Radentscheid will Offenbach fahrradfreundlicher machen

Der Radentscheid ist eine Bürgerinitiative für bessere Fahrradinfrastruktur in Offenbach – überparteilich, vereinslos. Die Aktiven wollen sichere Radwege, bessere Luft, weniger Lärm, mehr Lebensqualität. Ihnen ist wichtig: Sie wollen das Auto nicht verdammen, aber auch Radlern und Fußgängern eine Chance geben, sich sicher in der Stadt zu bewegen.
Offenbach – Zum Pressegespräch kommen die Aktiven des Radentscheids selbstverständlich mit dem Fahrrad. Das Café Frieda bietet sich an – zentral gelegen, Abstellbügel vorhanden. Dieses Detail zeigt auch, dass sich Jochen Teichmann, Kai Kotzian und Harry Neß in der Verkehrsmaterie auskennen. Da sie ständig mit dem Velo unterwegs sind, kennen sie Stärken und Schwächen des lokalen Radwegenetzes. Sie wollen dabei - das betonen sie im Gespräch immer wieder - das Auto und seine Lenker nicht verdrängen. „Aber wir wollen das richtige Maß finden“, so Harry Neß. Heißt für die Radentscheider? „Ein Stück Flächengerechtigkeit...“
Was der Zusammenschluss möchte, haben die Aktiven in gut drei Monaten erarbeitet, diskutiert und beschlossen. Ab September gilt es, mittels 2800 Unterschriften einen Bürgerentscheid anzustoßen. „Wir wollen einen Beitrag leisten, damit die Kommunalpolitik, um im Bild zu bleiben, in den Sattel kommt“, formuliert Sprecher Jochen Teichmann. Das Team ist überzeugt, diese Unterschriften schnell zusammen zu bekommen. „Es ist der 35. Radentscheid in Deutschland. Nirgends hat es bislang an der ausreichenden Zahl von Unterschriften gemangelt.“
Das Hauptanliegen ist eine gerechtere Verteilung des Platzes. Bedeutet: Kraftfahrzeuge (egal ob fahrend oder stehend) haben überproportional viel Raum, Radfahrer und auch Fußgänger im Vergleich dazu wenig. Wer will, kontrolliert das mal in seinem Quartier. In dem Forderungskatalog steckt die Formel: mehr Radwege, mehr Nutzer. Und der „Geist des Papieres“ (Neß) sei auch ein gewichtiger Beitrag für ein verbessertes Stadtklima. Stichwort: Luftreinhalteplan. Das lenkt irgendwann den Block auf die Kosten. Kai Kotzian kennt dieses Argument, winkt aber ab: „Was wir fordern, steht in keiner Relation zu dem, was für Autos ausgegeben wird.“ Die Forderungen lauten unter anderem:
Leistungsfähiges Radwegenetz: Innerhalb eines Jahres wird für ein fahrradfreundliches Offenbach ein durchgängiger, engmaschiger Routennetzplan erstellt. Im Sinne der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen sollen alle Ausbaumaßnahmen so erfolgen, dass nach fünf Jahren 90 Prozent der Bevölkerung die Radhauptverbindungen in maximal 300 Meter erreichen. Die Übergänge zu auszuweisenden Radschnellstrecken innerhalb der Stadt und zwischen unterschiedlichen Städten in der Rhein-Main-Region sind sicherzustellen.
Sicherheit auf Haupt- und Nebenstraßen: Jährlich werden an Hauptverkehrsstraßen fünf Kilometer Radwege gebaut, die als Einrichtungsradwege mit 2,30 Meter Breite mindestens zwei Knotenpunkte lückenlos miteinander verbinden. Sie werden baulich vor dem Befahren, Halten und Parken durch Kfz geschützt. Dies geschieht ohne eine Flächenminderung für Fußgänger und ÖPNV. Um den Fahrradverkehr flüssiger und sicherer zu machen, sind Sperren abzubauen, Bordsteinkanten abzusenken und längere Ampelphasen für Fahrräder (grüne Welle) einzurichten.
Kreuzungen sicher gestalten: Im Verlauf der nächsten fünf Jahre ist von der Stadtverwaltung sukzessive darauf hinzuwirken, dass alle Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten baulich so umgestaltet werden, dass an ihnen Sichtbeziehungen für und auf den Radverkehr gegeben sind. Besonders an Kreuzungen sollen Autos und Lkw nur im rechten Winkel abbiegen können. Außerdem werden, wo sich Haupt- und Nebenstraßen kreuzen, für Fahrradfahrer jeweils Geh- und Radwege zum Überqueren der Nebenstraßen niveaugleich weitergeführt.
Die Mobilität verbessern: Zwei Fußgänger- und Fahrradbrücken sind mit der Stadt Frankfurt und dem Main-Kinzig-Kreis in die Planung zu nehmen: Isenburger Schloss / Fechenheim; Rumpenheim / Maintal. In der Stadt sind in zwei Jahren „Superblocks“ zu bilden, um in allen Stadtteilen mit enger Wohnbebauung durch Einbahnstraßen den Durchgangsverkehr und die Unfallgefahren für alle Verkehrsteilnehmer zu verringern.
„Superblocks“: Das Beispiel Barcelona
Auch das ist Barcelona: zu viel Verkehr, zu dichte Bebauung, zu starke Luftverschmutzung. Auf einen Einwohner Barcelonas kommen statistisch gesehen gerade mal 6,6 Quadratmeter Grünfläche. Zum Vergleich: In London sind es 27, in Amsterdam sogar 87,5. Doch Barcelona steuert gegen - mit Superblocks.
Bei diesen Superblocks (auf Katalanisch „Superilles“), werden bis zu neun Häuserblocks zusammengefasst. Innerhalb dieser Superblocks haben Fußgänger und Radfahrer Vorrang. Bei zweispurigen Straßen wird den Autos eine Spur weggenommen: Kinder können spielen, Anwohner auf neu errichteten Parkbänken Kaffee trinken und plaudern. Bedeutet: Die Straßen werden zum erweiterten Wohnzimmer.
Die Superblocks sind Herzstück eines 2016 von der Stadtverwaltung entwickelten Konzepts für nachhaltige Mobilität. Der erste Superblock entstand 2017 im Stadtviertel Poble Nou - anfangs noch gegen Widerstände von Geschäftsleuten und Autofahrern, doch mit großem Zuspruch der Anwohner. In den bis bisher gestalteten Superblocks, die im gesamten Stadtgebiet entstanden sind, ist das befürchtete Geschäftssterben ausgeblieben. Im Gegenteil: die Anzahl der lokalen Läden stieg sogar um 30 Prozent.
Insgesamt sollen 503 (!) Superblocks in Barcelona entstehen.
Weitere Informationen zum Radentscheid gibt es unter radentscheid-offenbach.de im Internet.
Von Martin Kuhn