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RAF-Kiosk in Offenbach soll abgerissen werden: Zwei Terroristen wurden dort verhaftet

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Von: Christian Reinartz

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Menschen passieren an einer Straße eine Trinkhalle.
Hier wurde deutsche Zeitgeschichte geschrieben: Hinter diesem Kiosk wurde 1972 die RAF-Terroristin Irmgard Möller festgenommen. © Reinartz

Fast 50 Jahre ist es nun her, als am Wasserhäuschen vor dem Stadtkrankenhaus in Offenbach zwei RAF-Terroristen verhaftet werden. Nun wird der berühmte Kiosk abgerissen.

Offenbach – Im Juli 1972 kommen die Gesichter der RAF nach Offenbach. Die Terroristen Irmgard Möller und Klaus Jünschke wollen sich am Wasserhäuschen vor dem Stadtkrankenhaus treffen. Aktionen planen. Was sie nicht ahnen: Die Polizei wartet dort schon. Jetzt, fast 50 Jahre später, droht der Abriss des geschichtsträchtigen Zeitungskiosks.

Es ist der Conny, der Irmgard Möller und Klaus Jünschke der Polizei ans Messer liefert. Conny, der eigentlich Hans-Peter Konieczny heißt und binnen kürzester Zeit den Zugang zum engsten Kreis der Baader-Meinhof-Gruppe gefunden hat. Als Drucker beschafft er den brutalen Staatsfeinden neue Pässe und Führerscheine. Doch die Fahnder kommen dem 19-Jährigen auf die Schliche, stellen ihn an seiner Arbeitsstelle. Schnell knickt Konieczny ein, ist bereit, seine RAF-Kollegen zu verraten, um einigermaßen heil aus der Sache rauszukommen.

Gemeinsam mit LKA-Chefermittler Günter Textor fährt er am 8. Juli 1972 nach Offenbach, wo er Möller und Jünschke vor dem Stadtkrankenhaus um halb zwei, halb drei oder halb vier treffen will. Der RAF-Krimi beginnt.

Offenbach: Geschichtsträchtigem Zeitungskiosks droht Abriss - RAF-Krimi am Wasserhäuschen

.  13.30 Uhr: Etwa 30 Polizisten in Zivil haben sich rund um den kleinen Zeitungskiosk mit angeschlossenem Blumenladen positioniert. Dort, an der Ecke Starkenburgring/Sprendlinger Landstraße werden sich gleich zwei der wichtigsten RAF-Köpfe der Baader-Meinhof-Gruppe treffen. Die Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt. Jede falsche Bewegung, jeder unvorsichtige Blick der Beobachter könnte die Terroristen warnen.

Foto von Irmgard Möller
Irmgard Möller © DPA

. 13.35 Uhr: Klaus Jünschke kommt mit dem Bus. Er steigt auf der anderen Straßenseite aus. Läuft mit einer schwarzen Aktenmappe im Arm über die Straße, blickt sich misstrauisch um, hat zwei Männer in einem Auto bemerkt. Konieczny will ihn beschwichtigen, schlägt vor, sich die beiden näher anzuschauen, um das Misstrauen zu zerstreuen.

Foto von Klaus Jünschke
Klaus Jünschke © DPA

.  13.36 Uhr: Die Einsatzleitung ist sicher, dass es sich tatsächlich um Jünschke handelt. Zugriff!

.  13.37 Uhr: Von allen Seiten stürmen Polizisten auf die Männer zu. Jünschke werden die Beine weggezogen. Die Polizisten schlagen ihm die Aktentasche aus der Hand. Sekunden später spürt er den Lauf von Günter Textors Waffe an seinem Hals.

.  13.38 Uhr: Jünschke und Konieczny werden in Handschellen abgeführt und auf die Polizeiwache gebracht.

.  gegen 13.50 Uhr: Konieczny werden die Handschellen abgenommen. Mit den Fahndern geht es wieder zum Kiosk. Das Treffen mit Irmgard Möller steht noch aus.

.  14.25 Uhr: Wieder alle auf Position.

.  14.30 Uhr: Konieczny wartet vor dem Kiosk. Möller kommt nicht. Die Einsatzkräfte beschließen abzuwarten.

.  15.30 Uhr: Schon wieder kommt Möller nicht.

RAF-Verhaftung an Kiosk in Offenbach: Dort wurde Zeitgeschichte geschrieben

.  gegen 15.40 Uhr: Textor gibt Konieczny ein Zeichen, dass er auf die Wache gehen soll. Als er um den Kiosk herumgeht, taucht Möller plötzlich auf. Sie ist verkleidet, konnte unerkannt an allen Polizisten vorbeimarschieren. Sie sucht in ihrem Portemonnaie, Konieczny läuft an ihr vorbei, raunt ihr eine Warnung zu. Doch anstatt einfach eine Zeitung zu kaufen, läuft Irmgard Möller ihm zwei Schritte hinterher, verrät sich damit. Zugriff. Sechs Polizisten gehen auf Möller los, ringen sie zu Boden. Ihre Waffe kann sie nicht mehr aus der Handtasche holen. Möller schreit „Ihr Schweine“, beißt und kratzt vergeblich. Die Terroristin ist endlich gefasst.

Mülltonnen stehen auf der Rückseite eines kleinen Häuschens.
An der Rückseite erfolgte seinerzeit der Zugriff © Reinartz

An diesem Tag wurde dort Zeitgeschichte geschrieben. Der Einsatz am Wasserhäuschen gilt als einer der bedeutendsten Fahndungserfolge gegen die Rote Armee Fraktion. Dennoch könnte der geschichsträchtige Kiosk schon bald dem Abrissbagger zum Opfer fallen. Denn die Stadt plant dort, eine Grünanlage anzulegen. Ausdrücklich heißt es aus dem Amt für Öffentlichkeitsarbeit: „Es steht noch nicht fest, ob der Kiosk bei der Umgestaltung erhalten bleibt.“ Für einen Abriss spricht auch, dass ein schon vor längerem eingebrachter Antrag der Linken zum Erhalt des Wasserhäuschens, von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt wurde.

Bekanntem Kiosk in Offenbach droht das Aus: „Gerade die alten Leute sprechen immer noch davon“

Dabei ist die Polizeiaktion bis heute Gesprächsthema. Die Redaktion hat mit der ehemaligen Besitzerin des Gebäudes, Renate Beyer, schon zum 40. Jahrestag über die Geschehnisse gesprochen. Sie betrieb darin einen Blumenladen. „Gerade die alten Leute sprechen immer noch davon, wenn sie bei mir Blumen kaufen“, sagte sie. Sie habe davon jedoch erst erfahren, als sie das Gebäude gekauft hatte. „Das ganze hat damals direkt hinter dem Kiosk stattgefunden“, sagte Beyer und deutete auf die Rückseite: „Dort haben sie die Möller geschnappt.“

Auch der schon am 17. Februar verstorbene Lothar Braun, damals Chefredakteur der Offenbach Post, erinnerte sich immer gut an die Festnahme: „Das hat hier eingeschlagen wie eine Bombe.“ Sofort habe man vor Ort recherchiert und einen Artikel mit der damaligen Pächterin veröffentlicht. „Dass so etwas in Offenbach passiert, war ja sehr außergewöhnlich.“

Für Linken-Fraktionschef Sven Malsy sind die möglichen Abrisspläne deshalb bis heute unverständlich. „Das ist ein geschichtsträchtiger Ort, der unbedingt erhalten werden sollte“, argumentiert er. „Man sollte dazu natürlich ein entsprechendes Schild aufstellen, damit den Menschen auch bewusst wird, dass dieses Wasserhäuschen ein bedeutender Ort der deutschen Zeitgeschichte ist.“ (Christian Reinartz)

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