Mit den Augen der Außenseiter

Offenbach – Wenn Flötistin Katrin Szamatulski vom jungen Ensemble Broken Frames Syndicate spricht, hört es sich auch nach einer Kampfansage an. Die elf Mitglieder teilten die Leidenschaft für zeitgenössische Musik und hätten eine „wahnsinnige Freude“ am Zusammenspiel, sagt Szamatulski, die zugleich Projektmanagerin des Ensembles ist. Die Liebe zur Kunst sei aber nicht das Einzige, was die Musikerinnen und Musiker verbindet: Sie wollen den etablierten Strukturen des Klassik-Betriebs etwas entgegensetzen.
„Wir wollen unsere Werte auf die Bühne transportieren“, formuliert es Szamatulski. „Das hat nichts damit zu tun, dass wir auf einen Zug aufspringen, nur weil Diversität gerade hip ist. Rassismus und Sexismus sind Themen, mit denen wir uns vertieft auseinandersetzen.“
Offenbacher Ensemble: Starke Charaktere, die gut harmonieren
Das Broken Frames Syndicate gründete sich vor vier Jahren. Kennengelernt haben sich die Musikerinnen und Musiker bei einem Ein-Jahres-Förderprogramm der Internationalen Ensemble Modern Academy in Frankfurt. „Es war ein intensives Jahr, wir haben viel geprobt und sehr viel Zeit miteinander verbracht. Und direkt beim ersten Auftritt gab es diese gemeinsame Energie“, erinnert sich Szamatulski. „Wir sind alle starke Charaktere, und es ist ein Wunder, dass wir von Anfang an so gut zusammen funktionierten.“
Konzert und Party am 22. April 2022
Die Reihe „Misfits Gaze“ des Broken Frames Syndicate startet am 22. April um 19 Uhr in der Alten Seilerei, Offenbacher Landstraße 190, in Oberrad. Auf dem Programm stehen unter anderem Werke des Komponisten Jalalu-Kalvert Nelson. Danach legen DJs elektronische Musik auf, zu der getanzt werden kann. Tickets gibt es unter www.brokenframessyndicate.com. Eintritt: 10 bis 30 Euro. Von den Einnahmen wird die Organisation Musikenya unterstützt, die sich gegen Rassismus engagiert und in Kenia musikalische Bildungsarbeit leistet.
Am Ende des Jahres hatten elf der 15 Stipendiaten Lust, weiterzumachen, darunter der Dirigent aus Chile, der Pianist aus der Ukraine, der Komponist aus Südkorea, Instrumentalistinnen und Instrumentalisten ebenfalls aus Südkorea, aus Taiwan, Frankreich, den USA und Deutschland. Die Ende-20- bis Mitte-30-Jährigen arbeiten zurzeit freiberuflich auch für andere Ensembles und wohnen in Deutschland verstreut, kommen aber für Proben in der Region Frankfurt zusammen. „Unser Briefkasten, unser offizieller Sitz, ist in Offenbach“, sagt Szamatulski.
Das Broken Frames Syndicate will den „Rahmen sprengen“
Nach wie vor feile das junge Ensemble noch an seinem Profil. „Wir sind dabei, unsere Identität auszuarbeiten“, sagt Szamatulski, „es ist ein Prozess“. Der Name der Gruppe trägt von Beginn an eine Botschaft: Das Broken Frames Syndicate will aus dem „Rahmen brechen“. Intern hat es eine hierarchiefreie Struktur aufgebaut, in der alle Mitglieder gleichberechtigt sind und gleich bezahlt werden.
Ausbrechen – das bedeute, die Musik „aus ihren musealen und elitären Strukturen zu befreien und sie in einen neuen Kontext zu stellen“, sagt Szamatulski. Dazu gehöre auch, die alten Mechanismen der Klassikbranche zu hinterfragen, in der sich alles dem Maestro unterordne, in der Abhängigkeiten Karrieren bestimmen, männliche Netzwerke regieren, Dirigentinnen und Komponistinnen benachteiligt werden und in der nicht-weiße Künstlerinnen und Künstler es noch immer viel zu schwer haben.
In einer neuen Konzertreihe werden „Außenseiter“ des Klassikbetriebs in Szene gesetzt
Das Broken Frames Syndicate möchte die in der Szene benachteiligten Menschen ins Rampenlicht rücken. In einer Konzertreihe, die jetzt mit der „Neustart“-Hilfe des Landes Hessen möglich wurde, geht es um den „Blickwinkel des Außenseiters“ – wie der Titel „Misfits Gaze“ sagt. Den Auftakt am 22. April im Kulturzentrum Alte Seilerei in Frankfurt hat das Ensemble mit dem schwarzen, in der Schweiz lebenden US-amerikanischen Komponisten Jalalu-Kalvert Nelson konzipiert. An dem Abend werden drei von ihm komponierte Stücke gespielt, außerdem weitere Werke unter anderem der Komponistin Marisol Jimenez, deren Arbeit vom Leben mit indigenen Völkern Mexikos inspiriert ist, der indischen Komponistin Reena Esmail, die eine Brücke von hinduistischer zu klassischer Musik schlägt, sowie des Komponisten George Lewis. Nach dem Konzert legen DJs elektronische Musik auf.
Neue Proberäume in der Alten Seilerei in Frankfurt
„Es ist unser Frankfurt-Debüt“, sagt Szamatulski. Das Ensemble hatte in den vergangenen Jahren schon einige Auftritte, unter anderem an der Bauhaus-Universität in Weimar und bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik. Jetzt, nach den Lockdowns, möchte es richtig loslegen: Demnächst wird das Broken Frames Syndicate zu einem Festival nach Barcelona fahren und in der Naxos-Halle in Frankfurt spielen. Heimat soll die Stadt am Main bleiben: In der Alten Seilerei sollen bald Proberäume bezogen werden.
Szamatulski weiß, dass die Szene für zeitgenössische Musik nicht unbedingt die größte ist. Ihre Ziele klingen deshalb trotz großer Ideale eher bescheiden: „Mein Wunsch ist nicht unbedingt, dass wir berühmt werden, sondern dass wir uns treu bleiben“, sagt Szamatulski. „Schön wäre es natürlich auch, wenn wir bald angemessene, faire Gagen zahlen könnten.“