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„Viele haben Klischees in Kopf“: Kreishandwerksmeister Dennis Kern sieht Handwerk nicht genug geschätzt

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Von: Joshua Bär

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Wünscht sich mehr Anerkennung für Handwerksberufe: Dennis Kern ist selbst Inhaber eines Energie- und Heizungstechnikbetriebes in Dreieich.
Wünscht sich mehr Anerkennung für Handwerksberufe: Dennis Kern ist selbst Inhaber eines Energie- und Heizungstechnikbetriebes in Dreieich. © p

Offenbach – Der Obertshausener Dennis Kern ist neuer Kreishandwerksmeister für die Stadt und den Kreis Offenbach und vertritt künftig die Interessen der Handwerkerschaft in der Region. Im Gespräch erläutert der Installateur- und Heizungsbaumeister, warum der Wirtschaftszweig bei jungen Menschen noch immer einen schweren Stand hat, wieso auch Handwerksbetriebe schnelles Internet benötigen und wie sich der Ukraine-Krieg auf die Unternehmen auswirkt.

Herr Kern, welche Probleme treiben die Betriebe aktuell um?

Zunächst haben fast alle Handwerksbetriebe ein massives Problem, Nachwuchs zu gewinnen. Da würde ich mir wünschen, dass die Politik, aber auch die Gesellschaft in Schulen oder auch bei den Arbeitsagenturen mehr den Fokus auf uns richten. Wir stehen demografisch schlecht da. Viele Betriebe könnten in den nächsten Jahren schließen, weil die Inhaber niemanden finden, der sie weiterführt.

Das Handwerk hat teilweise noch immer einen schlechten Ruf

Dennis Kern

Wieso ist es für das Handwerk so schwierig, junge Menschen zu begeistern?

Das Handwerk hat teilweise immer noch einen schlechten Ruf. Viele Menschen haben nach wie vor die Klischees im Kopf, dass Handwerker unpünktlich und immer dreckig sind oder nur Menschen mit einem Hauptschulabschluss diese Berufe ausüben. Dabei ist das gar nicht mehr unsere Hauptzielgruppe. Wir brauchen die Menschen mit Realschulabschluss oder Abitur, denn der Beruf ist heute viel anspruchsvoller, die Anforderungen sind gewachsen. Es ist nicht mehr nur stupides Arbeiten, Handwerker haben heute ein ganz anderes Anforderungsprofil.

Wie hat sich das Anforderungsprofil verändert?

Durch die Anforderungen der Kunden, die Produktvielfalt und die unendlichen Möglichkeiten. Die Digitalisierung ist im Handwerk längst angekommen und ist in unseren Produkten verbaut oder wird ein Hilfsmittel in der Dienstleistung. Dies gilt es zu verstehen, zu bedienen oder zu installieren.

Welche Rolle spielt dabei schnelles Internet?

Das ist der zweite Punkt. Auch da haben viele kleine Betriebe Probleme, weil sie – anders als große Unternehmen – den benötigten Breitbandanschluss nicht bekommen. Viele Handwerker arbeiten intern nicht mehr nur mit Stift und Papier, auch dort geht es darum, die digitalen Abläufe, wie Rechnungsein- und ausgänge oder Materialbestellungen, Beratung, Auftragsbearbeitung und Anlagenüberwachung oder Steuerung, zu optimieren. Da sind die Betriebe auf gute Technik angewiesen. Denn das spart einfach Zeit. Wir brauchen aber nicht nur schnelles Internet, auch die Mobilität muss sich ändern.

Die Preise sind teilweise um das Vier- oder Fünffache gestiegen 

Dennis Kern

Inwiefern?

Da geht es um die Verkehrsinfrastruktur – vor allem in den Städten. Für Handwerker ist es schwierig, Termine einzuhalten, weil sie in Städten wie Offenbach oder Frankfurt schlecht vorankommen. Und sie finden inzwischen kaum Parkplätze. Dazu ist der Parkausweis für Handwerker viel zu teuer und auf fünf Fahrzeuge, die zudem beschriftet sein müssen, beschränkt. Da müssen die Kriterien endlich abgeschwächt werden. Er muss einfacher zu bekommen und zu benutzen sein. Und er muss günstiger werden. Ansonsten ist es durchaus möglich, dass Unternehmen sich überlegen, ob es sich überhaupt noch für sie lohnt, Aufträge in der Stadt anzunehmen. Denn dass ein Handwerker mit der Straßenbahn auf die Baustelle fährt oder außerhalb parkt und sein Material mit dem Lastenrad zum Auftrag fährt, ist jenseits aller Vorstellungen.

Vielen Betrieben fehlt es derzeit an Material. Dazu kommen steigende Energiepreise durch den Ukraine-Krieg. Welche Auswirkungen spüren die Handwerksunternehmen?

Die Preise sind teilweise um das Vier- oder Fünffache gestiegen, viele Händler geben keine Liefergarantien mehr ab oder liefern nur Komponenten. Das bedeutet für die Betriebe einen riesigen organisatorischen Aufwand. Sie müssen ja nicht nur schauen, wo sie die Bauteile herbekommen, sondern diese auch frühzeitig besorgen, damit sie nicht ohne dastehen. Denn die Auftragsbücher sind bei fast allen voll.

Welches Material fehlt den Handwerken besonders?

Halbleiter. In fast allen Geräten, egal ob in Heizungen, Kühlschranken oder Backöfen, sind elektronische Chips. Das geht so weit, dass Betriebe Aufträge nicht beenden oder gar annehmen können, weil die entsprechenden Geräte fehlen. Zudem ist es kaum möglich, genaue Liefertermine oder Festpreise auszumachen. Da ist viel Kommunikation mit dem Kunden wichtig. Manche haben dafür Verständnis, aber leider nicht alle.

Da spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle. Wie wichtig wird sie künftig im Handwerk sein?

Nachhaltigkeit und auch Energie spielen natürlich eine wichtige Rolle. Die Betriebe werden nachhaltiger mit Baumaterialien oder den Werkzeugen umgehen müssen. Jeder muss eine Lösung für sich finden, seine Mitarbeit klimaschonender von A nach B zu bringen. Wenn wir über die Energiewende reden, ist das Handwerk aber auch der Wirtschaftszweig, der diese bauen wird. Das gilt für Gebäude, Heizungen wie für Windräder. Daher ist eines klar: Das Handwerk ist ein zukunftssicherer Beruf, denn dort kann nicht alles mit Robotik gelöst werden. Jeder Auftrag ist individuell, da kann ich nicht alles von Maschinen erledigen lassen. Im Handwerk wird auch weiterhin mit der Hand angepackt.

Das Gespräch führte Joshua Bär

Zur Person

Dennis Kern ist am 24. Januar 1982 in Frankfurt geboren. Zwischen 1999 und 2003 absolvierte der in Rodgau aufgewachsene Kern eine Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur bei der Dettki Bad und Heizung GmbH in Dietzenbach. 2007 legte er erfolgreich seine Meisterprüfung ab. 2011 gründete Kern sein eigenes Unternehmen in Dreieich. Seit dem 16. März ist er neuer Kreishandwerksmeister. (jb)

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