Offenbach entscheidet über Partnerschaft mit russischem Orjol

Der Krieg in der Ukraine sorgt auch in Offenbach für Entsetzen und große Sorgen. Die Städtepartnerschaft mit Orjol soll aber bestehen bleiben.
Offenbach - Die Nachricht vom Angriff Russlands auf die Ukraine ist an den Mitgliedern des Klubs Offenbach-Orjol nicht spurlos vorübergegangen. „Ich habe sofort eine Nachricht an die Vorsitzende des russischen Partnervereins geschrieben“, sagt Werber Frei, Vorsitzender des rund 60 Personen zählenden Klubs. Eine Antwort steht aus, doch bestürzt ihn, dass schon in den Wochen zuvor die russischen Partner von der dortigen Propaganda überzeugt waren. „Sie glauben diese Lügengeschichten über einen Genozid in der Ukraine – das ist für uns schwer fassbar“, sagt er.
Seit 1988 besteht eine Städtepartnerschaft zwischen Offenbach und der russischen Universitätsstadt Orjol. Auf russischer Seite habe man es mit Universitätsdozenten und Lehrern zu tun, doch habe es in der Vergangenheit kaum kritische Worte gegenüber der eigenen Landespolitik gegeben. „Es heißt höchstens, dass es ja keinen anderen als Putin gäbe – das ist wirklich traurig.“ Seine Frau Tamara Bühler, die russischer Herkunft ist, hat viel mit Freunden dort gesprochen und kann das bestätigen: Die Leute wiederholten die Propaganda, die seit Jahren dort verbreitet werde – wenn das selbst bei Intellektuellen geschehe, sei das sehr bedenklich, sagt sie.
Offenbach: Partnerstadt Orjol eher provinziell ausgerichtet
In großen Zentren wie Moskau oder Sankt Petersburg gebe es auch kritische Stimmen bezüglich des Angriffs, doch Orjol sei eher provinziell ausgerichtet, Kritik gebe es praktisch keine. Hinzu komme, dass schon seit Jahrzehnten auf russischer Seite Unverständnis über die Ausrichtung der ehemaligen Sowjet-Republiken herrsche. „Viele Russen empfinden das Verhalten der anderen Staaten als undankbar, weil diese sich nach Westen ausrichten und nicht anerkennen, dass sie damals friedlich in die Eigenständigkeit entlassen wurden.“ Auf diesen Vorurteilen baue die Staatspropaganda auf. Frei betont, für den Freundeskreis aber gelte, dass man an der Basis trotz der politischen Ereignisse weiter Freunde bleiben wolle: „Das galt schon immer, dass wir uns aus der großen Politik heraushalten.“ Auch das Waisenhaus in Orjol werde weiter unterstützt.
Ähnliches gilt für die Haltung der Stadt: Oberbürgermeister Felix Schwenke verurteilt den Angriff auf die Ukraine, die Jumelage mit Orjol stehe aber nicht zur Debatte. „Die militärische Entscheidung wurde von der politischen Führung getroffen“, sagt Schwenke, „die Verbundenheit mit der russischen Partnerstadt gilt aber nicht der Politik, sondern den Menschen in Orjol. Bei allen unseren Städtepartnerschaften geht es immer darum, den Frieden in Europa zu erhalten, Misstrauen und Vorurteile zu überwinden und Gemeinsamkeiten durch den direkten Austausch der Menschen erlebbar zu machen“.
Offenbach: Oberbürgermeister Schwenke schreibt kritischen Brief an Partnerstadt Orjol
In einem persönlichen Brief an die Stadtspitze Orjols habe er den kriegerischen Akt scharf kritisiert, sagt Schwenke, gleichzeitig aber auch betont, dass man mit Blick auf die Völkerverständigung an der Partnerschaft festhalte. Der Dialog dürfe nicht abbrechen, mehr noch: Jeder, der Kontakte nach Orjol habe, solle diese nutzen, um die demokratischen Kräfte in Russland zu unterstützen, fordert Schwenke.
Auch von kirchlicher Seite wird zum Verzicht auf Gewalt aufgefordert: Für den evangelischen Stadtdekan Achim Knecht zielt der Angriff auf die demokratischen Kräfte der Ukraine. Viele Kirchengemeinden beteiligen sich an einem Friedensgeläut. Die Jugendorganisationen der demokratischen Parteien werden am heutigen Samstag eine Mahnwache als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine abhalten. (Frank Sommer)
Die russische Stadt Orjol ist nicht die einzige Partnerstadt von Offenbach.