Stadtpolizei konfisziert Wahlplakate - und handelt sich juristisches Nachspiel ein

In Offenbach tauchen vor der Kommunalwahl 2021 Wahlplakate der PARTEI auf. Die Stadtpolizei entfernt diese - zu Unrecht.
Offenbach – Ein Februarabend vor der Kommunalwahl 2021: Wahlplakate erregen bei der diensthabenden Streife der Offenbacher Stadtpolizei den Verdacht einer Straftat. „Nazis töten.“ hat die PARTEI Offenbach darauf drucken lassen. Ein Fall für den Staatsschutz? Am nächsten Morgen sind die Plakate verschwunden.
Die Mitglieder der Satire-Truppe vermuten politische Gegner hinter der Aktion und stellen Strafanzeige gegen Unbekannt. Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf und hat bald zwei Verdächtige. Und die haben keine Parteibücher, sondern tragen Uniformen.
Wahlplakate in Offenbach abgehängt: Einstellung des Ermittlungsverfahrens
Ein gutes halbes Jahr später sind die Untersuchungen abgeschlossen, das Ermittlungsverfahren ist eingestellt. So wird es der PARTEI mit Datum 12. Oktober mitgeteilt. Begründung der Staatsanwaltschaft Darmstadt: Bedienstete der Stadtpolizei hätten die Wahlwerbung mit dem Anstoß erregenden Spruch abgehängt, um diese auf ihre strafrechtliche Relevanz hin zu prüfen.
Dabei hätten sie kein strafbares, explizit politisches Motiv verfolgt, erklärt die Staatsanwaltschaft. Beleg dafür: Die Stadtpolizisten hätten – wenn auch erst nach der Plakatentfernung – Kontakt mit der für die Prüfung zuständigen Staatsschutzabteilung des Polizeipräsidiums Südosthessen aufgenommen.
Offenbach: PARTEI-Vize Daniel Pfeiffer will die Wahlplakate zurück
Für PARTEI-Vize Daniel Pfeiffer, der die Anzeige erstattet hatte, ist die Sache noch nicht erledigt. So hat er nach eigener Aussage erst durch den staatsanwaltlichen Brief Kenntnis über die genauen Vorgänge im Februar erlangt und bis vor zwei Wochen nicht gewusst, dass die Stadt und kein politischer Konkurrent verantwortlich für das Verschwinden der Plakate ist. In einem Offenen Brief beklagt sich Pfeiffer zudem, dass die Plakate noch nicht zurückgegeben wurden und an einem ihm unbekannten Ort lagern.
Das will Lothar Haack, Leiter der Stadtpolizei Offenbach, so nicht stehen lassen. Tatsächlich habe das Ordnungsamt bereits kurz nach dem Entfernen der Plakate eine Sicherstellungsbeleg an die Polizei ausgestellt. Und während der Befragung durch die Kriminalpolizei hätten so auch Vertreter der PARTEI informiert werden müssen. Es sei also sehr unwahrscheinlich, so Haack, dass niemand aus der PARTEI bis zum 12. Oktober über Ermittlungserkenntnisse informiert gewesen sei.
Rechtsstreit um Wahlplakate in Offenbach: Polizeiführer vom Dienst äußert sich
Auch unterscheidet sich Haacks Sicht auf die Abläufe in der Februar-Nacht von der Schilderung der Staatsanwaltschaft: Seine Polizisten hätten nicht eigenmächtig gehandelt, sondern sich auf die Landespolizei verlassen. Der vorsorglich befragte Polizeiführer vom Dienst habe in „Nazis töten.“ ebenfalls den Anfangsverdacht einer Straftat gesehen und den städtischen Ordnungshütern geraten, die Plakate sicherzustellen. Zu einem Kontakt mit dem Staatsschutz, wie von der Staatsanwaltschaft im Nachhinein empfohlen, habe es am fraglichen Abend nicht kommen können; das habe die Landespolizei dann intern nachgeholt.
Die PARTEI
Die „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (Die PARTEI) wurde 2004 gegründet. Parteivorsitzender ist der ehemalige Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn, der sie seit 2014 auch im Europäischen Parlament vertritt. Die PARTEI will vor allem mit den Mitteln der Satire auf Missstände vor allem im Politikbetrieb aufmerksam machen. In der Offenbacher Stadtverordnetenversammlung stellt sie einen Vertreter und bildet mit Piratenpartei und Junges Offenbach den Zusammenschluss „Offenbach für Alle.“
Warum die Plakate immer noch in der Asservatenkammer des Ordnungsamts verstauben, bleibt indes ein Rätsel. Denn dass ihr Text, mit dem die PARTEI bundesweit Aufsehen und Anstoß erregte, nicht strafrechtlich relevant ist, haben bereits früh höhere Instanzen festgestellt. Das Bielefelder Amtsgericht stufte im März dieses Jahres den Slogan „Nazis töten.“ als juristisch unbedenklich ein.
Plakate sorgten nicht nur in Offenbach für Aufsehen
In der ostwestfälischen Stadt hatte die örtliche Polizei ebenfalls die Plakate abgehängt. Ein Übergriff, wie das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld im Frühjahr klarstellte. Der Aufdruck sei von der Meinungsfreiheit im Grundgesetz gedeckt, enthalte „keine ernst gemeinten Aufforderungen zu Straftaten.“
Die Aktion der Offenbacher Ordnungspolizei erinnert fatal an den Übereifer regulärer Polizisten ebenfalls im Vorfeld der Kommunalwahl: Vor einer Kundgebung der AfD mit ihrem obersten Rechtsausleger Björn Höcke hatte die Polizei ein Banner gegen Rassismus von der Fassade eines Privathauses an der Berliner Straße gerissen. Begründung: Derartige Aussagen könnten mit Blick auf den anstehenden AfD-Termin möglicherweise Unruhen auslösen. Als das von unserer Zeitung aufgegriffen wurde, folgte eine vorbehaltlose Entschuldigung vonseiten des Präsidiums, die Polizei brachte das Stück Stoff umgehend ihrer Besitzerin zurück. (Julius Fastnacht)