1. Startseite
  2. Region
  3. Babenhausen

Christliches Sozialwerk und AOK streiten um die Gründe für das Aus

Erstellt:

Von: Ralf Enders

Kommentare

In der mobilen Pflege herrscht allerorten Personalmangel. Das Harreshäuser Sozialwerk räumt Defizite in der Vergangenheit ein; diese seien jedoch beseitigt worden. Die AOK Hessen widerspricht und sieht gravierende Mängel als Grund für die Vertragskündigung. symbol
In der mobilen Pflege herrscht allerorten Personalmangel. Das Harreshäuser Sozialwerk räumt Defizite in der Vergangenheit ein; diese seien jedoch beseitigt worden. Die AOK Hessen widerspricht und sieht gravierende Mängel als Grund für die Vertragskündigung. symbol © dpa

Die AOK Hessen erhebt schwere Vorwürfe gegen die mobile Pflege des Christlichen Sozialwerks Harreshausen (CSWH).

Babenhausen - Der Dienst habe „erhebliche und mannigfaltige“ Mängel nicht abgestellt, deshalb habe die Krankenkasse die Verträge gekündigt, teilte ein AOK-Sprecher auf Anfrage unserer Mediengruppe mit.

Das CSWH schließt zum Jahresende als Konsequenz aus der Kündigung seine mobile Pflege und liquidiert die entsprechende gemeinnützige GmbH Bethesda Teams (wir berichteten). 42 Beschäftigte müssen sich einen neuen Arbeitgeber suchen – was auf dem Markt für Pflegekräfte kein Problem sein dürfte. Aber auch 75 Pflegebedürftige, die zu Hause versorgt werden, müssen zum 1. Januar einen neuen Dienstleister finden, ebenso wie 30 Mieter in den CSWH-Wohngemeinschaften in Schaafheim.

Ein Angehöriger eines Mieters in Schaafheim bemängelte gestern gegenüber unserer Mediengruppe, er habe zuerst durch den Bericht in der Offenbach-Post vom Dienstag von der Kündigung erfahren und sei erst am Dienstagabend offiziell informiert worden. Für gestern Abend habe Bethesda eine außerordentliche Gremiensitzung der Wohngemeinschaften 2 und 3 in Schaafheim einberufen.

Angesichts der Kündigung der Verträge durch die Krankenkassen hatte der CSWH-Handlungsbevollmächtigte Tom Best von einem „harten Schlag für das Sozialwerk und seine Mitarbeitenden“ gesprochen. Er räumte auf Anfrage ein, dass es noch 2019 Defizite in der mobilen Pflege gegeben habe, vor allem bei der Dokumentation von Leistungen. Von den Mitarbeitern habe man sich getrennt, trotz der herrschenden Personalnot in der mobilen Pflege. Und: „Seit Beginn der Pandemie haben wir massiv in Personal investiert.“

Für Riyad Salhi, Sprecher der AOK Hessen, die in diesem Fall für den Verband der hessischen Ersatzkassen die Federführung hat, liegen die Problem viel tiefer: „Es handelt sich keinesfalls um Marginalien, sondern um gravierende Mängel, die zwangsläufig eine Kündigung nach sich ziehen, wenn klar formulierte Nachbesserungen innerhalb einer festgelegten und fairen Frist nicht erkennbar sind.“ Aus Datenschutzgründen dürfe die AOK „leider“ nicht die Gründe nennen – aber sie seien erheblich.

Im Februar 2019 hat der Medizinische Dienst der Kassen laut Salhi bei einer regelhaften Prüfung die Mängel im mobilen Dienst aus Harreshausen festgestellt. Die Folge: ein Mängelbescheid, eine Abmahnung und die Ankündigung einer erneuten Prüfung. Diese ist laut Salhi im November 2019 erfolgt und habe „eine weitere Verschlechterung“ ergeben. Daraufhin sei eine „Mängelbeseitigungsvereinbarung“ geschlossen und dem Pflegedienst Auflagen gemacht worden. Die nächste Qualitätsprüfung habe im Januar 2020 stattgefunden. „Das Ergebnis zeigte: Die Mängel wurden überhaupt nicht abgestellt“, sagte Salhi. Deshalb habe die AOK die Kündigung der Verträge eingeleitet, wegen des Beginns der Pandemie im März 2020 jedoch noch nicht umgesetzt. Die letzte Prüfung wurde dem AOK-Sprecher zufolge dann im September 2021 durchgeführt. Salhi: „Es zeigte sich zwar, dass ein Teil der Mängel beseitigt wurde, andere wiederum – gravierende nach wie vor – blieben weiterhin bestehen. Die Kündigungen (zum Jahresanfang 2023, die Red.) wurden bereits am 24. Februar 2022 persönlich ausgehändigt.“ Die Chronologie zeige, dass Bethesda viel Zeit gehabt habe „alles zum Guten zu wenden“.

CSWH-Bevollmächtigter Best meinte dagegen, es habe nach der letzten Prüfung 2021 sehr wohl „spürbare Verbesserungen“ gegeben. Um die generellen Probleme in der ambulanten Pflege und dem Personalmangel zu begegnen, habe sein Haus auf das „Holländische Modell“ gesetzt, bei dem die Pflegeteams in 12er-Gruppen weitgehend selbstständig arbeiten. So soll der Job attraktiver werden. Best vermutet, das Modell sei so neu, „dass die Standardbewertungen der Kassen versagen“. Und: „Man will keine Innovationen.“

Salhi widersprach: „Der Anbieter (...) ist nicht mit diesem Konzept gescheitert. Er wollte mit einem solchen Konzept neu starten, bietet aber generell die Zulassungsvoraussetzungen nicht, die absolut zwingend sind.“ Die Pflegekassen stünden dem holländischen Modell „Buurtzorg“ des gleichnamigen Unternehmens „sehr positiv“ gegenüber. Es habe gar den Versuch gegeben, das Modell auch in Hessen zu etablieren, die Deutsche Buurtzorg-Gesellschaft habe jedoch Insolvenz angemeldet.

Generell betonte Salhi, dass die Note „mangelhaft“, die die mobile Pflege der Bethesda erhalten habe, in Hessen selten vergeben werde. „Demzufolge sind Kündigungen aufgrund solcher Ergebnisse noch seltener, denn normalerweise wird das, was beanstandet wird, größtenteils oder ganz behoben. Uns sind in den Jahren 2020-2022 lediglich zwei Kündigungsfälle in Hessen bekannt.“

Die 75 Pflegebedürftigen und die 30 Mieter im Schaafheimer Haus Bethanien müssen derweil neue Dienstleister finden. Best sagte, sein Haus habe alle Beteiligten informiert: die Betroffenen selbst, die Angehörigen, den Pflegestützpunkt Darmstadt-Dieburg und die Kassen. Was bei dem Treffen gestern Abend besprochen wurde, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Best hatte gesagt, dass 15 der 30 Mieter eventuell in einem Geschoss des Stammhauses in Harreshausen aufgenommen werden könnten. Dort leben aktuell ukrainische Flüchtlinge. (Ralf Enders)

Auch interessant

Kommentare