Party für Geimpfte und Genesene: Robert Johnson feiert Comeback

Die Corona-Pandemie ist noch nicht überwunden, aber im Robert Johnson in Offenbach wird wieder getanzt. In den Club durfte jedoch nicht jeder.
Offenbach - Langersehnte Wiedereröffnung: Nach 20-monatiger Schließung lud der Offenbacher Club Robert Johnson zur Party unter 2G-Bedingung: Geimpfte und Genesene feierten bis in den Morgen ohne Abstand, ohne Maske. Die Warteschlange war lang, die Dancefloors voll. Tanzwut statt Virusangst – eine nächtliche Reportage.
Offenbach - Der Organismus quetscht sich durch die geöffnete Glastür. Mit einem Herzschlag aus Bass, dunkel und diesig, nach Schweiß und Kaugummi riechend, lässt er zwei zappelnde Körper frei, die sich auf der Terrasse des Robert Johnson Zigaretten anzünden. In die eine Richtung der Blick auf die Europäische Zentralbank und die lichtverschmutzte Skyline von Frankfurt, zur anderen Seite liegt, irgendwo in der Ferne, die Dunkelheit über dem Main. Dazwischen: Glanz auf den Gesichtern, angepitchte Stimmen. „Wie geil ist das denn?“, japst eine.
Wiedereröffnung trotz Corona: Offenbacher Club Robert Johnson lässt nur Genese und Geimpfte zu
Nach 20 Monaten pandemiebedingter Schließung hat das Robert Johnson am Freitagabend seine Wiedereröffnung gefeiert. Unter 2G-Bedingung: eine geschlossene Gesellschaft aus Geimpften und Genesenen. Kontrolliert wird am Einlass systematisch und gut organisiert: erst der digitale Impfpass, dann das Häkchen beim Check-in, danach das obligatorische Abtasten nach unerlaubten Gegenständen. Ob trotz Impfung jemand das Corona-Virus mitschleppt, kann man nicht sagen. Abwegig ist’s bei den steigenden Fallzahlen nicht.

„Sucht euch mal ‘nen Schnaps aus, Leute“, ruft Ata Macias vom DJ-Pult in Richtung Bar. Gegen 23.30 Uhr hatte er mit zügigem, aber nicht eiligem Schritt den noch leeren Raum des Robert Johnson betreten, seinen schwarzen Jute-Beutel auf das Mischpult gelegt, an ein paar Knöpfen gedreht und auf einem Display rumgedrückt. „Neue CD-Player“, sagt er. „Muss ich mich noch dran gewöhnen.“
Macias ist einer der Begründer und das Mastermind des Robert Johnson, das jetzt schon 22 Jahre auf dem Buckel hat. Auch an Macias sind die Jahre zumindest optisch nicht spurlos vorübergegangen. Mit dem grau melierten Rauschebart verkörpert er den Typ Urvater der Elektronischen Musik. „Ich hab’ Lampenfieber bis zum Arsch“, sagt er. „Aber als Künstler musst du das haben. Sonst bist du kein Künstler.“
Schlimme Ahnung: Der Offenbacher Club Robert Johnson könnte bald wieder schließen
„Was nimmst du denn?“, ruft die Barfrau zurück. Macias will Jägermeister. An der Theke stößt er mit dem Team an, darauf, dass es heute ein gelungener Abend werden wird. „Das ist so etwas wie Tradition.“, sagt der Mann in den Fünfzigern. An das Coronavirus will er heute Abend nicht denken, eher die Sorgen für ein paar Stunden beiseite schieben. Gerade hat er noch ein Abendessen mit einem Freund absagen müssen, der trotz Impfung positiv auf das Virus getestet worden war. Irre sei das.
Eine gesundheitliche Gefahr schließt die Politik für eine Großveranstaltung wie diese unter Einhaltung der 2G-Regel offenbar aus. Zumindest noch. Dass am Freitag (05.11.2021) die Zahl der mit Corona-Infizierten belegten Intensivbetten in Hessen die 200er Schwelle erreicht hat und am Montag neue, strengere Regeln verkündet werden, ist bei der Party kein Thema. Dennoch schwebt schon am Freitagabend eine Ahnung im Raum. Dass die Wiedereröffnungsfeier vielleicht gleich schon wieder eine Abschiedsparty sein könnte.
Club Robert Johnson: DJ und Gründer Ata Macias kann die erste Party kaum erwarten
Ata Macias wischt unsichtbare Staubkrümel vom Mischpult. Er ist in den vergangenen Monaten oft in den leeren Club gekommen; das Wasser anstellen, nach den Elektrogeräten gucken, saubermachen. „Wir haben die Anlage regelmäßig durchgepustet“, sagt er. „Sonst liegt da zu viel Staub drauf, dann gibt’s vielleicht einen Kurzschluss, und bei der Endstufe macht’s dann puff.“ Wird an diesem Abend aber nicht passieren.

Die monatelange Schließung sei eine „Katastrophe“ gewesen. Die Angst, dass der Club vielleicht nie wieder aufmachen könne, habe ihn umgetrieben. „Klar habe ich mir Sorgen gemacht. Das hier ist ja mein Baby“, sagt Macias.
Als selbstständiger DJ konnte er auch nicht auflegen; nicht in Bali, London, Barcelona, Japan, China, Frankreich, wie noch im Jahr 2019. Übrigens, sagt er; die Soforthilfe des Bundes für Soloselbstständige habe diese Jobs im Ausland nicht anerkannt. „Obwohl ich dafür in Deutschland Steuern gezahlt habe.“
Offenbach: Spendenkampagnen retteten das Robert Johnson durch die Corona-Pandemie
Statt Kunst also Club-Rettung. Kurz vor dem Lockdown war gerade eine zweite Tanzfläche im Erdgeschoss aufgemacht worden, was die finanzielle Situation nicht erleichterte. Es musste Geld aufgetrieben werden. Bei zwei Spendenaktionen konnten Fans Multiples und Editionen kaufen, darunter eine Anne-Imhof-Bomberjacke mit der Aufschrift „Faust“. Eine Hommage an die Zeit, in der die damalige Kunststudentin als Türsteherin im Robert Johnson jobbte.

Klaus Unkelbach, Geschäftsführer von Robert Johnson und dem gleich nebenanliegenden Club MTW, hatte außerdem eine Minderung der Pacht ausgehandelt. Dann kam eine Finanzhilfe der Stadt Offenbach, dann die Coronahilfe des Bundes, dann zwei Großspenden. Als die Veranstalter von Kulturevents im September 2021 selbst entscheiden konnten, ob sie nach 3G- oder nach 2G-Regelung öffnen wollten, stand fest: Das Robert Johnson geht wieder an den Start. Ohne Besucherlimit, ohne Maske, ohne Abstand. Alles wie früher. „Für uns war von Anfang an klar: Entweder wir dürfen wieder vollmachen, oder wir öffnen gar nicht“, sagt Macias.
Die letzten Checks am Pult, Macias dreht die Musik an, noch in verhaltender Lautstärke, lauscht konzentriert in die Kopfhörer. Eigentlich sollte es um 0 Uhr losgehen. Jetzt ist es schon kurz nach. „Ich werde der Tanzfläche solange in den Arsch treten, bis sie alle anfangen zu schreien“, sagt er mit ruhigem Gesichtsausdruck. „Und ich werde es auf die langsame, grausame Tour machen.“
Zur Wiedereröffnung des Robert Johnson kommen alte Bekannte nach Offenbach
Gegen 3 Uhr soll Dixon übernehmen. Der Berliner DJ, von der Fachwelt seit Jahren in die Kategorie der besten DJs der Welt gewählt, zählt seit den 90ern zu Macias’ Freundeskreis. Er gehörte auch bei der offiziellen Eröffnungsparty im Robert Johnson am 24. Juni 1999 zum Line-Up. Das war die Idee für das Re-Opening, erklärt Klaus Unkelbach. „Es soll eine symbolische Wiedergeburt werden.“ Und so wurde Dixon eingeladen. Wie früher.
Kurzer Rückblick: Anfang des Jahres 1999 suchte Unkelbach für den leer stehenden, ehemaligen Jugendraum des Rudervereins SG Wiking ein Konzept. „Da kam Heiner Blum, Professor für experimentelle Raumkonzepte an der Hochschule für Gestaltung, mit Ata an. Er hatte die Idee, diesen Club draus zu machen“, erzählt der Geschäftsführer. Wenige Monate später tanzte das Clubvolk in einem weißen, minimalistischen Raum in Galerie-Ästhetik. Keine Diskokugel, stattdessen ein einfacher Holzboden und eine Bar mit Anzeigentafeln wie am Flughafen.
Offenbacher Robert Johnson wird zum Fixpunkt der internationalen Elektro- und Technoszene
Über die Jahre gestalteten Künstler, darunter Carsten Fock, Tobias Rehberger und Michael Riedel, das Interior, es legten bekannte DJs auf wie Ricardo Villalobos oder der in Offenbach geborene und in den 90ern international bekannt gewordene Sven Väth. Das Robert Johnson wurde zu einer wichtigen Schnittstelle zwischen Kunst und Musik, zwischen Frankfurterinnen, Offenbachern und aus der Ferne angereisten Gästen, weit weg vom Alltag, in der Kapsel der Nacht – und gleichzeitig ein Fixpunkt einer internationalen Elektro- und Technoszene.

Kurz vor dem Einlass hat sich am Club eine Warteschlange gebildet. Etwa hundert Leute stehen da, begrüßen sich überschwänglich, fachsimpeln über die Robert-Johnson-Crew, stoßen mit Bier an. „Zwei Jahre ist es her, dass wir zum letzten Mal hier waren“, sagt ein Wartender. „Abartig.“
Jubel im Club: Endlich öffnet das Offenbacher Robert Johnson wieder seine Türen
„Wir machen jetzt auf!“ Ein Mitarbeiter läuft aufgeregt durch den Raum. Auf dem unteren Floor hatte schon Resident DJ Chinaski die Atmosphäre aufgewärmt. Dann geht die Tür auf. Menschen strömen herein, jubeln, strecken die Arme in die Luft. „Ata!“, ruft einer. Macias blickt nicht auf, sondern schraubt mit aufgestütztem Unterarm am Pult herum. Sphärische Töne hallen den Gästen entgegen, langsam mischt sich Beat darunter. Sein Pult wird von Menschen umzingelt. Über die Plexiglasscheiben, die ihn von der Menge trennen, begrüßt der DJ Bekannte. Küsschen hier, Umarmung da.
Dann treiben Rhythmen die Stimmung an, sie klingen wie rituelle Musik, elektrisch gefeatured, fremd und vertraut zugleich. Die Menge ist im Flow. Der Organismus wächst, ernährt sich von Hunderten zappelnden Körpern, an deren Herz Ata schraubt. Lebensdauer: Einige Stunden.
Vielleicht war es das dann wieder.
Vielleicht darf es aber auch weitergehen, möglicherweise unter 2G-plus-Bedingungen, etwa mit zusätzlichem Test für Geimpfte oder Genesene – falls die Veranstalter den Einlass dann personell noch stemmen können. Wie die Regeln in der Zukunft auch aussehen werden: Das Nachtwesen kann in der Stille ausharren – wenn es denn muss. Und es wird wieder leben können – wenn es darf. (Lisa Berins)