Besondere Familientradition: Fähre schippert täglich über den Main

Seit rund 60 Jahren fährt die Mainfähre von einem bis zum anderen Ufer. Die Redaktion begleitet Schiffer Udo Dill bei seiner Arbeit.
Offenbach – Offenbach und der Main sind untrennbar miteinander verknüpft. Der Fluss und seine Ufer bieten neben Freizeitmöglichkeiten auch Arbeitsplätze. In loser Reihenfolge streift die Redaktion von Osten nach Westen und stellen verschiedene Orte und Personen am Main vor. Heute geht’s mit der Fähre von Rumpenheim nach Bischofsheim und zurück.
Sengende Hitze in der Mittagszeit, kaum Schatten, das Thermometer zeigt 31 Grad. Einzig der leichte Wind, der über den Main hinwegzieht, bringt ein wenig Abkühlung am Rumpenheimer Ufer. Max Weber aus Klingenberg sitzt in seinem Van, hört Radio und wartet auf die Mainfähre. Schweiß läuft dem Elektriker über die Stirn. Soeben hat er einen Auftrag in Rumpenheim erledigt, als Nächstes geht’s nach Rodenbach. Warum er auf die Fähre wartet? „Weil’s kürzer ist, das spart mir einen großen Umweg“, sagt Weber und startet den Motor.
Die Fähre hat angelegt. Hinter Weber warten noch zwei Fahrzeuge, sechs verlassen derweil den blauen Kahn. Udo Dill empfängt die Autos, weist ihnen per Handzeichen einen Platz auf der Fähre zu. Sind alle geparkt, löst er die Leinen. Udo Dill kehrt ans Steuerrad zurück und legt ab.
Frankfurt: „Die ist was ganz Besonderes“ – Menschen begeistert von Fähre auf Main
Wer glaubt, Dill sei eine „Wasserratte“, liegt falsch. „Im Urlaub zieht es mich in die Berge, Wasser habe ich im Beruf genug“, sagt er und lacht. Eine Gruppe Radfahrer wartet auf der Maintaler Seite und möchte übersetzen. Die Senioren touren auf dem Radweg 3. Nun geht’s entlang des Mains nach Frankfurt. Auf dem Rückweg wolle man wieder die Fähre nutzen, sagt einer der Radler, „die ist was ganz Besonderes“.
Die Hochseilfähre mit Motorantrieb ist vom Rumpenheimer Ufer nicht mehr wegzudenken – verbindet seit Jahrzehnten Maintal und Offenbach miteinander. Im kommenden Jahr ist sie 60 Jahre in Familienbesitz. Hans Dill, Vater der heutigen Inhaber Udo und Winfried Dill, kaufte das Vorgängerschiff in den 1960er Jahren der Stadt ab, die nicht gewillt war, den Kahn entsprechend neuer Auflagen umzurüsten. Das jetzige Fähren-Modell war einst an der Mosel im Einsatz und schippert seit 1970 über den Main, der aktuelle Fährkörper ist Baujahr 1952. Auch Mutter Gisela lenkte die Fähre zwischen den Ufern, Udo Dill machte mit Sondergenehmigung mit 19 Jahren bereits den Fährführerschein.

Er habe den Job seiner Familie wegen gewählt, hatte ursprünglich BWL studiert. Die Dills betreiben die Fähre komplett in Eigenregie. Subventionen bekommen sie nicht, zahlen alles aus eigener Tasche. Neben seinem Bruder gibt es einen weiteren Fährmann und Aushilfen im Team. „Wir beschäftigen viele, die stundenweise arbeiten.“ Darunter Schüler, Studenten und Rentner. Doch sei es immer schwieriger geworden, Leute zu finden.
Main-Überquerung mit der Fähre: „Man erlebt hier einiges“
Eine Aushilfe, die schon mehr als zwei Jahre dabei ist, ist Chantal Sanner. Die Erziehungswissenschaftstudentin im zweiten Semester ist zuständig für das Anlegetau und das Kassieren an Bord. Die junge Frau mag die Arbeit auf dem Kahn: „Man ist immer an der frischen Luft und kommt mit vielen unterschiedlichen Menschen in Kontakt.“ In der Tat sind in einer Stunde sehr viele verschiedene Kennzeichen zu sehen: GN, HA, OF, F, MTK, FB. Auch ein Schweizer wagt in seinem SUV die Überfahrt von Offenbach nach Maintal. Warum? „Mein Navi hat mich hierher geführt.“ Neben PKW, kleinen Transportern, Fahrradfahrern und vereinzelten Fußgängern sind es vor allem Handwerker, Hausmeisterservices, ein Post- und ein Polizeiauto, die während der Mittagszeit die Mainquerung nutzen.
„Man erlebt hier einiges.“ Er bekomme täglich ein Abbild der Gesellschaft vor Augen geführt: Die Fahrgäste seien mal hektisch, mal aggressiv, mal lieb, mal hysterisch. „Wie es im Leben halt so ist“, sagt Dill, lacht und legt ab. Ob ihm das tägliche Schippern zwischen den Ufern Spaß mache? „Was heißt Spaß?“, fragt er zurück. „Es ist ein Job – es gibt gute und schlechte Zeiten.“
Die Corona-Pandemie zählt gewiss zu den schlechteren Zeiten. Es gebe weniger Berufsverkehr, weil die Menschen teils immer noch im Homeoffice arbeiteten, vermutet er. Auch die Zeiten haben die Dills verkürzt, fahren abends nur noch bis 19 Uhr. „Nur vom Berufsverkehr können wir nicht leben“, sagt Udo Dill. „Jede Leerfahrt ist schlecht“, komme aber nicht so häufig vor. Mehrere Hundert Autos bringe er täglich von Ufer zu Ufer – natürlich abhängig vom Wetter. „Wenn das schlecht ist, haben wir weniger Umsatz.“ Eigentlich fahren die Dills bei Wind und Wetter. Einzig bei Extremwetter und Hochwasser bleibt die Fähre am Ufer verzurrt.

60 Jahre Familientradition: Wie es mit der Main-Fähre weitergeht, ist ungewiss
Wie lange er das noch macht, steht in den Sternen. Udo Dill ist 65, sein Bruder Winfried fünf Jahre jünger, beide fahren – wenn sie denn nicht im Urlaub sind – an sieben Tagen die Woche, tägliche jeweils zwei Schichten von drei bis vier Stunden. Sein Ziel sei es, auf jeden Fall noch bis 2026 die Fähre zu betreiben, betont er, denn bis dahin gilt die Fahrerlaubnis. „Dann ist die Frage, wie viel Geld müssten wir investieren.“ Und man wisse nie, wie sich der Straßenverkehr entwickle. Die Familientradition fortführen werden die Kinder der beiden wohl nicht, die haben andere Pläne. Einen Fährmann zu finden, ist nicht leicht, das haben sie ein paar Flusskilometer aufwärts bei der Mainfähre zwischen Mühlheim und Dörnigheim schmerzlich erfahren.
Etwa fünf Minuten braucht die Fähre im Schnitt von Ufer zu Ufer. Die eigentliche Fahrt dauert nicht viel länger als eine Minute und ist trotz Inflation erschwinglich. Neben Mehrfachkarten bieten die Dills die Tickets trotz höherer Spritpreise („Das schlägt richtig rein.“) immer noch zu den selben Preisen an. Eine Einzelfahrt mit dem Auto kostet 1,50 Euro, Radfahrer zahlen 70 Cent. „Der Preis muss relativ niedrig sein“, weiß Dill, denn es gebe viele Menschen, die oft mit dem Kahn fahren. Er könne Umsatz nur über die Menge an Autos generieren, nicht über den Einzelpreis. „Wir sind eben keine Touristenfähre wie in Seligenstadt.“ (Ronny Paul)