stoppt bei Offenbach: Keine Informationen für Fahrgäste
Die folgenden Ereignisse und Überlegungen im Zeitraffer: Info des Zugführers um 18 Uhr – Einsatzleitung überlege, ob man den Zug evakuiere. Ein Fahrgast versucht unterdessen, via Internet Informationen über die Störung zu bekommen – erfolglos. Einer kontaktiert die RMV-Hotline. Auskunft: Soll sich an DB-Hotline wenden; nach 20 Minuten in deren Warteschlange gibt er auf. Eine Mitreisende entdeckt Sprechanlage zum Zugführer, klagt, dass austreten müsse, er möge die Türen aufmachen. Antwort des Zugführers: Das könne er nicht.
Dann entwächst eine Diskussion unter den Festsitzenden: Wenn das Stellwerk ausgefallen ist, kann kein anderer Zug auf dem Gegengleis fahren. Also könnte man ohne Risiko die Türen öffnen. Gegen 18.40 Uhr fällt die Entscheidung: „Wir öffnen die Tür per Notentriegelung und helfen uns gegenseitig beim Aussteigen aufs Schotterbett. Vorher haben wir den Zugführer über die Sprechanlage informiert. Einige Reisende bleiben im Waggon.“ Über einen Feldweg geht’s nach Bieber, dort zum Ostendplatz. Ein Quartett nimmt ein Taxi nach Frankfurt. Unser Leser wird von seiner Frau mit dem Auto abgeholt.
S-Bahn des RMV hält bei Offenbach an: Einfach Aussteigen ist lebensgefährlich
Bleibt die eine Frage, ob die Fahrgäste alles richtig gemacht haben. „Das Aussteigen auf freier Strecke ohne entsprechende vorherige Anweisung des Betriebspersonals kann lebensgefährlich sein und ist daher nicht gestattet“, sagt Vanessa Rehermann, Sprecherin des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV). Zu weiteren Punkten des konkreten Falls (unser Leser dürfte ein Déjà-vu erleben) verweist sie an die Bahn.
„Eine Störung wie die gestern, bei der ein Zug auf freier Strecke liegen bleibt, ist natürlich sehr ärgerlich für die Fahrgäste.“ Die Bahn-Sprecherin kann Ungeduld und Ärger gut verstehen: „Wir entschuldigen uns bei allen Fahrgästen für die durch den Vorfall entstandenen Unannehmlichkeiten.“ Sie betont aber: „Auf freier Strecke eigenmächtig auszusteigen, ist lebensgefährlicher Leichtsinn und streng verboten.“ Selbstverständlich können auch bei einer Stellwerksstörung Züge auf der Strecke unterwegs sein, „die auf Signal oder Befehl fahren.“
S-Bahn hält bei Offenbach: Lokführer darf niemanden aussteigen lassen
Der Lokführer dürfe niemanden aussteigen lassen. „Muss ein Zug evakuiert werden, geschieht das durch unseren Notdienst, der auch in diesem Fall alarmiert wurde.“ Steigen Fahrgäste auf freier Strecke eigenmächtig aus, sei das nicht nur ein gefährlicher Eingriff in den Bahnbetrieb, es verzögere die Weiterfahrt des Zuges noch mehr, „da dann zunächst alle Gleise gesperrt und abgesucht werden müssen, um sicherzustellen, dass sich niemand mehr im Gleisbereich aufhält.“ (Von Martin Kuhn)
Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich vor rund einem halben Jahr in einer S-Bahn zwischen Offenbach und Heusenstamm: Menschen waren stundenlang in der S-Bahn gefangen. Schließlich wussten sie sich nicht mehr anders zu helfen und funktionierten die 1. Klasse zur Toilette um.