Offenbacher Schiedsmann geht in letzte Amtszeit

„Wenn die Leute mehr miteinander statt übereinander reden würden, gäbe es viele Probleme gar nicht“ – diese Erkenntnis zieht Werner Frei nach rund 34 Jahren als Schiedsmann. Noch ein gutes halbes Jahr wird der 78-Jährige als Schlichter tätig sein, im August geht er in den Ruhestand. „Einen Nachfolger gibt es schon, der bereits eingearbeitet wird“, sagt er.
Offenbach - Dass Frei 16 Jahre für das Ordnungsamt gearbeitet hat, sei ihm für seine Schiedstätigkeit zugute gekommen. „Da wusste ich schon, wie mit Beschwerden umgehen“, sagt er und fügt schmunzelnd hinzu: „Ich bin Sternzeichen Wassermann und die sollen besonders harmoniebedürftig sein.“
Ob Nachbarschaftsstreit, Beziehungsprobleme, aber auch Körperverletzung oder Beleidigungen – vor Frei werden diese Angelegenheiten außergerichtlich geklärt. „Oder es wird versucht – eine Garantie, dass beide Seiten sich einigen, gibt es nicht.“ Oft wenden sich die Täter an ihn, um über den Täter-Opfer-Ausgleich einen Prozess zu umgehen. „Wichtig ist, dass die Gerichte durch die Arbeit der Schiedsämter entlastet werden“, sagt Frei. Außerdem sei die Verhandlung vor Frei günstiger als ein Prozess. „Ich versuche, die Kosten salomonisch aufzuteilen – und in drei Wochen ist bei mir jeder Fall erledigt.“
Im Schnitt werden 30 Fälle im Jahr vor dem Offenbacher Schiedsamt verhandelt, dazu kämen rund 70 „Tür-und-Angel-Fälle“, wie Frei sie nennt: Angelegenheiten, die mit einem Schreiben Freis rasch beendet sind. Etwa, wenn es um Kündigungen von Verträgen geht oder um dubiose Mahnungen von Inkassounternehmen. „Da werden die Leute auch schon mal bedroht – in solchen Fällen wendet man sich ans Schiedsamt.“
Oft seien es aber im Grunde Kleinigkeiten, die längere Zeit schwelten und dann eskalierten, über die er entscheiden müsste. „Nachbarschaftsstreitigkeiten, etwa ob und wie ein Baum geschnitten werden soll – wenn die Streitparteien dann bei mir im Raum sitzen, wird oft seit vielen Jahren erstmals miteinander gesprochen – und häufig findet sich dann eine Lösung.“ Ein Kompromiss, betont Frei, müsse beiden Seiten ein wenig weh tun, dann sei es ein guter Mittelweg: „So ist keine Seite der Sieger oder Verlierer.“
Tränen seien auch schon einige geflossen in seinem Verhandlungsraum, doch auf die gibt er nicht viel. „Es ist erstaunlich, wie viele Leute auf Knopfdruck weinen können, wenn es ihrer Sache dienlich scheint.“ Streitigkeiten unter Vereinsmitgliedern – oft Kleingärtner – seien ebenfalls häufig vertreten. In den vergangenen Jahren zudem vermehrt Beleidigungen im Internet. „Das muss aber ganz genau dokumentiert sein, sonst ist es sehr schwierig zu verhandeln.“
Manche Fälle aus fast dreieinhalb Jahrzehnten sind ihm noch lebendig im Gedächtnis. Etwa als eine ältere Dame mit geringem Einkommen zu ihm kam, da ihr ein Kundendienst mit einer Inkassofirma drohte. „Das haben wir dann vor Gericht gebracht – und der Fall wurde eingestellt.“ Manchmal machte das Umweltamt einen Strich durch Freis Schlichtung, etwa wenn es um das Fällen von Bäumen ging. „Beide Parteien einigten sich, dass wegen kleiner Kinder eine giftige Eibe auf dem Grundstück weg sollte, doch das Umweltamt war dagegen.“ In Erinnerung blieb ihm ein besonderer Fall von Undankbarkeit: „Eine Frau, die mit ihren Nachbarn im Streit lag, stürzte, ihr wurde von eben diesen Nachbarn geholfen – doch die Frau wollte sie weiter vor Gericht zerren. Das war ein Fall, den ich dann abgelehnt habe.“
Bedroht worden sei er auch schon, die Hemmschwelle dafür sei in den vergangenen Jahren spürbar gesunken. Doch meist kommt es zur Einigung: in 80 Prozent der Fälle aus dem bürgerlich-rechtlichen und in gut der Hälfte aus dem strafrechtlichen Bereich. „Oft ist schon damit geholfen, dass beide Seiten mal über ihr Anliegen reden und sie ihren Frust loswerden konnten.“
Mit knapp 140 000 Einwohnern ist der Schiedsbezirk Offenbach der größte in Deutschland – da die Stadt sich nur einen Schiedsmann leistet. „Frankfurt hat 19, Hanau vier. Selbst Neu-Isenburg hat zwei Schiedsleute“, sagt Frei.
Von Frank Sommer