Bauruine in Offenbach: Kaiserlei-Baustelle ruht – Wer zahlt 90 Millionen?
Die Kaiserlei-Baustelle in Offenbach liegt auf Eis. Die Investoren treten von den Verträgen zurück – der Bau dauert zu lang.
Offenbach – Die skelettierten Hochhäuser der Kaiserlei-Baustelle künden schon von weitem: Hier steht eine der größten Bauruinen der Region. Die ehemaligen Bürotürme der Siemens-Tochter KWU sind so etwas wie ein Mahnmal für die ungezügelte Gier von Immobilien-Zockern und die Ohnmacht von Kommunen zugleich.

Der Baustillstand in bester Lage von Offenbach ist Folge eines bundesweiten Wirtschaftsdebakels unter – zumindest in der Branche – prominenter Beteiligung. Wann und wie es weitergeht mit dem einst hochtrabend auf „Vitopia-Campus“ und „New Frankfurt Towers“ getauften Projekt am Kaiserlei steht in den Sternen.
Offenbach Kaiserlei-Baustelle: Gespräche mit Interessenten laufen
Beim derzeitigen Eigentümer von Gelände und Bauten, dem luxemburgischen Immobilienriesen Adler Group, gibt man sich sachlich optimistisch: „Es ist vorgesehen, das gesamte Projekt an einen Käufer zu veräußern. Entsprechende Gespräche mit Interessenten laufen bereits“, sagt Unternehmens-Sprecher Matteo Twerenbold zum Kaiserlei-Projekt Offenbach.
Ziel sei unverändert, dass auf dem Kaiserlei-Gelände ein modernes urbanes Quartier entstehe, das neben Wohneinheiten auch Büroflächen und weitere Nutzflächen einschließe. Twerenbold: „Mit der Stadt Offenbach haben wir vereinbart, diese frühzeitig über eventuelle nächste Schritte im Verkaufsprozess zu informieren, bauliche Aktivitäten mit den Gremien abzustimmen und sie so weit wie möglich in die Gespräche einzubinden.“
Kaiserlei-Baustelle in Offenbach: Kommunikation nicht abgerissen
Dass die Kommunikationsdrähte mit Adler nicht abgerissen sind, kann Oberbürgermeister Felix Schwenke zwar bestätigen, dass sie glühen, wäre indes übertrieben. Für Schwenke ist das gigantische Vorhaben, bei dem ein neues Viertel mit mehreren hundert Wohnungen, Gewerbe und Infrastruktureinrichtungen entstehen soll, einer der „schwierigen Fälle“, wie er zunächst vorsichtig formuliert.
Das Projekt auf dem ehemaligen KWU-Gelände, das sich im Besitz von Consus, einem Unternehmen innerhalb der Adler-Gruppe, befindet, sei „Teil eines bundesweiten Wirtschaftskrimis der Immobilienbranche“ wird Schwenke deutlicher. Tatsächlich haben die Wirtschaftsprüfer von KPMG Adler in diesem Zusammenhang das Testat verweigert, die Ermittlungen laufen.
Offenbach Kaiserlei-Baustelle: Keine öffentlichen Anschuldigungen
Bei der jüngsten Immobilienmesse Expo Real in München wurde laut Schwenke die Gelegenheit genutzt, um mit den derzeitigen Eigentümern zu sprechen. „Wir wollen nicht mit öffentlichen Anschuldigungen billig Punkte sammeln. Jeder darf aber sicher sein, dass wir unseren Wunsch nach einer Fertigstellung des Projektes durch ein seriöses Unternehmen sehr deutlich gemacht haben. Selbstverständlich nutzen wir dabei auch das Wenige, was uns als Kommune rechtlich möglich ist“, fasst Schwenke das Gespräch knapp zusammen.
So weit die öffentlichen Verlautbarungen zum Stand der Dinge. Kenner des Projekts, die als Akteure zwar weniger im Rampenlicht stehen, aber trotzdem nicht namentlich genannt werden wollen, können unterdessen detailreicher davon berichten, wie versucht wurde, am Kaiserlei das ganz große Rad zu drehen, und wie grandios das scheiterte.
Kaiserlei-Baustelle in Offenbach: Vermeintlicher Retter in der Not
Um das Debakel zu verstehen, muss zurückgeblickt werden: 2015 tauchte in Offenbach der vermeintliche Retter in der Not auf. Der schillernde wie charismatische Berliner Bauunternehmer Christoph Gröner versprach, am Kaiserlei um die seit Jahren leer stehenden ehemaligen KWU-Türme für mehrere hundert Millionen Euro ein neues Stadtviertel zu bauen. Er hatte das 44 600 Quadratmeter große Areal zwischen Berliner- und Strahlenbergerstraße, Goethering und Kreisel 2013 dem Versicherungskonzern Allianz abgekauft.
Bis 2022 sollten im „Vitopia Campus Kaiserlei“ auf 36 500 Quadratmetern in der Summe 835 Mietwohnungen entstehen. Allein in den beiden Hochhäusern mit ihren 19 beziehungsweise 22 Stockwerken waren mehr als 730 teilmöblierte Apartments geplant. Hinzu sollten 7 450 Quadratmeter Gewerbeflächen kommen.
Offenbach Kaiserlei-Baustelle: „Größte private Geothermieanlage Deutschlands“ war Teil des Plans
Um die Hochhäuser herum waren drei sechsgeschossige Neubauten mit Mietwohnungen vorgesehen. Weiter gehörten zum Gesamtkonzept unter anderem Hallenbad, Kita, Fitnesscenter und die „größte private Geothermieanlage Deutschlands“, wie es vollmundig hieß.
Von Beginn an bestehende Zweifel verstand Gröner regelmäßig zu zerstreuen. Zuletzt im September 2018, einen Monat vor Grundsteinlegung, als er im Bauausschuss den Bedenken der Lokalpolitik mit einer bühnenreifen Show entgegentrat.
Kaiserlei-Baustelle in Offenbach: Unstimmigkeiten bei den Abrechnungen
Nach anfänglichem Baufortschritt kam das Projekt dann aber ins Stocken. Beim Projektentwickler Consus Real Estate, in dem Gröners Firmenimperium CG Gruppe schrittweise aufgegangen war, und der sich seit 2020 mehrheitlich im Besitz der Adler-Gruppe befindet, erklärte man das seinerzeit so: Für das Bauprojekt sei eine Vereinbarung über den Verkauf einzelner Bestandteile unterzeichnet worden. Aufgrund des Verkaufsprozesses würden die Bauarbeiten vorübergehend ruhen.

Nach monatelanger Recherche hatte das Handelsblatt dagegen herausgefunden: Bei Consus laufe eine unternehmensinterne Untersuchung wegen „Unstimmigkeiten“ bei der Abrechnung mit am Kaiserlei beauftragten Baufirmen. Die drei eng verbundenen Unternehmen hätten für sehr ähnliche Auftragsbeschreibungen mehr als elf Millionen Euro Lohnkosten abgerechnet, obwohl es auf der Baustelle kaum vorangegangen sei.
Offenbach Kaiserlei-Baustelle: Verträge wurden „aufgrund nicht erfüllter Leistungen“ rückgängig gemacht
Die Verzögerungen beim Baufortschritt führten dazu, dass Interessenten absprangen. So hat die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte Wohnstadt (NHW) im Oktober 2020 „aufgrund nicht erfüllter Leistungen“ von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht und ist aus einem Kaufvertrag ausgestiegen. Die NHW hatte Ende 2018 einen Deal für den schlüsselfertigen Erwerb von 205 Wohnungen mit der CG Gruppe abgeschlossen. Die Wohngebäude sollten als Blockrandbebauung zur Berliner Straße und zum Goethering errichtet werden.
Auch bei den beiden ehemaligen KWU-Türmen lief es anders als geplant: Die Hochhäuser wurden bereits Ende 2017 vorab für 218 Millionen Euro an einen Fonds verkauft, der für die Bayerische Versorgungskammer (BVK) tätig ist. Dem Handelsblatt gegenüber wollte sich die BVK „aus vertraglichen Gründen“ nicht zu den Vorgängen äußern. Das Geschäft soll mittlerweile aber auch rückabgewickelt sein.
Kaiserlei-Baustelle in Offenbach: Verwitterung des Stahlbetons mindert kontinuierlich Wert
Hinzu kommt aus städtischer Sicht: Im Offenbacher Rathaus hatte man seinerzeit darauf verzichtet, in die städtebauliche Vereinbarung mit Gröner Vertragsstrafen im Falle von Nichterfüllung hineinzuschreiben, was die Stadt nun als relativ zahnlosen Tiger dastehen lässt.
Das Vitopia-Projekt stehe dank Abschreibungen über 30 Millionen Euro derzeit noch mit rund 130 Millionen Euro in den Büchern von Adler, sei aber tatsächlich nur rund 100 Millionen wert. Und mit jedem Winter, der dem Stahlbeton zusetze, würden es zehn Millionen weniger. Fast schon ein Randaspekt angesichts dieser Summen: Die fertige neue Fassade für die beiden Türme ist seit Monaten eingelagert.
Offenbach Baustelle: Seriöser Bieter gesucht – 90 Millionen für Kaiserlei-Projekt
Seriöse Bieter, heißt es, würden derzeit 90 Millionen Euro für das Kaiserlei-Projekt zahlen wollen. Einen solchen zu finden, ist erklärtes Ziel der Stadt. „Was wir tun können und was ich auch persönliche mache ist, Käufer zu suchen, die das zu Ende bringen. Diese gibt es. Allerdings muss Adler dafür endlich zu einem angemessenen Preis verkaufen, die Buchwerte erweisen sich als offensichtlich unrealistisch“, kritisiert Oberbürgermeister Schwenke.
Einem seriösen Entwickler stünden wohl alle Tore offen; inklusive Abriss der Betonskelette. Entschieden, das weiß auch Schwenke, wird die Zukunft von „Vitopia“ letztlich aber an anderer Stelle. Noch zeichnet sich kein Neuanfang am Kaiserlei ab. (Matthias Dahmer)