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Tote mussten Wachstum der Stadt weichen

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Von: Barbara Scholze

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Auch anhand eines Planes machte Michael Lenarz die Lage des früheren jüdischen Friedhofs deutlich, der 1709 am heutigen „Platz am Stellwerk“ entstand. Bereits wenige Jahrzehnte später musste der Friedhof erweitert werden. Später stand er der städtebaulichen Entwicklung im Weg.
Auch anhand eines Planes machte Michael Lenarz die Lage des früheren jüdischen Friedhofs deutlich, der 1709 am heutigen „Platz am Stellwerk“ entstand. Bereits wenige Jahrzehnte später musste der Friedhof erweitert werden. Später stand er der städtebaulichen Entwicklung im Weg. © scholze

Im Bereich um den „Platz am Stellwerk“ in Offenbach sollen Wohnungen entstehen. Dieses Vorhaben ist umstritten, da sich dort früher ein jüdischer Friedhof befand.

Offenbach – Es ist nicht nur ein geschichtsträchtiges, sondern vielmehr ein zum Teil hoch-kultisches Areal, das die Gemeinnützige Baugesellschaft Offenbach (GBO) aktuell in der Entwicklung hat. Rund um den „Platz am Stellwerk“ in der Bismarckstraße östlich des Hauptbahnhofes soll gemeinschaftliches Wohnen entstehen, erste Ergebnisse aus entsprechenden Wettbewerben liegen bereits vor.

Dass ein großer Teil des Gebietes als ehemaliger jüdischer Friedhof einen historisch sensiblen Untergrund hat, erläuterte Michael Lenarz, zweiter Vorsitzender der Max Dienemann/Salomon Formstecher Gesellschaft und stellvertretender Direktor des jüdischen Museums in Frankfurt, nun mit einem informativen Rundgang über das Gelände. Dieser war Teil der laufenden GBO-Präsentationen zu dem Bauvorhaben.

Offenbach bekam 1708/1709 jüdischen Friedhof

Es war in den Jahren 1708/09, als Graf Johann Philipp zu Ysenburg und Büdingen der jungen jüdischen Religionsgemeinde in Offenbach das Privileg erteilte, auch einen Friedhof anzulegen. „Im Jahr 1708 fand das erste Begräbnis statt, auch die Umlandgemeinden wie Sprendlingen und Dreieichenhain nutzten die Ruhestätte“, berichtete Lenarz. Bereits wenige Jahrzehnte später war allerdings der Bedarf in Offenbach so groß, dass das Begräbnisfeld bis zum Bahndamm erweitert werden musste.

Indes kollidierte der Friedhof bald mit der städtischen Entwicklung Offenbachs. „Ab 1830 begann ein Wachstum Richtung Süden“, so der Referent. Schon damals rückte das Schaffen von Wohnraum für die Lebenden vor die Möglichkeiten zur ewigen Ruhe, zudem sollte eine Eisenbahntrasse bessere Anbindungen schaffen.

Friedhof musste Areal für Offenbachs städtische Entwicklung abgeben

Erneut sollte die jüdische Gemeinde Grund abgeben. Dass sie heftig protestierte angesichts des Gedenkens an die Toten, das untrennbar mit einer dauerhaften Ruhestätte verknüpft ist, brachte keinen Erfolg. „Es blieb nichts übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und das Gelände zur Verfügung zu stellen“, schilderte Lenarz. 1872 musste die Gemeinde den südlichen Teil des Friedhofs abtreten, die Toten wurden exhumiert und die Gebeine auf den damals neuen, heute alten städtischen Friedhof gebracht.

„Leider haben wir keine genauen Angaben zu der Zahl der Toten, die damals umgebettet wurden, wir schätzen, dass es etwa 200 waren“, sagte der Vortragende. Die meisten Grabsteine seien mit auf die Reise in eine neue Ewigkeit gegangen, etwa 68 seien heute noch erhalten. Durchaus mit einer „gewissen Hektik“ hätten vor allem die großen und bekannten Familien der Gemeinde im Rahmen der Umbettungen Familiengräber angelegt.

1885/1886 mussten Tote innerhalb Offenbachs umgebettet werden

Aber der Streit um den Boden für die Toten sollte nicht lange ruhen. Die Groß-Hasenbach-Straße entstand und zunächst musste die Gemeinde einen Fußweg tolerieren. „Aber der Druck wurde zu groß und in den Jahren 1885/86 mussten anlässlich des Durchbruchs der Straße wieder Tote umgebettet werden“, erzählte Lenarz.

Die jüdische Ruhestätte war nun endgültig in zwei Teile zerschnitten, die jeweils mit Zäunen umgeben wurden. Nur 420 Grabstätten konnten verbleiben, dokumentiert sind sie dank der damaligen Arbeit des Kantors und Lehrers Abraham Vogel.

Zur Nazi-Zeit wurde den Juden das Gebiet in Offenbach komplett entzogen

Der Höhepunkt der erschreckenden Friedhofsgeschichte näherte sich jedoch, wie soll es anders sein, mit der Naziherrschaft. Im Jahr 1941 wurde die jüdische Religionsgemeinde gezwungen, das Friedhofsgelände komplett an die Stadt abzutreten. „Das war die letzte große Phase der Zerstörung“, stellte Lenarz fest. Das komplette Gebiet wurde eingeebnet, die Zäune abgerissen. Anstatt eines Ortes der Ruhe und des Gedenkens wurde das Areal zum Platz eines Hochbunkers als Schutz vor Kriegshandlungen. Ein kleines Stück des Grundstückes wandelte sich zu einem Mini-Park, der den Namen „Am alten Judenfriedhof“ trägt.

„So ist die Situation noch heute“, sagte der Referent beim Rundgang. Nun, da wieder gebaut werden soll, gelte es, genau zu überlegen, wie sich das Vorhaben gestalte. Trotz anderer Vorgaben seien im Rahmen des Gestaltungswettbewerbes Vorschläge zur Blockrandbebauungen eingereicht worden. „Das ist für uns ein No-Go“, betonte Lenarz. Aber der Prozess bleibe nun sicher spannend. (Barbara Scholze)

Auch für den Mainuferparkplatz in Offenbach soll es einen Gestaltungswettbewerb geben, um diesen in Zukunft noch kreativer nutzen zu können.

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