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Suche nach PCB und dem Original

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Von: Frank Sommer

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Der Stadtverordnetensaal heute.
Auf der Suche nach Schadstoffen und Original-Farbe: Der Stadtverordnetensaal heute. © P

Auch der Landesdenkmalschutz will beim Offenbacher Stadtverordnetensaal mitreden

Offenbach – Das unter Denkmalschutz stehende Offenbacher Rathaus wurde bis 2020 saniert. Das ganze Rathaus? Nein, ausgerechnet das Herzstück, der Stadtverordnetensitzungssaal, ist noch nicht von Schadstoffen befreit. Die Stadtpolitik geht nicht davon aus, im Laufe des Jahres in das Rathaus zurückkehren zu können, die Sitzungen der Stadtverordneten werden bis auf Weiteres in der Stadthalle abgehalten.

Nach der Rathaus-Sanierung hätten die Stadtverordneten eigentlich in ihren Sitzungssaal zurückkehren sollen – doch dann kam die Corona-Pandemie, der Saal war täglicher Treffpunkt des Krisenstabs. Und dann gab es noch die Sache mit dem PCB: Polychlorierte Biphenyle wurden beim Rathaus-Bau einst großzügig genutzt und während der gesundheitsschädliche Stoff in anderen Räumlichkeiten unter teils großem Aufwand entsorgt wurde, war die Belastung im Stadtverordnetensaal unverändert hoch.

Und obwohl der Krisenstab längst ausgezogen ist, kann der Saal nicht genutzt werden: Nicht nur, dass immer noch an der Schadstoffsanierung gearbeitet wird, auch der Landesdenkmalschutz hat sich wegen der Modernisierung eingeschaltet. Doch dazu später.

Die Decke wurde zunächst als primäre Schadstoffquelle für die PCB-Belastung ausfindig gemacht und erneuert – insbesondere im Besucher- und Pressebereich, wie es von der Stadt heißt. Denn dort war die Belastung am höchsten. Doch immer noch war der Saal nicht PCB-frei, als weitere Schadstoffquellen wurden Wände oder Teppich ausgemacht.

Die Entfernung des PCB gestaltete sich alles andere als einfach. In anderen Sälen wurde mit unterschiedlichen Verfahren experimentiert. „Mit einer Lauge zu arbeiten, dauerte ewig – das war unpraktisch. Und als mit Wasser gearbeitet wurde, lief die Brühe durch das ganze Haus“, beschreibt ein Informant aus dem parlamentarischen Raum die Methoden. Ein Verfahren mit Trockeneis habe sich schließlich als praktikabel erwiesen.

Da die Messwerte jedoch immer noch zu hoch waren, geriet der Estrich ins Visier – das weckte wieder andere Begehrlichkeiten.

Denn unter den Füßen der Stadtverordneten waren Telefonkabel im Boden eingearbeitet. Als das Haus 1971 eröffnet wurde, hatte man sowohl dem Präsidium sowie der ersten Tischreihe Telefone spendiert – die wurden, alte Fotos aus den 1980er und 1990er Jahren beweisen es, lange genutzt. Wie sinnvoll es war, dass zwei Fraktionsvorsitzende, die nur eineinhalb Meter voneinander entfernt saßen, per Telefon miteinander kommunizierten, sei dahingestellt. Noch vor der Jahrtausendwende verschwanden diese von den Tischen.

Im Zuge der Sanierung aber ist der Wunsch aufgekommen, Elektroanschlüsse an sämtlichen Tischen für mobile Endgeräte zu installieren. Und dieses Vorhaben rief nicht etwa den städtischen, sondern den Landesdenkmalschutz auf den Plan. Denn durch die Verkabelung hätte der Boden ein klein wenig angehoben werden müssen, wie es heißt. Und während beim Isenburger Schloss der Landesdenkmalschutz der Zerstörung historischer Bausubstanz zwecks Einbau eines Aufzugs einst tatenlos zusah, wurde im Falle des Einbaus von Stromkabeln im Sitzungssaal des Rathauses nun das Veto eingelegt, wie wohlinformierte Kreise zu berichten wissen.

Da trifft es sich, dass  der Estrich demnächst entfernt werden muss – dadurch wird exakt so viel Platz gewonnen, dass zur Freude der Denkmalschützer durch das Verlegen der Stromkabel der Boden nicht angehoben werden muss. Im kommenden Monat sollen die Stadtverordneten der Verlegung der Stromkabel zustimmen.

Die Wiesbadener Denkmalschützer beschäftigen sich auch mit der Farbgebung. Der Saal soll nämlich so original wie möglich inszeniert werden und so gerieten Boden, Möblierung und Wandmalerei ins Blickfeld. Mit viel Aufwand wird seitdem versucht, die originale Farbgebung des Raums zu rekonstruieren. Auch bei unserer Zeitung wurde schon wegen alter Fotos angefragt. Doch auch wenn jüngere Leser es kaum glauben können: In den Jahren um 1971 wurden nur Schwarz-Weiß-Fotos in unserer Zeitung veröffentlicht, die Farbkleckse an der Betonwand des Raums lassen sich somit nicht bestimmen. Die Fotos zeigen jedoch, dass es einst helle Lederbestuhlung gab. Die wurde, wie es heißt, von der damals noch aktiven Lederwarenindustrie der Stadt gespendet.

Wie die Suche nach der Original-Bemalung ausgeht, ist offen, eine Untersuchung der Wandflächen ist geplant. Einen seriösen Fertigstellungstermin könne man derzeit nicht nennen, heißt es von der Stadt. Teuer wird es auf jeden Fall: Nach bisherigen Schätzungen kosten Schadstoffsanierung und Elektroverkabelung mehr als 650 000 Euro.

PCB steht für

Polychlorierte Biphenyle, die etwa als Kühlmittel oder zum Brandschutz genutzt wurden. Im menschlichen Körper reichert sich PCB im Fettgewebe an und kann zu Leber-, Milz- und Nierenschäden führen, außerdem besteht der Verdacht, dass der Stoff krebserregend ist.

Historische Aufnahme vom Sitzungssaal
Einst standen Telefone auf den vorderen Tischen.  © Privat

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