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Offenbacher nimmt Ukrainerinnen auf und verzweifelt an Bürokratie

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Von: Veronika Schade

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Oleana und Anastasiia Demenko sind mit Hund Ray aus der Ukraine geflohen und haben nach einer Zwischenstation in Ebersberg eine Wohnung in Bürgel gefunden. Doch nach dem Umzug taten sich ungeahnte Probleme auf.
Oleana und Anastasiia Demenko sind mit Hund Ray aus der Ukraine geflohen und haben nach einer Zwischenstation in Ebersberg eine Wohnung in Bürgel gefunden. Doch nach dem Umzug taten sich ungeahnte Probleme auf. © Schade

Ein Mann aus Offenbach lässt Ukrainerinnen in seine Immobilie einziehen. Doch sie sind in Bayern registriert und nur dort sozialleistungsberechtigt.

Offenbach – Horst Thon ist eigentlich kein Mensch, der Druck macht. Als Rechtsanwalt kennt er die deutsche Bürokratie nur zu gut und weiß, dass Behördliches häufig länger dauert. Doch wenn es darum geht, dass Flüchtlinge endlich ein halbwegs normales Leben führen können und nach monatelangen Schreiben, Telefonaten und Vorsprachen dies von Amts wegen immer noch nicht möglich ist, sieht er seinen Ausweg darin, sich bei unserer Zeitung zu melden.

Gewartet hat er lang genug. Beziehungsweise die beiden vor dem Ukraine-Krieg geflüchteten Frauen, die bei ihm untergekommen sind. Es sei vorweggenommen, es nimmt ein gutes Ende. Doch der Reihe nach.

Ende März wird eine Wohnung frei, die er in seinem Haus in Bürgel vermietet. Er beschließt, sie nicht auf dem freien Markt anzubieten, sondern sie für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Und zwar eigens für welche mit Hund, stellt sie daher auf die entsprechende Plattform des Haustierregisters TASSO und meldet sie zusätzlich der GBO. Tatsächlich finden sich über TASSO schnell passende Mieter: Oleana und Anastasiia Demenko, Mutter und Tochter aus dem umkämpften Osten der Ukraine, mit ihrem sechs Monate alten Shar-Pei-Welpen Ray. Ende April ziehen sie ein. Bis dahin leben die 60- und 20-Jährige übergangsweise in einem Zimmer im oberbayerischen Ebersberg. Das ist der Ort, an dem sie sich nach ihrer Flucht haben registrieren lassen.

Ukrainische Geflüchtete erhalten nur dort Sozialleistungen, wo sie registriert sind – in diesem Fall nicht in Offenbach

Und darin liegt das Problem. Nur dort, wo die Geflüchteten registriert sind, haben sie Anspruch auf Sozialleistungen, wird ihnen eine Unterkunft bezahlt, können sie überhaupt erst anfangen, Angebote wie Sprachkurse wahrzunehmen. „Im Moment sind nur niedrigschwellige Angebote möglich“, erklärt Thon. Und erst dann können sie eine Arbeit aufnehmen oder die Ausbildung fortsetzen. Und das wollen die beiden unbedingt: Mutter Oleana ist ausgebildete Krankenschwester, Tochter Anastasiia hat in der Heimat im IT-Bereich studiert.

Beide sprechen kein Deutsch, Anastasiia nur etwas Englisch. Die Kommunikation mit dem Vermieter ist also nicht einfach – und allmählich weiß er auch nicht mehr, wie er ihnen erklären soll, warum es seit zwei Monaten nicht vorangeht.

Beim Termin im Bürgerbüro Ende April erfahren die drei, dass eine Registrierung in Offenbach ohne Aufhebung der Zuweisungsentscheidung nicht möglich ist. Sie werden ans Regierungspräsidium (RP) Darmstadt verwiesen. Dort heißt es, diese Aufhebung müsse die Regierung in Oberbayern ausstellen. Der Offenbacher teilt den Sachverhalt der bayerischen Behörde mit. Zunächst erhält er eine Urlaubsbenachrichtigung, später einen Anruf, dass die Umverteilung kein Problem sein solle, die Verfahrensweise länderübergreifend aber noch nicht geregelt sei. „Man sollte meinen, es sei für die Behörden unproblematisch, Flüchtlinge abzugeben, doch das erwies sich als Irrtum“, sagt Thon kopfschüttelnd.

Offenbacher verzweifelt an Bürokratie: „Niemand will Verantwortung übernehmen, niemand eine Entscheidung treffen“

Danach heißt es, das Ausländeramt Ebersberg sei zuständig. Er stellt einen Antrag auf Streichung einer wohnsitzbeschränkenden Auflage, nachdem er zuvor vom RP Darmstadt diese Information bekam. Zwei Wochen später teilt das Ausländeramt mit, die erbetene Stellungnahme aus Hessen stehe noch aus. Das RP antwortet, ein Antrag auf Umverteilung sei notwendig. Diesen stellt Thon am 24. Mai. Eine Woche später, am 1. Juni, fragt er nach dem Sachstand und erfährt zum wiederholten Male, dass Aufnahmebereitschaft bestehe, die generelle Vorgehensweise zwischen den Ländern aber nicht abgestimmt sei und man diesbezüglich auf Antwort aus Bayern warte.

Am 9. Juni stellt er eine Sachstandsanfrage mit Kopie ans RP Darmstadt und das Ausländeramt Ebersberg. Dieses fragt, was noch offen sei, man habe bereits am 9. Mai dem RP Darmstadt mitgeteilt, dass die Umverteilung als unproblematisch angesehen werde. Thon verschickt das Schreiben, dass das RP aus Antwort auf Bayern hinsichtlich des ungeklärten Verfahrensweise warte und bittet die Behörden um eine verlässliche Zeitangabe für die Bearbeitung. Er erhält keine Antwort. Ebenso wenig auf zwei weitere Sachstandsanfragen, die er im Laufe des Monats noch verschickt. „Gar nicht zu reagieren, finde ich am schlimmsten. Nichtmal eine Benachrichtigung, dass die Anfrage eingegangen ist und die Bearbeitung noch eine Weile in Anspruch nimmt.“

Ohnehin fällt es ihm zusehends schwer, Verständnis für die lange Zeitdauer aufzubringen. Offensichtlich gebe es im deutschen föderalen System keine Stelle, die sage, wie Länder mit solchen Problemstellungen umgehen sollten. „Niemand will Verantwortung übernehmen, niemand eine Entscheidung treffen aus Angst, was Falsches zu machen. Ich kenne das aus Behörden“, sagt Thon. Und dann werde alles nach unten durchgedrückt – bis es irgendwo versande.

Nach Medien-Anfrage der OP beim RP Darmstadt: Ukrainerinnen können sich endlich im Bürgerbüro Offenbach melden

Doch das dürfe nicht sein, schließlich gehe es hier um Menschen: „Die Beiden sind mit der Situation sehr unglücklich. Sie haben schlimme Erfahrungen hinter sich und es ist ihnen sehr unangenehm, untätig sein zu müssen und jemanden zur Last zu fallen.“ Ehrenamtliches Engagement ist ihm als Vorsitzender des Offenbacher Freiwilligenzentrums eine Herzensangelegenheit: „Was hier geschieht, ist ein Schlag ins Gesicht für alle: Die Menschen, die geflohen sind, diejenigen, die ihnen helfen wollen, aber auch für die Mitarbeiter der Behörden, die keine klaren Bearbeitungsrichtlinien haben.“

Nachdem unsere Zeitung beim RP Darmstadt anfragt, kommt plötzlich Bewegung in die Sache. „Das Verfahren zur länderübergreifenden Umverteilung war lange Zeit ungeklärt“, heißt es aus der Pressestelle. Den Betroffenen seien zwischenzeitlich Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden. „Alle Unterlagen werden nun ans Ausländeramt in Offenbach weitergeleitet mit der Bitte, eine Stellungnahme zur Streichung der Wohnsitzauflage gegenüber der Ausländerbehörde Ebersberg abzugeben.“ Horst Thon ist erleichtert. „Ich wurde angerufen, die Beiden können sich jetzt endlich im Offenbacher Bürgerbüro melden.“ Und der Rest ist nun, so hoffen alle, eine reine Formsache... (Veronika Schade)

Schon im März hatte Offenbach damit begonnen, sich auf die aus der Ukraine geflüchteten Menschen vorzubereiten. Etwa dienten Hotels als Erstaufnahmeeinrichtungen.

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