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„Ich habe diesen Menschen nichts angetan“

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Gericht Doppelmord Angeklagter Babenhausen
Elegant gekleidet erschien gestern der Angeklagte Andreas D. im Gerichtssaal. Zur Tat schwieg er. © dpa

Darmstadt/Babenhausen ‐ Seit der Bluttat sind fast zwei Jahre vergangen: Gestern begann am Landgericht Darmstadt der Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder am Babenhäuser Ehepaar Toll. Von Veronika Szeherova

Wie sehr der Fall die Menschen aus der ganzen Region bewegt hat, zeigte der enorme öffentliche Zulauf. Viele Interessierte mussten vor verschlossener Tür verharren, da es im Zuschauerraum nicht genug Plätze gab. Der Angeklagte Andreas D. äußerte sich nicht, so wie es auch sein Verteidiger angekündigt hatte. Lediglich seine persönlichen Daten gab er preis, und beteuerte: „Ich bin unschuldig. Ich habe diesen Menschen nichts angetan.“ Danach schwieg er.

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Ebenso seine Ehefrau, die den Prozess von der Zuschauerbank aus verfolgte – mit angespanntem Gesicht, oft kopfschüttelnd. Auch sie machte bei ihrem kurzen Auftritt vor Richter Volker Wagner von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

Tochter hat Tat schwerverletzt überlebt

Staatsanwalt Jens Neubauer verlas die Anklageschrift gegen den damaligen Nachbarn des ermordeten Ehepaars. „Heimtückischer Mord in zwei Fällen und ein Mordversuch“ werden dem 41-jährigen Andreas D. zur Last gelegt. In der Absicht, eine ganze Familie auszulöschen, habe er am 17. April 2009 Klaus Toll aufgespürt, als dieser wie immer morgens um vier das Haus verließ, um den Müll rauszubringen.

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Mit einer Pistole vom Typ Walter P 38, die er mit Schalldämpfern präpariert hatte, habe er dem 62-Jährigen mit sechs Schüssen getötet. Danach sei er in das Zimmer der damals 37-jährigen Tochter Astrid gegangen und habe zwei Schüsse auf die Schlafende abgefeuert. Als er sie für tot hielt, sei er in das Elternschlafzimmer gegangen, um auch die 58-jährige Petra Toll zu töten. Dazu feuerte er zwei Schüsse ab. Motiv für die Tat sei andauernde Lärmbelästigung gewesen.

Die Tochter hat die Tat schwerverletzt überlebt. Stundenlang habe sich die junge Frau nicht aus ihrem Zimmer getraut, wurde erst nach einem Tag von einem Nachbarn im Garten gefunden. Aussagen kann die junge Frau bis heute nicht. Sie hat „autistische Züge“. Als Nebenklägerin wird sie vor Gericht von einer Anwältin vertreten.

Papa hat manchmal Mama geschlagen

„Trotz ihrer geistigen Behinderung ist gerade Astrid diejenige gewesen, die den meisten Kontakt zur Außenwelt gehabt habe, da sie in einer Werkstatt für Behinderte gearbeitet hat“, berichtete Erich Kern, der leitende Ermittler in dem Mordfall. Das Ehepaar dagegen habe äußerst zurückgezogen gelebt, mit kaum Kontakten zur Außenwelt, obwohl Klaus Toll als Immobilienmakler vor Ort tätig war. Seine Frau sei, so hätten die Nachbarn ausgesagt, „höchstens mal rauchend am Fenster zu sehen gewesen.“

Als „verhaltensgestört“ sei die Familie einzustufen: Schreie, Krach, Streitereien, schlagende Türen, all das sei wohl an der Tagesordnung gewesen. „Toll war jemand, der sehr schnell aus der Haut gefahren ist“, ermittelte Kern. Auch soll er ein Alkoholproblem gehabt haben, seit 2007 aber wieder trocken gewesen sein. SOKO-Leiter Kern: „Tochter Astrid hat mal gesagt, dass der Papa manchmal die Mama geschlagen hat.“

Wand an Wand mit ihnen wohnte seit 1999 Familie D. Das Reihenhaus bekamen sie sogar von Toll vermittelt. Die nachbarschaftlichen Beziehungen seien also anfangs intakt gewesen. Ab dem Jahr 2001 habe es einen „kindischen Briefwechsel ohne höfliche Anreden“ gegeben, wie Kern es formuliert. Grund sei Lärmbelästigung gewesen, aber auch überhängende Zweige und dergleichen. „Ein typischer hessischer Nachbarschaftsstreit“, titelt es auch Richter Wagner. Danach hätten die Nachbarn im Streit gelebt, aber ohne direkten Kontakt.

Prozess ist für zehn Verhandlungstage angelegt

Familie D. habe ein „ganz normales, unauffälliges“ Leben geführt. Die Nachbarn bezeichneten Andreas D. als „ruhigen, guten Vater“. Der Industriekaufmann galt auch bei seinen Kollegen als zuverlässig und unauffällig. Doch auch er habe nur wenige soziale Kontakte gehabt. „Er hat mal gesagt, dass er keine Freunde brauche, er mache alles mit sich selbst aus“, so der SOKO-Leiter. Am Anfang fungierte Andreas D. noch als Zeuge. Auf seine Spur kamen die Ermittler, da am Tatort Schaumstoffteilchen gefunden wurden. Diese werden als Schalldämpfer für Pistolen benutzt. Die Bauanleitung für einen solchen Schallschutz habe er im Internet recherchiert, und zwar von seinem Arbeitsplatz aus. Das konnten Experten anhand sogenannter IP-Spuren feststellen, die jeder Internetbenutzer auf den Seiten hinterlässt, die er besucht.

Im Keller von Andreas D. fand die Kripo eine Bundeswehrhose mit Schmauchspuren sowie Arbeitshandschuhe. Ein Alibi hatte der dreifache Familienvater nicht, zumal auch seine Frau in der Tatnacht nicht zuhause war. Als sehr „dichte Indizienkette“ bezeichnet dies die Staatsanwaltschaft. Doch ein „großer Lauschangriff“, bei dem die Wohnung und das Auto von Andreas D. verwanzt wurden, führte nicht zum gewünschten Erfolg. Daher bezeichnete der Verteidiger die Indizien als löchrig, warf sogar den Ermittlern vor, sie hätten schlampig gearbeitet. Außerdem seien nie DNA-Spuren des Angeklagten am Tatort gefunden worden.

Der Prozess ist zunächst für zehn Verhandlungstage angelegt. Mehr als 60 Zeugen und sechs Sachverständige sind dazu geladen.

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