Traditionell am Puls der Zeit

Eins, zwei, Wiegeschritt – drei, vier und zu. Wer erinnert sich bei diesen Worten nicht zurück an seinen Tanzkurs, an diese besondere, aufregende Zeit zwischen erster Liebe und unbeholfenen Fußfolgen. Die meisten Offenbacher verbrachten sie in der Tanzschule Weiss. Die traditionsreiche Einrichtung feiert in diesem Jahr ihr 70. Jubiläum – und ist immer dran am Puls der Zeit.
Die älteren erinnern sich noch an den Gründer Wilhelm Weiss und seine Frau Jutta, die mittlere Generation eher an Annette Löw, die die Leitung der Tanzschule 1988 übernahm. 2016 wurde Larissa Bertsch zu ihrer Nachfolgerin, die zusammen mit ihrem Lebenspartner, dem Sänger und Tänzer Emanuel Austin, viel frischen Wind aufs Parkett gebracht hat. „Als moderne Tanzschule muss man sich breit aufstellen und Trends erkennen“, weiß die 36-Jährige: Vom Kindertanzkurs ab zwei Jahren bis hin zum Tanzen 65plus, von Salsa über Zumba bis Modern Dance. Mittlerweile besteht das Team aus rund 20 Mitarbeitern und Helfern, die Interessierten jeden Alters und Vorlieben, ob als Paaren oder einzeln, die ganze Welt des Tanzens nahebringen.
Die klassischen Schülerkurse gibt es natürlich noch, auch wenn ihre Zeiten als Kerngeschäft vorbei sind. „Früher ist im Grunde jeder Jugendliche in die Tanzschule gegangen, zumindest zum Anfängerkurs“, weiß Senior-Chefin Annette Löw, die heute noch im Erwachsenenbereich eifrig mitwirkt. Seit der Schulunterricht oftmals bis spät in den Nachmittag geht, habe man die Schülerkurse aufs Wochenende legen müssen. Auch sei die Tanzschul-Tradition in vielen Familien nicht mehr so verankert. Dafür bringen Kooperationen wie „Frühsport“ mit der Albert-Schweitzer-Schule oder AGs in der Schillerschule das Tanzen zu den Schülern. „Das hilft ungemein dabei, Berührungsängste abzubauen“, freut sich Bertsch.
Wer den Weg zur Tanzschule findet, dem wird nicht nur Freude an der Bewegung vermittelt, sondern auch – das war schon immer so – ein gutes Benehmen und respektvolles Miteinander. „Die Jugendlichen, die bei uns tanzen, sind immer höflich und nett“, lobt die Chefin. Dennoch steht ein Umgangsformenseminar als Ergänzung zum Schülerprogramm oben auf ihrer Agenda. „Aber natürlich ist alles viel lockerer als früher“, schaut Löw zurück, die noch die „alte Schule“ kennengelernt hat. Jeans und Turnschuhe beim Tanzkurs waren ausgeschlossen.
Feine Kleidung ist heute nur noch beim Abschlussball Pflicht, der zweimal im Jahr festlich begangen wird. Auch prominente Tänzer wie Motsi Mabuse, Erich Klann oder Evgeny Vinokurov waren dort schon zu Gast. Der Ball, im Sommer in der Kulturhalle Rödermark, im Winter in der Stadthalle Offenbach, ist der Höhepunkt zum Abschluss der Anfängerkurse. Die Debütanten zeigen vor Familie und Freunden, was sie gelernt haben – eingeleitet mit der festlichen Francaise. „Herr Weiss hatte noch eine Kapelle und Band extra für die Discorunde“, erinnert sich Löw. In dieser ist tänzerisches Austoben angesagt – ähnlich wie bei den Mittelpartys, die seit vielen Jahren in der Diskothek MTW gefeiert werden. „Wir machen auch Linedances, mischen Hip-Hop-Elemente mit rein, das macht allen viel Spaß“, erzählt Bertsch. Aber das Erlernen der Grundschritte der Standard- und Lateintänze steht – selbstverständlich – weiterhin an erster Stelle.
Doch all dies war in den vergangenen beiden Jahren kaum möglich. Corona hat der Tanzschule heftig zugesetzt. Erst 2017 ist sie in neue, großzügige Räume in der Hassia-Fabrik gezogen, um ihr Angebot erweitern zu können. „Dass dann so etwas passiert und wir teilweise komplett schließen mussten, konnte natürlich niemand ahnen“, so die Inhaberin. Anfangs habe man auf Video-Unterricht gesetzt, Livestreams angeboten, später waren Einzelstunden unter Auflagen möglich, nach und nach ging wieder mehr. „Aber wir sind noch lange nicht auf Vor-Corona-Niveau.“ Es gab viele Kündigungen, Beiträge wurden als Zeitguthaben gutgeschrieben. „Wir hoffen, dass es keine Einschränkungen mehr geben wird. Jetzt, wo die Energiekosten so steigen, kommt auch da noch einiges auf uns zu.“ Viel Einsparpotenzial sieht die Mutter einer einjährigen Tochter nicht: „Zum Glück müssen wir ohnehin nicht so viel heizen. Die Leute kommen ja her, um sich zu bewegen.“
Doch jetzt liegt der Fokus zunächst auf Erfreulichem: dem großen Jubiläumsball am Samstag, 3. Dezember, ab 19 Uhr in der Stadthalle. „Es ist eine Zusammenfassung der Jahrzehnte unseres Bestehens“, verrät Annette Löw, „mit tänzerischen Highlights wie Rock‘n‘Roll, der Discowelle, Grease, Dirty Dancing, Hip-Hop und vielem mehr.“ Auch sollen Ehepaare zu Gast sein, die sich in der Tanzschule kennengelernt haben. Denn nichts verbindet mehr als gemeinsames Tanzen...
Infos im Internet
tanzschule-weiss.de
