Alles begann mit Puteaux
Offenbach - Nur langsam vernarbten die Wunden des Zweiten Weltkriegs. Um 1950 gab es in Europa durchaus noch Menschen, die sich weigerten, einem Deutschen die Hand zu reichen. Aber es gab auch schon andere, die für Versöhnung warben. Von Lothar R. Braun

In diesem Klima entstand vor 60 Jahren ein Ring von Partnerstädten, der Offenbach mit anderen europäischen Kommunen verband, In vielen Rathäusern entfachte das einen Aufbruch nach Europa. Das 1956 feierlich in Form gebrachte Unternehmen hatte viele Väter. Vor allem zu nennen sind der damalige Offenbacher Oberbürgermeister Hans Klüber und George Dardel, Bürgermeister der an Paris angrenzenden Stadt Puteaux. Sie hatten zueinander gefunden in der schon 1948 in der Schweiz gegründeten Internationalen Bürgermeister-Union. 1955 führte ihre Freundschaft schließlich zu einem förmlichen Partnerschaftsvertrag der beiden Städte. Dass daraus schon im folgenden Jahr mehr wurde, haben vornehmlich die Franzosen betrieben. 1956 war ein Ring gebildet, dem schließlich neun Städte angehörten: Offenbach und Puteaux, das luxemburgische Esch, das englische Tower Hamlets, das niederländische Tilburg, das belgische St. Gilles, das österreichische Mödling, das italienische Velletri und das jugoslawische Zemun.
Mit den meisten dieser Partner führte das zu einem lebhaften Austausch. Puteaux öffnete seine stadteigenen Ferienkolonien in der Bretagne und auf Korsika für Offenbacher Bürger. Esch bat Offenbacher Künstler um Ausstellungen. Chöre reisten nach Mödling. Jugendliche und Veteranen besuchten einander, Kulturvereine präsentierten sich, Sportler wetteiferten.
Der Straßburger Europarat honorierte den beispielgebenden Elan schon 1956 mit einer Auszeichnung für Offenbach und Puteaux. Dafür revanchierte sich Offenbach im April 1957 mit einer Europawoche. Sie bündelte Ausstellungen und Konzerte mit einem Festakt im Theater an der Goethestraße. Im Neubauviertel rund um den Lichtenplattenweg erhielt ein Grünzug den Namen Puteauxpromenade.
Jahrelang trat Offenbach im Partnerschaftsring als das aktivste Mitglied auf. Im Sommer 1975 war es Gastgeber für Delegationen aus allen beteiligten Städten. Im feierlicher Form erneuerten sie vor dem Isenburger Schloss das Gelübde von 1956.
Doch der Zusammenhalt lockerte sich. Bald nahm das belgische St. Gilles nur noch gelegentlich teil. Zemun schied aus, als es im Stadtverbund Belgrad aufgegangen war. Dem englischen Tower Hamlets ging, wie es hieß, das Geld aus. In aller Form erklärte das niederländische Tilburg seinen Austritt.
Noch funktionierten Bürgerreisen, aber als 1985 abermals in Offenbach international gefeiert wurde, gestaltete sich das vornehmlich als deutsch-französische Veranstaltung. Der Schwung von 1956 war ermattet. Eine mobile Generation ohne Kriegserinnerungen war mit veränderten Lebensgewohnheiten aufgewachsen. Hinzu kamen neue Partnerkommunen, an die 1956 noch nicht zu denken war.
1995 trat das ungarische Köszeg bei. Bereits 1983 hatte sich Offenbach mit dem fernen Kawagoe in Japan verschwistert. Über diesen Partner wissen normale Offenbacher so wenig wie über das chinesische Yangzhou. Zu diesen beiden Verschwisterungen führten lediglich wirtschaftliche Interessen. Seit 1988 ist Offenbach mit der russischen Stadt Orjol verschwistert. Den intensiven Austausch mit ihr pflegen zwei in beiden Städten aktive private Vereine. Ein privater Verein ist auch in der Beziehung mit Rivas im mittelamerikanischen Nicaragua tätig. Die Beziehung versteht sich als politisch geprägte Solidaritätsaktion.
Die letzte Partnerschaft, an deren Zustandekommen Kriegserinnerungen mitgewirkt haben, ist die zwischen Offenbach und Orjol, das dem alten Ring von 1956 nicht angehören konnte. Damals lag es noch in der Sowjetunion.