„Muss es Publikum nicht leicht machen“

Offenbach/Frankfurt - Als 2013 der Artspace Rheinmain am Offenbacher Hafen eröffnet, hat Jos Diegel eine Idee. In Anlehnung an einen Film der Ausstellungschefin Anja Czioska über die Kunstszene in Frankfurt („Rise Of The Underground“, 2009-2011) schnappt er sich seine 16-mm-Kamera und sieht sich fünf Jahre lang in Offenbach um. „Der Herbst des Untergrunds“ feiert morgen beim Lichter-Filmfestival Premiere. Eva-Maria Lill hat mit Diegel gesprochen.
Worum geht es in Ihrem Projekt?
Um Kultur- und Stadtentwicklung in Offenbach. Es ist ein experimenteller Dokumentarfilm, der nicht den Anspruch erhebt, etwas wirklichkeitsgetreu oder chronologisch zu rekonstruieren. Wichtiger, als den Film zu verstehen, ist ein atmosphärisches Ereignis, das Selbstverständlichkeiten und Sehgewohnheiten herausfordert.
Wie wollen Sie das erreichen?
Der Film ist eine Aneinanderreihung von Behauptungen. Dem Publikum muss ich es nicht leicht machen. Es ist nicht nötig, Dinge zu erzählen, die das emanzipierte Publikum bereits verstanden hat. „Der Herbst des Untergrunds“ ist ein diskrepantes Werk. Bild und Ton sind in Collagenform zusammengekommen und bedienen sich Herstellungs- und Erzählverfahren aus Dada, Surrealismus, Lettrismus und Situationismus.
Sie fordern vom Zuschauer, sich den Weg durch Ihren Film selbst zu suchen.
Richtig. Menschen hören und sehen eh nur, was sie wollen. Mein Film ist ein Angebot für eine Suche.
Sie stellen eine Reihe von Thesen auf, etwa: „Die Verbindung von Kreativität und Immobilie ist nicht zu leugnen.“ Was meinen Sie damit?
Wie der städtische Raum hat sich auch Kreativität in den letzten Jahrzehnten verändert. Im Namen der Kreativität werden viele Immobilien verkauft. Lebendige, kreative Straßen und ein entsprechendes Image des Viertels sind zentrale Argumente für Makler. Verdrängung ist nicht nur eine Frage von zu teuren Mieten, sondern auch von zu teuren Gewerbe-, Büro- und Atelierräumen. Zwischennutzung ist für Künstler häufig die einzige Möglichkeit, an Räume zu kommen.
Ist Kultur also ein Luxus, den sich die Stadt gönnt, oder braucht die Stadt Kultur zum Überleben?
Das kann man sich nicht aussuchen. Kultur ist keine Entscheidung, sondern logische Konsequenz gesellschaftlichen Zusammenlebens. Aussuchen können wir uns aber, welche Kultur wir leben.
Welche Kultur hat sich Offenbach ausgesucht? Sie scheinen da nicht sehr zufrieden ...
Das Projekt Artspace Rheinmain war sehr wichtig für die Stadt. Die Diskussion um eine neue Kunsthalle in Offenbach wurde nicht weitergeführt. Es gibt aber viele Initiativen aus dem Umfeld der Künstler. Etwa die Kunstansichten, die Akademie für interdisziplinäre Prozesse, den Waggon am Kulturgleis. Aber dem Film geht es nicht darum, Offenbach zur Verantwortung zu ziehen. Er will ein gesellschaftliches Phänomen bearbeiten.
Was müsste sich ändern?
Kritik an der Kreativität ist schwierig. Sie ist ja Teil dessen, was uns individuell macht. Fragen Sie mal jemanden, warum er oder sie kreativ ist, und die tollsten Antworten bekommen Sie. Keine Selbstverwirklichung ohne Selbstdisziplinierung, entweder Depression oder Spaß dabei. Das Leben als Künstler wird verherrlicht. Aber der Befehl „Sei kreativ!“ überfordert doch alle. Um so was wie Kreativität zu entwickeln, braucht es eine Lebensgrundlage. Am Mittwoch gab es beim Filmfest ein erstes Treffen zur Gründung einer Koalition der freien Szene für die Region. Das ist eine wichtige Initiative, um der Isolation entgegenzuwirken sowie eine gemeinsame Position zu formulieren und zu vertreten.
„Der Herbst des Untergrunds“, 30 Minuten lang, beim Lichter-Filmfest, morgen, 20 Uhr, im Filmklubb Offenbach, Isenburgring 36