„Arbeitsbedingungen an der Grenze des Prekären“: Neue Kritik an der Post

Stress, Überstunden, Personalmangel: Immer mehr Zusteller der Deutschen Post beschweren sich über die Arbeitsbedingungen.
Offenbach – Briefzusteller stöhnen über zunehmende individuelle Belastung, die Post hält mit ihrer Personalentwicklung dagegen: Man habe aufgestockt und, gegen den Trend von Betriebsschließungen und Kurzarbeit, im Jahresverlauf in ganz Deutschland in den Bereichen „Transport“, „Sortierung“ und „Zustellung“ rund 9000 Mitarbeiter fest eingestellt; in Offenbach seien während der Pandemie 20 neue Mitarbeiter hinzugekommen. Die Behauptungen gegenüber der Zeitung passten „so überhaupt nicht zur betrieblichen Realität bei uns“, ließ die regionale Post-Pressestelle wissen.
Die Veröffentlichung zeitigte umfängliche, übers Internet sogar bundesweite Resonanz. Postkunden nahmen die Einladung an und berichteten über ihre Erfahrungen mit dem Service der Aktiengesellschaft. Sogar aus Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein meldeten sich Post-Mitarbeiter, die im Wesentlichen die Schilderungen des Offenbachers bestätigen wollten. Von der Gewerkschaft Verdi war urlaubsbedingt keine ausführliche Stellungnahme zu erhalten, nur so viel vorab: Was in dem Artikel gestanden habe, stimme alles.
Deutsche Post: „Arbeitsbedingungen an der Grenze des Prekären“
Die Arbeitsbedingungen seien mittlerweile an der Grenze des Prekären, schreibt ein Post-Mitarbeiter, der aus Angst vor Arbeitsplatzverlust nicht genannt werden möchte. Urlaub und Überstunden könnten nicht abgewickelt werden, weil Personal fehle; die Ausschöpfung des Arbeitszeitgesetzes, das in Ausnahmesituationen zehn Stunden und 45 Minuten erlaube, sei die Regel; samstags würden Bezirke auf andere Mitarbeiter aufgeteilt, damit Kollegen ihre regulären freien Tage nehmen könnten, montags ebenso, weil dann traditionell weniger Sendungen kämen; gewöhnliche Briefsendungen blieben zum Teil liegen. „Es gibt Gegenden, dort wird montags keine Post zugestellt, Postfachzustellung eingeschlossen, manchmal schon samstags nicht“, behauptet der Mitarbeiter. Er macht den Drang zu Gewinnmaximierung sowie hohe Boni fürs oberste Führungspersonal für einen Qualitätsverlust verantwortlich.
Von Qualitätsabstrichen will man bei der Post nichts hören. Solche Vorwürfe seien schlicht unzutreffend: „Denn gerade wir als Deutsche Post führen den Wettbewerb selbstverständlich über den Faktor ,Qualität’ und eben nicht, wie andere, über Niedriglöhne und/oder schlechte Arbeitsbedingungen.“
Deutsche Post: Postbote aus Offenbach bekommt Zustimmung von weiteren Angestellten
Ex-Zusteller Jörg Ferle aus Lübeck unterstützt seinen Offenbacher Kollegen: „Das ist in ganz Deutschland so.“ Auch in seinem Stützpunkt hätten sich Kisten mit Sendungen von vorherigen Tagen gestapelt: „Die Gebiete sind einfach zu groß geworden.“ Dass oft Briefe Empfänger erst verspätet erreichen, ist auch für ihn kein Wunder. Die bei der „Verbundzustellung“ den Briefträgern aufgebürdeten kleineren Paketen hätten Vorrang, dann folgten Abo-Zeitschriften, bis normale Briefe an der Reihe wären.
Gerade Pakete, die nicht in den Briefkasten passten und persönlich oder bei Nachbarn ausgehändigt werden müssten, könnten die Tour empfindlich verzögern. Und die Warensendungen nähmen zu, inzwischen sei das ganze Jahr sozusagen Vorweihnachtszeit. „Es herrscht ein enormer Zeitdruck, und acht Stunden volle Konzentration sind einfach nicht möglich“, sagt der frühere Postler. Ferle kennt Kollegen, „die sind richtig gerannt, um ihr Pensum zu schaffen“. Von den Vorgesetzten werde erheblicher Druck ausgeübt, auch über ein internes Punktesystem.
Kritik an Deutscher Post: Unternehmen reagiert
So passieren Fehler. Kunden beschweren sich, der Zusteller muss zum Rapport beim Chef, später wird mit stichprobenartigen Kontrollen überprüft, ob sich etwas zum Besseren gewendet hat. Das ist der Post nun sehr wichtig: „Gerade, weil wir um die Bedeutung der Qualität wissen, gehen wir jeder Reklamation sorgfältig nach und suchen in jedem Einzelfall eine Lösung im Sinne unserer Kunden.“
Mitarbeiter-Klagen kommen oft von sogenannten Vertretern, die bei Bedarf fremde Bezirke übernehmen müssen. Stammzusteller schützt wohl die Routine vor Stress. Auf unserem Portal op-online.de findet sich etwa zum Ursprungs-Postartikel dieser Kommentar: „Ich erkenne Frustration. Ich bin seit rund 20 Jahren Zusteller und stolz darauf. Ich habe super gute Vorgesetzte und Kollegen und die Arbeit macht Spaß – trotz Mehrbelastungen.“ Tatsächlich wird man die Klagen kaum generalisieren können, Belastung und Wahrnehmung des Arbeitsklimas beruhen auch auf subjektiven Faktoren. (Thomas Kirstein)