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Fechtclub Offenbach: Wie in einer großen Familie

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Von: Veronika Schade

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Die ukrainischen Fechter Roman Samoilov und Yurii Doroshenko (außen) mit den Nachwuchstalenten Cristiano Ferreira Goncalves, Emilia Frumento und Nele Pichura.
Die ukrainischen Fechter Roman Samoilov und Yurii Doroshenko (außen) mit den Nachwuchstalenten Cristiano Ferreira Goncalves, Emilia Frumento und Nele Pichura. © vs

Beim Begriff Degenfechten denken viele unweigerlich an „Die drei Musketiere“, an elegante, rasante Duelle und einen Status, das sich vom allgemeinem Volk abhebt. „Leider haftet dem Fechten immer noch das Vorurteil an, es sei etwas Elitäres“, weiß Gudrun Bayer, Vorsitzende des Offenbacher Fechtclubs von 1863 (FCO). Dass dies von der Realität weit entfernt ist, beweist der FCO bei seiner täglichen Arbeit.

Offenbach - Die Hälfte der aktiven Kinder und Jugendlichen hat einen Migrationshintergrund, viele der Familien beziehen Hartz IV. Sie dürfen kostenlos trainieren. „Unsere Mitglieder spiegeln die Offenbacher Gesellschaft“, freut sich Bayer und ist sich sicher: „Fechten legt die Grundlagen für bessere Konzentration, Koordination und Disziplin in allen Lebenslagen.“

Den Einstieg in den Sport so einfach wie möglich zu gestalten ist Ziel eines Projekts, das der FCO im Frühjahr 2021 initiiert hat, als Corona noch das öffentliche Leben beherrschte. Es ermöglicht interessierten Mädchen und Jungen ab sechs Jahren, drei Monate lang beitragsfrei in den Fechtsport reinzuschnuppern. Dafür erhielt der Traditionsverein vergangenes Jahr das „Offenbacher Eichenblatt“, einen Preis, den die lokale SPD erstmals an Vereine und Initiativen verlieh, die sich während der Pandemie besonders für Kinder und Jugendliche engagiert haben.

Sein Projekt bewarb der FCO mittels Infoblättern an Grundschulen sowie kürzlich bei der Bewegungsolympiade. „Außerdem haben wir einen Kooperationsvertrag mit der Albert-Schweitzer-Schule, die Fechten innerhalb des Sportunterrichts anbietet“, berichtet die Vorsitzende.

Die Ausrüstung bekommen die jungen Fechter gestellt. Wer weitermacht und eigene Sachen braucht, bekommt ebenfalls Unterstützung – ist die Anschaffung doch teuer. „Da finden wir immer Möglichkeiten, günstig an etwas Gebrauchtes zu kommen, dafür sind wir doch eine Fechtfamilie“, sagt Bayer, die seit mehr als 30 Jahren dem Vorstand angehört.

Und wie eine große Familie halten die Fechter zusammen – sogar international. Seitvergangenem Sommer leben die beiden ukrainischen Degenfechter Roman Samoilov und Yurii Doroshenko in den Räumen des FCO, haben dort Zuflucht gefunden vor dem Krieg in ihrer Heimat und zugleich die Möglichkeit, weiterhin sportlich aktiv zu sein.

Denn die Fechthalle ihrer Heimatstadt Charkiw gleicht einem Trümmerfeld. Die Studenten zeigen auf dem Handy bedrückende Fotos vom Ausmaß der Zerstörung. „Charkiw war eine wunderschöne Stadt. Wir haben unser ganzes Leben dort verbracht und wollen unbedingt wieder dorthin zurück.“ Hoffnung machen Bilder und Videos von Menschen, die gemeinsam in einem U-Bahnhof Weihnachten feiern. „Die Menschen in dieser Stadt sind stark. Sie wird wieder aufgebaut werden.“

Die Verbindung kam durch den FCO-Fechter David Dergay und seinen Vater, den Trainer Rostislav Dergay, zustande, der auf der Krim gelebt und eine ukrainische Frau hat. Bei einem großen Turnier in Leipzig im vergangenen April trafen die Beiden auf Mitglieder des ukrainischen Nationalkaders und beschlossen, zu helfen.

Der FCO-Vorstand zögerte nicht lange, stellte den beiden 18-Jährigen 70 Quadratmeter seiner Vereinsräume als Wohnfläche zur Verfügung. „Der ganze Verein hat bei der Einrichtung mitgeholfen“, sagt Bayer voller Stolz. Ob Möbel, Haushaltsgeräte, Geschirr oder Bettwäsche, jeder gab etwas dazu, ein Bettenhaus spendete zwei Betten. Und auch bei den Behördengängen und Anträgen bekamen die beiden Ukrainer, die die deutsche Sprache erst noch lernen, Hilfe vom Verein. „Sie sind so was von selbstständig, ordentlich und freundlich. Sie helfen, wo sie können, reparieren die Waffen für die Kinder“, schwärmt die Vorsitzende.

Sportlich sind die beiden ebenfalls eine Bereicherung, ergänzen die FCO-Mannschaften bei Wettbewerben. Jeweils ein ausländischer Athlet darf Mitglied des Teams sein. Sie fechten auf hohem Niveau: Roman Samilov ist Zweiter der ukrainischen U20-Rangliste und Nummer 28 der Welt.

Neben den beiden wird auch eine ukrainische Familie, die in Heusenstamm Zuflucht gefunden hat, vom FCO unterstützt. Die Cousins Artem und Maxim trainieren kostenlos – und auch ihnen sammelte der Verein die Wohnungseinrichtung zusammen. „Der Mutter liefen vor Freude die Tränen“, freut sich auch Bayer.

Nun stehen weitere Herausforderungen an: Die ukrainische U20-Nationalmannschaft plant vom 23. Januar bis 2. Februar ein Trainingslager in Offenbach. „Wir müssen Feldbetten besorgen, damit die Fechter in unserer Halle übernachten können. Wir brauchen dringend eine Waschmaschine, die wir dann Roman und Yurii überlassen, denn die beiden suchen eine richtige Wohnung“, so die Vorsitzende. Die Vereinsmitglieder würden für die Gäste einkaufen und kochen. Eben wie in einer richtigen Familie...

Von Veronika Schade

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