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Abgesang mit großer Publikation

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Das Hainbachtal soll im Abschnitt zwischen Arbeiterwohlfahrt und Waldzoo-Parkplatz renaturiert werden. Er stand auch unter besonderer Beobachtung des Naturkundevereins.
Das Hainbachtal soll im Abschnitt zwischen Arbeiterwohlfahrt und Waldzoo-Parkplatz renaturiert werden. Er stand auch unter besonderer Beobachtung des Naturkundevereins. © Reinhold Gries

Aus und vorbei: Der traditionsreiche Verein für Naturkunde, ältester eingetragener Verein Offenbachs, hat sich zum 31. Dezember aufgelöst – nach 164 Jahren! Vorsitzender Hans-Joachim Schablitzky hat die Schlüssel für die Sammlungsräume im Bernardbau bei der Stadtverwaltung abgegeben.

Offenbach –Dazu der Schriftwart und Diplom-Biologe Georg Wittenberger: „Der Verein war nicht mehr erwünscht.“ Der ehemalige Offenbacher hat eine 300 Seiten starke Publikation zur Vereinsgeschichte von 1859 bis 2022 vorgelegt – ein Abgesang Marke Wittenberger.

Schablitzky, Oberstudienrat i. R., schreibt im Vorwort: „Es war eine wechselhafte Geschichte. An viele verdienstvolle Mitstreiter wollen wir mit dieser Chronik erinnern. Bei vielen Repräsentanten der Stadtverwaltungen in Stadt und Kreis, die unseren Verein gefördert haben, wollen wir uns bedanken. ... Im Laufe der Jahrzehnte zeigten sich gesellschaftliche Veränderungen: Die Jüngeren wandten sich anderen Medien zu. Die Mitglieder, besonders die langjährigen, wurden immer älter.“

Dann benennt Schablitzky Ereignisse, die zur Vereinsschließung führten: „Die Stadt Offenbach kündigte uns die zum 150-jährigen Jubiläum zur Verfügung gestellten Vereinsräume im Bernardbau. Der angebotene Ersatzraum im Keller ist ein feuchter Lagerraum, für unsere empfindliche Sammlung ungeeignet.“ Ein Raum für Vorträge und Versammlungen hätte angemietet werden müssen, „dafür haben wir kein Geld“. Der Vorstand wollte aus Altersgründen aufhören, doch es fanden sich keine Nachfolger. So fassten Vorstand und Mitglieder den Beschluss, den Verein aufzulösen.

Es macht traurig, was zu lesen und zu hören ist über den Verein, dem OB Walter Buckpesch 1979 den städtischen Umweltschutzpreis verliehen hatte. Einem Verein, dessen Mitgliederliste mit großen Namen verbunden ist: Initiator Otto Volger war gleichzeitig Gründer des Freien Deutschen Hochstifts; Fürst Wolfgang Ernst III. zu Isenburg-Büdingen stellte im Schloss Räume für ein Museum zur Verfügung; Ehrenbürger und Rabbiner Salomon Formstecher war einer der Gründerväter. Ernst Abbe, Pionier der Elektrophysik, war ein gern gesehener Referent. Ehrenmitglied und Förderin war Fanny Marie Fulda. Unvergessen ist Konservator Adolf Zilch. Dazu kamen Persönlichkeiten wie Elektro-Ingenieur und Wissenschaftler Robert Martin Friese, Pilzforscher Wilhelm Villinger sowie der langjährige Vorsitzende und Chemiker Walter Wittenberger, Vater des Chronik-Autors.

In den Abschiedsschmerz mischen sich bei den Naturkundlern Wut und Unverständnis. Schablitzky: „Unserem Verein wurden 1890 von Großherzog Ernst Ludwig die Vereinsrechte verliehen. Es musste daher vom Oberbürgermeister der Stadt Offenbach die Zustimmung zur Auflösung eingeholt werden. Dies geschah mit den Sätzen: ,Hiermit erteile ich die Zustimmung zur Auflösung des Offenbacher Vereins für Naturkunde zum 31.12.2022. Der Verein wurde im Jahre 1859 gegründet und ist nicht als altrechtlicher Verein im Vereinsregister eingetragen‘.“

Dieser Formalismus kam bei einem Verein nicht gut an, der nicht selten, auch in Forschungsprojekten, ehrenamtlich für die Stadt Arten- und Naturschutz betrieben hat. Ein Jahrzehnt nach den Versprechungen zum Jubiläum werden von nun Verantwortlichen die 2009 offenbar nicht umgewidmeten Räume im Bernardbau für andere Zwecke benötigt. In kaum abschließbare Keller, in denen oft Entfeuchter laufen, wollte man nicht umziehen.

Schrieb die Chronik des Vereins: Georg  Wittenberger.
Schrieb die Chronik des Vereins: Georg  Wittenberger. © Reinhold Gries

Die Vereinsauflösung ist nicht rückgängig zu machen, auch die beliebten Publikationen des Vereins zu Fauna und Flora in und um Offenbach wird es nicht mehr geben. Die große Sammlung wurde an Interessenten weitergegeben, die sich für Biodiversität und Artenschutz in Hessen stark machen. Darunter sind das Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg, das Naturkundeinstitut Langstadt, die Naturschutzscheune am Reinheimer Teich, das Bernsteinmuseum Bad Nauheim und das Werkstatt-Museum des Heimat- und Geschichtsvereins Obertshausen.

Was Offenbach damit verloren geht, ist nicht einfach zu beschreiben. Dazu Zahlen: Die zoologische Abteilung besaß 185 ausgestopfte Vögel, 86 Säugetiere, 1 000 Nummern von Fischen, Schnecken und Skeletten, 54 Nester, 2 500 Schmetterlinge und Käferarten in 10 000 Exemplaren. Die botanische Abteilung verwahrte 2 500 Herbarpflanzen. Die mineralogisch-geologische Abteilung umfasste 2 000 Mineralien und geognostische Handstücke. Die Bibliothek bestand aus 2 000 Bänden.

Seit 1868 besaß der Verein das erste Naturkundemuseum in Offenbach auf zwei Stockwerken im Isenburger Schloss. Die dritte Version wurde 1943 von Brandbomben zerstört. Danach ging es über den Anbau der Bachschule ins Souterrain des Stadtmuseums im Dreieichpark. Nach der Verleihung des Umweltschutzpreises wurde dem Verein ein neues Naturkundemuseum in Aussicht gestellt. Stattdessen ging’s in den Keller des Leibnizschul-Neubaus, 2009 in den Bernardbau. 2020, zwei Tage vor Verlängerung des Mietvertrags, erhielt Schablitzky die Kündigung. (von Reinhold Gries)

Infos im Internet: ovfn.de

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