Kritik an Deutscher Post: Briefzusteller beklagt heftige Defizite

Ein Mitarbeiter der Deutschen Post aus Offenbach beschwert sich über seinen Arbeitgeber. Das Unternehmen verteidigt sein Handeln.
Offenbach – Mindestens so alt wie die Privatisierung der einstigen Bundespost sind die Klagen über nachlassenden Service. Die heutige Aktiengesellschaft kontert gern mit ihrer Statistik. Demnach wird meist das selbst gesetzte Ziel erreicht, mehr als 90 Prozent der Sendungen einen Werktag nach dem Aufgeben ans Ziel zu bringen. Geht es nach einem langjährigen Offenbacher Briefzusteller, grenzt das an ein Wunder. Sein Arbeitgeber, die Deutsche Post, kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen.
Persönliche Qualitätserfahrung ist oft eine andere als die betriebliche Sichtweise. 2019 gingen bei der Bundesnetzagentur 18 209 schriftliche Beschwerden ein, dreimal so viele wie 2017. Adressat für örtliche Klagen über Zustelldefizite ist traditionsgemäß auch unsere Zeitung. Aber gegenwärtig spiegelt sich die bundesweite Steigerung nicht im regionalen Beschwerdeaufkommen. Im Gegenteil: Seit einer Flut von Beanstandungen, teils über die Vernachlässigung ganzer Bezirke, in den Jahren 2016 und 2017 ist es vergleichsweise ruhig geworden. Entweder hat die Post sich gesteigert, oder die Kunden sind inzwischen milder gestimmt.
Offenbach: Mitarbeiter bei der Post klagt über unmotivierendes Betriebsklima
Nun will ein langjähriger Mitarbeiter des Briefverteilzentrums 63 an der Sprendlinger Landstraße an die Öffentlichkeit bringen, was ihm und seinen Kollegen zunehmend zu schaffen mache. Aus Angst um den Arbeitsplatz möchte er anonym bleiben, führt auch ein schlechtes Betriebsklima an, weiß von Frühpensionierungen und Eigenkündigungen. „Wenn der versammelten Mannschaft deutlich gemacht wird, dass die Leute den Job nicht machen müssten, wenn sie was Anständiges gelernt hätten, motiviert das nicht gerade“, sagt er im Gespräch.
Kaum verblüffend: Bei der Deutschen Post kann man die Vorwürfe des Mitarbeiters nicht nachvollziehen. Die Zeitungsanfrage habe ziemlich überrascht, „weil unsere Sicht der Dinge eine gänzlich andere ist“, heißt es aus dere Pressestelle.
Indes könnte das, was der Mann vorgetragen hat, erklären, warum bisweilen insbesondere Briefe lange auf sich warten lassen. Die Zusteller, so klagt er, bekämen einfach immer mehr – auch Päckchen – drauf gepackt, Bezirke würden vergrößert, zusätzlich seien Paketstationen zu befüllen, es gebe interne Prioritätenvorgaben.
Post stellt neue Mitarbeiter ein – Alleine 20 in Offenbach
Postsprecher Stefan Heß verneint die generelle Ausweitung von Bezirken. Jedoch könne in Einzelfällen der konstante Rückgang der Briefmenge „zu neuen Zuschnitten führen“. Die sogenannte Verbundzustellung von Briefen und Paketen, die als neue Entwicklung dargestellt werde, gebe es schon seit Jahrzehnten. Und zwar „überall dort, wo es von den Sendungsmengen und -strukturen her sinnvoll ist.“
Montags, so erzählt der Mitarbeiter, wenn das Aufkommen traditionell gering ist, soll ein Zusteller auch mal zwei allein Touren schaffen. In der Urlaubszeit, so behauptet er, wolle die Post inzwischen auf Teilzeitkräfte und die üblichen Aushilfen verzichten. Dem hält die Post ihre zusätzlichen Festanstellungen entgegen; allein in Offenbach seien trotz Pandemie 20 neue Mitarbeiter begrüßt worden.
Im Postzentrum in Offenbach stauen sich die Briefe
Regelmäßig will der frustrierte Postler beträchtliche Rückstaus an der Sprendlinger Landstraße ausmachen, die augenscheinlich keinen interessierten: „In den letzten vier Wochen ist Offenbach abgesoffen.“ Als Belege präsentiert er Fotos von gestapelten vollen Packkisten. Der Zusteller empört sich: „Da waren auch wichtige Briefe drin, unverkennbar amtliche Schreiben, vermutlich auch Verrechnungschecks, auf die die Leute angewiesen sind.“
Wenn dem so war oder noch ist, drang davon nichts in höhere Post-Etagen vor. Konkreten Beschwerden mit genauen Angaben werde man jedoch wie immer nachgehen, kommt als Antwort auf die Anfrage zurück.
Falls frankierte Briefe verspätet ankommen, liegt das nach Darstellung des Post-Mitarbeiters auch an internen Prioritäten: Pakete, Zeitschriften, Warensendungen und besonders das Post-Eigenprodukt „Einkauf aktuell“ hätten Vorrang.
Was Postsprecher Heß kategorisch verneint: „Wie sonst wären unsere hervorragenden, TÜV-zertifizierten Laufzeiten für Briefe und Pakete möglich?“
Top oder Flop?
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Post-Mitarbeiter kritisiert sinkende Qualität – Unternehmen verteidigt sich
Der Offenbacher Bote hat noch mehr zu beklagen: Neue Mitarbeiter, die praktisch ins kalte Wasser geworfen würden, auch in „schwierige Gegenden“ eingesetzt, anstatt sie erst einmal zwei Wochen mitlaufen zu lassen; es gebe Kollegen, die durch herkunftsbedingte Leseschwächen Adressen nicht richtig identifizierten. Grundsätzlich werde kaum mehr auf Qualität geachtet.
Das will Sprecher Heß nicht auf seinem Unternehmen sitzen lassen. Besonders unzutreffend sei eine Missachtung der Qualität: „Denn gerade wir als Deutsche Post führen den Wettbewerb selbstverständlich über den Faktor ,Qualität’ und eben nicht, wie andere, über Niedriglöhne und/oder schlechte Arbeitsbedingungen.“ Eingewiesen werde selbstverständlich ausreichend; zwar bekomme jeder eine Chance, doch nicht alle erwiesen sich als geeignet für den auch buchstäblich schweren Job.
Es dürfte nicht verwundern, dass die Beurteilung des Briefzustelleralltags an der Basis und auf der Führungsebene auseinandergehen. Die zu registrierende Reaktion der Kundschaft auf den Service ist auch kein Maßstab: Zufriedene hängen ihr Lob selten an die große Glocke; Unzufriedene könnten dagegen schon aufgegeben haben, sind Beschwerden doch nur über den unpersönlichen „Verbraucherservice Post“ möglich. Offenbachs Briefzentrum ist jedenfalls telefonisch nicht erreichbar. Der Zusteller, der den Weg an die Öffentlichkeit sucht, hat den Kontakt: „Jeden Tag treffe ich auf jemanden, der sich massiv beschwert.“ (Thomas Kirstein)
In Offenbach stellen DHL-Boten immer wieder Pakete vor die Haustür – ohne zu klingeln. Ein Sprecher der Post äußert sich zu den Hintergründen.