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Spezialambulanz für Long Covid in Offenbach: Wenn Corona nicht weichen will

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Von: Veronika Schade

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Chefarzt Dr. André Althoff im Gespräch mit einem Patienten.
Chefarzt Dr. André Althoff im Gespräch mit einem Patienten. Rund 1400 Long-Covid-Betroffene wurden bisher in der Spezialambulanz im Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) am Sana-Klinikum in Offenbach behandelt. © Schade

Corona kann viele Gesichter haben, da die Zielorgane des Virus ganz unterschiedlich sind. Eine Spezialambulanz am Sana-Klinikum betreut Patienten mit Long Covid.

Offenbach – Die junge Frau sucht nach Worten. Sie entgleiten ihr, sind in ihrem Kopf, aber sie kriegt sie nicht zu fassen. Genau wie ein kleines Kind, das wegrennt, während sie darauf aufpassen soll. „Ich nehme es wahr, kann aber nicht reagieren.“ Früher war sie in einer leitenden Funktion in einem Kindergarten tätig. Das kann sie nicht mehr. Sie leidet an Long Covid. Seit einer Infektion mit dem Coronavirus haben ihre kognitiven Fähigkeiten nachgelassen, sie kann sich nicht konzentrieren, ist vergesslich, reagiert verlangsamt.

Die Mittzwanzigerin ist eine Patientin des Pneumologen Mithat Koca in der Spezialambulanz für geheilte Covid-Patienten am Sana-Klinikum in Offenbach. Er stellt sie als Beispiel dafür vor, wie sich die Erkrankung auswirken kann. „Ihre Infektion verlief mild, die Lunge war nicht betroffen.“ Eine andere Patientin indes, ebenfalls eine junge Frau, hat nach ihrer Infektion eine Myokarditis entwickelt, eine Herzmuskelentzündung. Sie ist körperlich nicht belastbar, muss Herzmedikamente nehmen.

Spezialambulanz in Offenbach betreut Menschen mit Long Covid

Long Covid kann viele Gesichter haben, da die Zielorgane des Virus ganz unterschiedlich sind. Daher sind medizinische Fachgebiete wie Kardiologie, Neurologie und Rheumatologie an der Behandlung beteiligt – je nach Symptom. Es gibt kein festes Schema, nach dem vorzugehen ist, keine speziellen Medikamente. „Die Therapie besteht aus Anleiten und Begleiten, gegebenenfalls mit medikamentöser Unterstützung“, sagt André Althoff, Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Leiter des Lungenzentrums Rhein-Main sowie der Spezialambulanz für geheilte Covid-Patienten.

1400 Betroffene wurden dort bislang betreut – und jeder ermöglichte den Medizinern neue, wertvolle Erfahrungen. Mit Corona ist im Frühjahr 2020 ohnehin ein ständiger Ausnahmezustand für die Lungenfachärzte ausgebrochen. „Es ist medizinisch einzigartig, dass wir eine Krankheit von Anfang an begleiten und mittlerweile über Jahre hinweg in all ihren Ausprägungen beobachten können“, so Althoff.

Offenbach: Sana-Klinikum errichtete bereits im April 2020 die Post Covid-Ambulanz

Er und seine Kollegen haben sehr früh die Notwendigkeit erkannt, entlassenen Patienten eine strukturierte und engmaschige Nachsorge zu ermöglichen. „Ein Teil der Patienten hat eine Lungenfibrose entwickelt, also eine Versteifung der Lunge durch Vernarbung des Lungengewebes“, erläutert er. So richtete das Sana-Klinikum bereits im April 2020 die Post Covid-Ambulanz ein, bevor es diesen Krankheitsbegriff überhaupt gab. „Wir sind die erste Ambulanz dieser Art im Rhein-Main-Gebiet, wahrscheinlich sogar in ganz Deutschland“, sagt Althoff. Anfangs seien die Patienten von weit her gekommen, etwa aus Stuttgart und Köln, mittlerweile gibt es Ambulanzen in fast allen deutschen Großstädten.

Heute kommen die Patienten aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet, etwa ein Drittel von ihnen war vorher in stationärer Behandlung am Sana-Klinikum. Warum sie Long Covid-Symptome entwickeln, ist unklar. Doch obwohl jüngere Menschen eher leichtere Corona-Verläufe haben und auch die Mortalität bei Älteren deutlich höher liegt, sind es hauptsächlich jüngere Menschen zwischen 25 und 50 Jahren, die an Langzeitfolgen leiden. „Menschen, die mitten im Leben stehen, die es gewohnt sind, sich körperlich und beruflich zu belasten und dann merken, dass sie nicht so weitermachen können wie zuvor“, beschreibt es Mithat Koca. Das liege womöglich daran, dass Ältere ohnehin in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt seien und ihnen entsprechende Veränderungen weniger auffielen.

Long Covid: Nach einer Corona-Infektion sollen sich Betroffene bewusst schonen

Für die Betroffenen sei es wichtig, nicht auf Mitmenschen zu stoßen, die sie als Hypochonder abstempeln – eine zusätzliche Belastung. „Dabei sind, wenn es um organische Leiden geht, Befunde an den Organen feststellbar“, stellt der Pneumologe klar. Die Patienten sind nicht arbeitsfähig, manchmal über Monate, einige entwickeln Depressionen. Das Wichtigste ist Schonung. Anders als bei vielen anderen Krankheiten sind Bewegungsprogramme zur Rekonvaleszenz nicht empfohlen. „Jeder sollte sich in den ersten Wochen nach einer Corona-Infektion bewusst schonen. Auch, wenn sie mild verlaufen ist“, raten die Experten.

Jede Corona-Welle sei anders gewesen, blickt Althoff zurück. Dass im Moment die Corona-Lage trotz hoher Inzidenzen relativ entspannt sei, sei vor allem den Impfungen zu verdanken. „Wir haben momentan viele Infizierte, aber nur wenige Kranke“, sagt der Chefarzt. Jeder solle sich immunisieren lassen. Denn wie sich das Virus weiter entwickeln werde, sei nicht abzusehen. „Wir hoffen natürlich alle, dass es zu einer normalen Infektionskrankheit wird.“

Die meisten Long Covid-Patienten werden übrigens wieder gesund. Auch mit der eingangs erwähnten Frau geht es allmählich bergauf. Nach langen 15 Monaten.

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