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Nach Gewalt gegen Rettungskräfte an Silvester: „Wir müssen mit den Jugendlichen reden“

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Von: Frank Sommer

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Wolfgang Malik gehört zu den Gründern des Boxclubs, eines anerkanntes Präventionsprojekts im Offenbacher Nordend.
Wolfgang Malik gehört zu den Gründern des Boxclubs, eines anerkanntes Präventionsprojekts im Offenbacher Nordend. © Sommer

Die Gewalttaten gegen Rettungskräfte zum Jahreswechsel haben die Republik aufgeschreckt. Offenbachs Boxclub-Präsident im Interview.

Offenbach - Der ehrenamtliche Stadtrat und Präsident des Boxclubs, Wolfgang Malik, will zur Versachlichung beitragen und hat für den 4. Februar Jugendliche sowie Vertreter von Polizei und Rettungsdiensten unter dem Titel „Ist das auch meine Demokratie?“ zur Diskussion geladen.

Herr Malik, wie kamen Sie zur Idee für die Gesprächsrunde?

Ich habe die Presse nach den Ausschreitungen verfolgt und mit Sorge gesehen, dass alle Jugendlichen mit Migrationshintergrund über einen Kamm geschert werden. Ich frage mich dann, was das mit den Jugendlichen macht. Deswegen habe ich gesagt, wir müssen mit den Jugendlichen reden, nicht über sie.

Es gibt ja zwei Extrempositionen: Einmal die ganz rechte, die alles über einen Kamm schert und dann ganz links, die am liebsten dazu schweigt.

Ich will natürlich nicht, dass man über Probleme schweigt – wir müssen Probleme benennen und über sie reden. Mit ist wichtig, dass wir mit den Jugendlichen sprechen, aber auch mit Polizisten oder Sanitätern, was solche Ausschreitungen mit ihnen machen. Unter den Sanitätern und Feuerwehrleuten sind Menschen, die sich freiwillig engagieren und die angegriffen werden. Die Frage ist auch, ob solche Angriffe ein neues Phänomen sind.

Als ehemaliger JUZ-Leiter und durch den Boxclub bekommen Sie eher mit, was Jugendliche dazu denken - welche Hintergründe gibt es?

Ich bekomme mit, dass es dabei unter Jugendlichen auch um die Themen Heimat und Verbundenheit geht. Wir haben einmal im Jugendzentrum Nordend ein Projekt gemacht und gefragt, was für die Jugendlichen Heimat ist. Nicht wenige haben gesagt, Heimat sei das Heimatland der Großeltern. Als wir fragten: „Seid ihr Deutsche?“, haben sie erst etwas abgewartet vor der Antwort. Aber als wir fragten, ob sie Offenbacher sind – das waren sie alle. Identität ist also eher lokal. Da müssen wir uns als Gesellschaft fragen, weshalb die Jugendlichen, die in dritter oder vierter Generation hier sind, sich nicht eindeutig zugehörig empfinden.

Das erinnert an viel ältere Debatten um Gastarbeiter...

Eigentlich haben wir uns doch weiterentwickelt von den ersten Debatten um Gastarbeiter damals: Da gab es lange das Sprachproblem, da man meinte, man müsse die deutsche Sprache nicht lernen, da man ja eh wieder zurückgeht in die alte Heimat. Und das ist auch heute teils noch problematisch, wenn sich bestimmte Gruppen ausschließlich in ihren Milieus bewegen.

Die Diskussion

Der ehrenamtliche Stadtrat Wolfgang Malik (Grüne) ist ein gefragter Experte, wenn es um Gewaltprävention geht. Der 64-jährige ehemalige Sozialarbeiter hat über Jahre im Jugendzentrum Nordend gearbeitet, er gehört zu den Gründern des Boxclubs, dessen Präsident er ist. Für Samstag, 4. Februar, hat er in den Räumlichkeiten des Boxclubs, Hafenallee 19, eine Diskussion zwischen Jugendlichen und Vertretern von Stadtpolizei, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Rettungsdiensten angesetzt. Beginn ist um 16 Uhr. Neben Malik leitet Hanif Aroji , Bildungsreferent der Bildungsstätte Anne Frank, die Gesprächsrunde.

Wie kann man dem begegnen?

Sowohl im JUZ wie im Boxclub versuchen wir, Stereotypen aufzubrechen und durch Besuche zum Nachdenken anzuregen. Wir waren etwa in der Völklinger Hütte, dort gibt es eine tolle Ausstellung zum Thema Gastarbeiter: Viele Jugendliche haben dort die Geschichte ihrer Großeltern und Eltern wiedererkannt. So kam dann die Frage auf: Ihr seid so lange hier und habt immer noch nicht das Gefühl dazuzugehören.

An dem Thema muss also beständig gearbeitet werden. In der Diskussion nach den Ausschreitungen ging es auch um fehlenden Respekt: Respekt ist etwas, das im Boxclub vermittelt wird, dass er anderen zu zollen ist.

Da gibt es immer eine Hol- und Bringschuld, Respekt gewähren und ihn erhalten. Als Gesellschaft müssen wir auch wissen, was zu tun ist, damit Jugendliche sich zugehörig fühlen. Leider hat die Corona-Pandemie viel kaputt gemacht, vieles an Förderung musste eingestellt werden. Es muss viel nachgeholt werden. Und klar ist auch, dass es nicht darum geht, dass die Jugendlichen sich anschließend die Deutschland-Fahne auf die Backe malen.

Kommen wir noch mal auf die Gewalt zu sprechen: Die gab es ja nicht nur in Berlin, auch in Dreieich wurden Feuerwehrleute angegriffen ...

Berlin ist nur der Aufhänger für die bundesweite Debatte, Gewalt gibt es nicht nur an Silvester gegenüber Rettungskräften. Ich habe mit dem THW und Rettungsdiensten gesprochen, die mir davon berichteten. Ich muss aber auch sagen, dass das in der Stadt Offenbach bisher kein großes Thema war – in meinen 42 Jahren in der Jugendarbeit ist mir das nicht begegnet. Im Gegenteil, die Jugendlichen haben sich immer gegen Gewalt gegen Rettungskräfte ausgesprochen. Sie wissen doch auch, dass sie selbst oder die Oma im Krankenwagen liegen könnten in der Situation. Es ist ja auch nicht cool, Rettungskräfte anzugreifen, es ist hinterhältig und feige. Ich bin früher auch auf Demonstrationen gewesen, etwa gegen die Startbahn West, das war schon anders.

Bei der Startbahn West war der Protest nach den Schüssen auf die Polizisten beendet ...

Da wurde mit der Gewalt eine rote Linie überschritten. Wer Gewalt ausübt, tut seinem Anliegen niemals einen Gefallen. Ich komme aus einer linken, gewerkschaftlichen Richtung, da hieß es immer: Wir arbeiten nicht wie die Faschisten!

Sehen Sie einen Mentalitätswandel? Bei jüngsten Demonstrationen, etwa in Lützerath, eskaliert es meist sofort.

Dort gab es ja einen guten Kompromiss, den muss man eben auch akzeptieren, das gehört zur Demokratie. Ich bin mir sicher, wenn man friedlich geblieben wäre, hätte man der Sache viel mehr gedient, da wäre die Zustimmung sehr viel größer. Aber ich muss auch sagen, mein Blick geht mehr auf Offenbach, auf Frankfurt...

Es gibt auch die Kritik an Gesprächsrunden, dass diese wenig bringen würden...

Ich habe vor Jahren, als in Offenbach Jugendliche über Kontrollen durch die Polizei klagten, einmal zur Diskussion von Jugendlichen mit Kommissar Michael Berkefeld geladen. Der konnte den Jugendlichen erklären, weshalb kontrolliert wird: Es gab ein Dealerei-Problem und wer sich eben an Orten, wo das geschieht, aufhält, muss mit Kontrollen rechen. Eine Kontrolle ist nie schön, aber die Jugendlichen haben verstanden, warum es geschieht. Die Situation hat sich dadurch entschärft. Die haben sich dann auf der Straße gegrüßt. Und die Polizei hat uns beim Boxclub unterstützt. Früher war ja die Zusammenarbeit von Sozialarbeit und Polizei verpönt – ich hatte ein Tabu gebrochen. Wichtig ist: Miteinander reden heißt nicht, dass man immer einer Meinung sein muss – Kontroversen gehört zur Demokratie. Das muss auch jeder aushalten, auch wenn es schwerfällt. Aber nur wenn man das Gespräch sucht, wenn man erklärt, warum man ist, wie man ist, entstehen Respekt und Wertschätzung.

Das Gespräch führte Frank Sommer.

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