Zwischen Klischees und Generalverdacht

Sie basteln und malen, machen Musik und Sport, sitzen auf kleinen Stühlen und spielen mit Kindern. Hauptberuflich. Sebastian Hirsch und Matthias Emmert wissen, dass sie damit als Männer nach wie vor Exoten sind. Dennoch: Für beide ist der Erzieher-Job genau der, für den sie brennen. Auch wenn ihnen das nicht zu Beginn ihrer Berufslebens klar war.
Offenbach – Sebastian Hirsch ist 29 Jahre alt, nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann, arbeitete zweieinhalb Jahre in dem Beruf. „Ich merkte aber, dass das nichts für mich war“, erzählt er. Nach einem kurzen Gastspiel an der Uni als Lehramtsstudent wusste er, dass auch ein Studium nicht der richtige Weg ist, dafür aber, dass er als Pädagoge arbeiten möchte. „Meine Mutter ist Erzieherin und meinte, das könnte was sein. Ich habe zunächst abgelehnt.“ Um der Sache dann doch eine Chance zu geben. Aktuell ist er im zweiten Lehrjahr der dreijährigen Erzieher-Ausbildung für Quereinsteiger.
Die hat Matthias Emmert bereits hinter sich. Seit zwei Jahren ist der 55-Jährige ausgebildeter Erzieher. Zuvor arbeitete er in einer Druckerei. „Da saß ich immer den ganzen Tag am PC“, sagt Matthias Emmert. Irgendwann habe er sich etwas komplett anderes gewünscht, mehr Kontakt mit Menschen. Auf den Erzieher-Beruf sei er gekommen, weil er als Vater einer Tochter ohnehin entsprechende Erfahrung habe. Nach einem ersten Praktikum stand auch für ihn die Entscheidung fest.
Derzeit arbeiten beide in der städtischen Kita Bernardstraße, die die Ganztagsklassen der Goetheschule mitbetreut. Längst sind sie sich sicher, dass sie ihren Weg gefunden haben, haben kein Problem damit, das zu tun, was auch noch heute in den Augen vieler ein klassischer Frauenberuf ist. „Mir war natürlich bewusst, dass es dieses Klischee gibt. Für mich selbst gibt es das aber nicht“, sagt Sebastian Hirsch. Auch sein Umfeld habe durchweg positiv reagiert. „Abgesehen von ein paar Bemerkungen, die aber eher scherzhaft gemeint waren.“ Sein Kollege musste anfangs mehr wegstecken. „In der Druckerei habe ich in einem reinen Männerjob gearbeitet. Klar gab es da Sticheleien von Kollegen, als ich erzählt habe, dass ich Erzieher werde.“ Beeinflusst hat ihn das nicht. Schließlich sei es, als er selbst jung war, auch ihm nie in den Sinn gekommen, als Mann im Kindergarten zu arbeiten. „Undenkbar. Das war einfach ein Frauenberuf“, erzählt der 55-Jährige. Umso schöner findet er ist, dass sich daran zumindest Schritt für Schritt etwas ändert.
Auch wenn Hirsch und Emmert gut damit umgehen können: Nicht ständig, aber immer wieder sind sie in ihrem Berufsalltag mit traditionellen Rollenklischees konfrontiert. „Da gibt es etwa oft gewisse Vorstellungen, wer was besser kann. Da wird den Frauen eher die kreative Arbeit zugesprochen als uns Männern“, sagt Hirsch. Dabei sei es gerade das Kreative, was ihm liege. „Bei mir kam es schon vor, dass einige meinten: ,Toll, endlich ein Mann, der kann auch mal was Handwerkliches erledigen“, erzählt Matthias Emmert. Da allerdings müsse er passen, lacht Emmert.
Schwerer wiegt ein anderer Punkt: die Tatsache, dass männlichen Erziehern häufig grundsätzlich mit Skepsis begegnet wird, weil die Angst der Eltern nach jedem weiteren Missbrauchsskandal, der an die Öffentlichkeit kommt, größer wird. „Es ist bei uns schon Thema in der Ausbildung, dass wir uns immer auch selbst schützen müssen, wenn es etwa darum geht, Kinder auf den Schoß zu nehmen oder sie zu wickeln“, sagt Sebastian Hirsch. Auch Matthias Emmert bestätigt, dass dieses Thema stets mitschwingt. Dennoch hat er das Gefühl, dass die meisten Eltern es gut finden, wenn ihr Nachwuchs von gemischtgeschlechtlichen Teams betreut wird.
„Es geht auch darum, den Kindern Diversität zu zeigen“, sagt Sebastian Hirsch. Und in der Hinsicht haben er und sein Kollege das Gefühl, ihren Schützlingen Wertvolles mitgeben zu können. Der Auszubildende etwa erzählt, er trage öfter Nagellack, was die Kleinen oft erst irritiert. „Da heißt es dann, das machen doch nur Mädchen. Aber im Gespräch kommen wir darauf, dass das ja gar nicht so sein muss“, berichtet der 29-Jährige. „Genauso ist es bei mir mit den langen Haaren“, sagt Matthias Emmert. Dass die Kinder so auch neue Denkanstöße mitnehmen, bedeutet ihnen viel.
Doch auch abgesehen von der erfüllenden Arbeit wünschen sich die Erzieher mehr Anerkennung für ihren Beruf, auch Gehalt und Karrierechancen könnten besser sein, finden beide. „Dann würden sich sicher noch mehr Männer dafür entscheiden...“ (Lena Jochum)