Offenbacher Senefelder-Stiftung verleiht Kunstpreise

Die in Offenbach ansässige Internationale Senefelder-Stiftung (ISS) zur Förderung künstlerischer Lithographie hat zum Wettbewerb gerufen, und das Echo ist überwältigend: 134 Künstler aus annähernd 50 Ländern und fast allen Erdteilen haben sich um den Senefelder-Preis „ISS-Award 2020“ beworben. Eine fachkundige Jury hat die 32 besten Formate ausgewählt, die nun im Haus der Stadtgeschichte ausgestellt sind.
Offenbach - Gerhard Kilger, erfahrener Lithograph und 1. Vorsitzender der ISS, erklärt das Vorgehen der Jury, in der die Museumsleiter Jürgen Eichenauer (Haus der Stadtgeschichte) und Stefan Soltek (Klingspormuseum) mitentscheiden: „In der ersten Phase sichteten wir alle eingesandten Arbeiten virtuell. Die ausgewählten Drucke haben wir uns im Original zuschicken lassen, um die Preisträger zu ermitteln. Namen und Biografien waren uns nicht bekannt, damit wir vorurteilslos entscheiden konnten.“
Seit Sonntag findet man das Ergebnis des Wettbewerbs im Internet, laut Kuratorin Katja M. Schneider ist die virtuelle Ausstellungsbesichtigung sowohl auf der Website des Hauses der Stadtgeschichte als auch auf diversen sozialen Medien-Kanälen möglich. Das unterstreicht die Rolle Offenbachs und seiner Museen bei der Förderung der Lithographie, die ab 1800 dank Steindruck-Erfinder Aloys Senefelder von der Offenbacher Notenfabrique André aus ihren Siegeszug um die Welt begann.
Gerhard Kilger: „Gut dreieinhalb Jahrhunderte nach Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern ist Senefelder 1797/98 mit der Entdeckung des Steindruckes ein großer Wurf gelungen. Während die meisten Drucktechniken verschwunden sind, ist es verwunderlich, dass die Lithographie über 200 Jahre überlebt hat und nicht von neuen Drucktechniken verdrängt wurde.“
Welches Potential der heute weiterentwickelte - meist auf Metallplatten in diffizilen Vorgängen und raffinierten Mischformen gedruckte - Flachdruck hat, sieht man beispielhaft in der Preisträger-Schau. Kilger streicht die Sonderpreise heraus: „Der bretonische Maler Jacques Godin hat in ‘Die Stille des Eisbergs‘ eine großartige Metapher geschaffen, die vom Pariser Lithographen Jean-Michel Machet in höchster Qualität gedruckt wurde. Wenn Machet aufhört, wird es diese Qualität nicht mehr geben.“ Das an Caspar David Friedrich erinnernde Motiv, von Machet von Hand auf Polyesterfolie gezeichnet und auf Druckplatte belichtet, hält die Reise fest, die Godin 2018 mit dem Segelschiff zum Nordpol unternahm. Begeistert ist Kilger auch von der 24-jährigen Polin Katarzyna Tereszkiewicz, die beim Großformat „Time Loop II“ kein Druckpapier gebraucht hat. „Anastatische Übertragung“ nennt die Künstlerin das, was sie an verschiedenen Techniken, Druckfarbe und Eisenchlorid auf Offset-Aluminiumplatte übertragen hat. Die Platte selbst ist das Kunstwerk.
Den 3. Platz macht der 33-jährige Spanier Rafael Rodriguez Garcia, der in Belgiens Druckerparadies Antwerpen arbeitet. Der Künstler hat in „Encounter II“ nur auf einem Stein gearbeitet. Sein geheimnisvolles Porträt, das an Rembrandts Radierungen erinnert, bezieht verschiedene Zustände des mehrfach bearbeiteten und abgeschliffenen Kalksteins ein. Seine „Archäologie des Steins“ zeigt Spuren von Gravur, Asphalt-Technik, Tusche und Kreide, gedruckt in einer einzigen Farbschicht.
Zweitplatziert ist die 39-jährige Polin Magdalena Uchman für ihre Algraphie zum Geburtsjahr „1981“. Sie stellt ihre kleine Rückenansicht mit dem Titel „This is my movie“ ins Zentrum, umgeben von düster wirkendem Gewirr graffitiartiger Typographien, für die sie gekörntes Alublech benutzt hat. Ein beklemmendes Gefühlvermittelt sich unmittelbar.
Zehn Aluminium-Druckplatten hat der 43-jährige Thailänder Amnat Kongwaree für sein Meisterwerk gebraucht, das mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Er ist einer von fünf Thailändern unter den Besten und sagt: „Diese Technik ist einzigartig in meinem Land, sonst arbeiten wir eher in traditioneller Lithographie“.
Vor dunklem Hintergrund hat Kongwaree in „Parasitismus“ eine intellektuelle junge Frau dargestellt, die einen Kauz in der Hand hält – mit Reißzahn. Die ambivalente Kuckucksnest-Situation scheint durch. Der Künstler liefert dazu keine Interpretation, aber deutet in Symbolen Zustände des gegenwärtigen Thailand an – und das mit exzellenten malerischen Farbnuancen.
Auch andere Arbeiten sind preiswürdig, so die thailändischen Menschenbilder von Chilita Tantiwitkosol und Nuttakarn Vajasut, Kathrin Edwards’ feine Schablonendrucke, Ilko Koestlers Tusche-Kreide-Formationen, Volker Lehnerts „Mauerbild“ oder Oleg Mikhailovs dicht gedrängte Bilderwelt. Diese Kunst im Weltformat geht Offenbach nicht verloren, als Leihgabe der Senefelder-Stiftung verbleibt sie im Bernardbau. Einen virtuellen Besuch ist die facettenreiche Ausstellung in jedem Fall wert.
Infos im Internet unter haus-der-stadtgeschichte.de
Von Reinhold Gries