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Warum „Reichsbürger“ auch ohne Putsch gefährlich sind – und wo die Szene einen Fehler machte

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Von: Max Müller

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Heinrich XIII. Prinz Reuß wird von Polizisten bei einer bundesweiten Razzia gegen „Reichsbürger“ festgenommen.
Mit Heinrich XIII. Prinz Reuß wurde ein Rädelsführer der „Reichsbürger“ festgenommen. © Boris Roessler/dpa (Montage)

Trotz der Festnahmen geht von den „Reichsbürgern“ eine ständige Gefahr aus, sagt Verschwörungs-Experte Josef Holnburger. Er verrät, was die Szene stark gemacht hat – und wie der Staat sie in den Griff kriegt.

Köln – Es ist schon ein paar Tage her, dass deutsche Behörden mehrere „Reichsbürger“ festgenommen haben. Doch die Diskussion reißt nicht ab. Immer wieder geht es dabei um die Frage, ob die Szene in der Lage gewesen wäre, einen Putsch zu organisieren. Oder es vielleicht immer noch ist?

Dabei braucht es nicht mal einen Umsturz, damit es hochgefährlich wird, sagt Josef Holnburger dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. „Anders Breivik ermordete 77 Menschen in der Hoffnung, dass danach alle sein Manifest lesen würden“, so der Politikwissenschaftler, der seit Jahren zur Verbreitung von Desinformation und Verschwörungserzählungen forscht. „Gerade, weil es eine Gruppierung ist, die sich aus einer Richterin, Polizisten und ehemaligen Militärs sowie Waffenverkäufern zusammengesetzt hat, muss man das sehr ernst nehmen.“ Die Gefahr sei deswegen größer als bei vergleichbaren extremistischen Gruppen. „Sie wollten in den Bundestag eindringen und Geiseln nehmen – ein direkter Angriff auf unsere Demokratie“, so Holnburger.

Experte zu „Reichsbürger“: Auch ein gescheiterter Putsch ist gefährlich

Der Experte ist davon überzeugt, dass ein Umsturzversuch nicht erfolgreich gewesen wäre. Dennoch dürfe man nicht vergessen, dass auch bei einem gescheiterten Putsch in der Regel Menschen sterben. „Wir konnten dies im Januar 2021 beobachten, als zahlreiche Menschen das Kapitol stürmten. Auch hier gab es im Vorfeld Pläne. Es wurden Galgen mit zum Sturm genommen. Fünf Menschen starben. Und hätten die Stürmer Nancy Pelosi oder Mike Pence in die Finger bekommen, wäre die Zahl der Todesopfer möglicherweise noch weiter gestiegen – auch wenn dieser Putsch nicht erfolgreich war“, sagt Holnburger.

Der Politikwissenschaftler Josef Holnburger steht vor einer Wand.
Josef Holnburger forscht seit Jahren zu Verschwörungsidelogien und Rechtsextremismus. © CeMAS

Dass auch die deutschen „Reichsbürger“ nicht vor tödlicher Gewalt zurückschrecken, ist spätestens seit 2016 bekannt. Damals hatte Wolfgang P. im bayerischen Georgensgmünd einen SEK-Beamten erschossen, als die Polizei ihm seine Waffen abnehmen wollte. Wolfgang P. fiel den Behörden nur auf, weil er sich weigerte, seine Kfz-Steuer zu bezahlen. Den Zoll jagte er vom Hof und sagte den Beamten, sie würden „fremdes Staatsterritorium betreten“. Für Holnburger ein typisches Verhalten: „Reichsbürger glauben, dass der Rechtsstaat für sie nicht gelten würde.“

Fehlannahme der „Reichsbürger“: Keine Mehrheit in der Bevölkerung

Es ist nicht der einzige Irrglaube. „Bezüglich der Pläne der jetzt festgenommenen Gruppe ist zu beobachten, dass diese immer dachten, dass sie eine Bevölkerungsmehrheit hinter sich hätten oder schnell organisieren könnten, sobald sie selbst ‚an der Macht‘ wären“, sagt Holnburger. Das sei auszuschließen, mindere aber nicht die Gefahr: „Wer glaubt, er hätte die Mehrheit hinter sich, fühlt sich vermutlich eher berechtigt zu handeln. Möglicherweise auch mit Gewalt“, sagt Holnburger.

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„Reichsbürger“: Wie Staat und Gesellschaft jetzt gefordert sind

Bleibt die Frage, wie man mit dieser Gefahr umgehen soll. Holnburger nimmt hier alle in die Pflicht: „Die Gruppe meinte, dass sie stille Sympathisanten hinter sich hätte, die nur auf ein Großereignis warten würde.“ Genau an dieser Stelle sei es wichtig, dass die Zivilgesellschaft lauter wird und sich von solchen Vorstellungen abgrenzt.

Und die Behörden? Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) plädiert für eine genauere Betrachtung der übrigen Szene durch den Verfassungsschutz. Für den Experten kommen solche Forderungen zu spät. „Einzelne Personen aus der Gruppe haben schon lange Umsturzfantasien geäußert, teilweise auf Demonstrationsbühnen. Und lange gab es dafür auch keine Konsequenzen“, sagt Holnburger. Die Rechtsverfahren hätten sehr lange gedauert – ein fatales Signal für die „Reichsbürger“. „Die Gruppe hat das oft so interpretiert, dass es auch auf Seiten der Polizei und weiterer Strafverfolgungsbehörden eine heimliche Unterstützung für sie gäbe“, sagt Holnburger. „Das Nicht-Handeln des Staates hat sie ermutigt, selbst zu handeln.“

Heißt im Klartext: Der Staat hat es jetzt selbst in der Hand – umso spannender wird die juristische Aufarbeitung.

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