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Abschied von der Edward-Flanagan-Schule in Babenhausen

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Von: Norman Körtge

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„Mir reicht’s, ich geh’ jetzt Fahrradfahren“ – Peter Baumann verabschiedet sich.
„Mir reicht’s, ich geh’ jetzt Fahrradfahren“ – Peter Baumann verabschiedet sich. © Körtge

Nach 22 Jahren als Leiter der Edward-Flanagan-Schule ist Peter Baumann offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden.

Babenhausen - Der Dieburger Peter Baumann war insgesamt 42 Jahre im Schuldienst tätig. Bevor er an die Babenhäuser Sonderschule kam, war er in Darmstadt für die Ernst-Elias-Niebergall-Schule tätig, ein sonderpädagogisches Beratungs- und Förderzentrum. Solch ein Zentrum baute Baumann auch in Babenhausen auf.

Herr Baumann, können Sie sich noch an Ihren ersten Schultag an der Edward-Flanagan-Schule erinnern?

Ja, tatsächlich. Es gab einen offiziellen ersten Schultag, das war der 25. April 2000. Und das ist der Geburtstag meines Sohnes. Allerdings hatte ich zuvor bereits in den Osterferien die Akten gesichtet und mir einen Überblick verschafft.

22 Jahre nach Ihrer Amtseinführung: Auf was blicken Sie stolz zurück?

Da sind zwei Sachen. Zum einen nach Außen hin, dass wir regionales Beratungs- und Förderzentrum geworden sind und damit die Zusammenarbeit mit 15 Schulen in Babenhausen, Otzberg, Groß-Umstadt und Schaafheim sehr intensiviert haben und ein wirklich gutes Netzwerk mit Förderschullehrkräften an den allgemeinen Schulen haben aufbauen können. Davon profitieren Schüler mit besonderen Auffälligkeiten und diejenigen, bei denen ein Anspruch auf sonderpädagogische Förderung festgestellt wird im inklusiven Setting.

Und was ist das Zweite?

Schulintern würde ich als Stichpunkt die Entwicklung hin zur Ganztagsschule nennen. Das ist ein ganz entscheidender Punkt für die Größeren hier im Haus selbst – und für die Kleineren inklusiv im „Pakt für den Nachmittag“ an der benachbarten Schule im Kirchgarten.

Diese Zusammenarbeit mit der Grundschule ist auch prämiert worden.

Ja, richtig. 2019 haben wir dafür einen „Innovationspreis Inklusion“ gewonnen.

Welche Veränderungen haben Sie in den vergangenen gut zwei Jahrzehnten festgestellt?

Man kann sagen, dass es gelungen ist, Schule ein stückweit vom reinen Lern- zum Lebensraum zu entwickeln. Und dies sowohl in den allgemeinen Schulen als auch hier bei uns. Neben der Wissens- und Könnenvermittlung ist das Pädagogische, die Erziehung, mehr in den Mittelpunkt gerückt.

Können Sie Beispiele nennen?

Es wird nicht nur im Klassenraum gesessen und Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt, sondern wir sind auch Bikeschool: Wir lernen Fahrradfahren. Wir sind auch zertifizierte OloV-Schule, das heißt, wir kümmern uns insbesondere um den Übergang von der Schule in den Beruf. Nicht nur hier, sondern auch für die Schüler, die in der inklusiven Beschulung sind.

Was hat es mit der Bikeschool auf sich?

Die Bikeschool hat ganz viele Aspekte. Zum Beispiel die Gesundheit mit Gleichgewichtsschulung, Ausdauer und Krafttraining. Dazu die Verkehrserziehung. Damit wird eine sozial-gesellschaftliche Komponente erfüllt. Und dann der berufsvorbereitende Aspekt, denn die Räder müssen auch gewartet und repariert werden.

Ihr Bezug zum Rad kommt nicht von ungefähr: „Mir reicht’s, ich geh’ jetzt Fahrradfahren“ steht auf einem Plakat in ihrem Büro.

Ja, ich fahre selbst viel Rad. Jeden Tag von Dieburg nach Babenhausen. Ich habe es ausgerechnet: In den 22 Jahren bin ich 80 000 Kilometer mit dem Rad gependelt.

Wie hat sich der Lehrerberuf in den zurückliegenden Jahrzehnten verändert

Bei uns ganz stark, weil die meisten eben Kollegen im regionalen Förder- und Beratungszentrum tätig und damit keine Klassenlehrer, sondern zum Beispiel für einen ganzen Jahrgang zuständig sind. Sie müssen sehr viel kooperieren mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen und damit natürlich mit sehr unterschiedlichen Charakteren zurechtkommen, sich in deren Arbeitssystem einfuchsen und dabei trotzdem ihre eigenen Ziele nicht verlieren.

In der Diskussion ist immer wieder eine Abschaffung der Förderschulen und Schaffung eines rein inklusiven Systems. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin ein Verfechter von beidem parallel. Ich finde die Inklusion ist absolut wichtig und wir haben ja auch mehr Schüler mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung im inklusiven Setting als in der Förderschule. In der Inklusion betreuen wir etwa 125 Schüler und hier an der Förderschule sind es 85. Für die Mehrheit hat die Inklusion absolut ihre Berechtigung, aber es gibt eben auch einige Kinder, die in einem inklusiven Setting nicht gut zurechtkommen.

Gibt es einen Nachfolger?

Meiner Kenntnis nach ist jemand im Bewerbungsverfahren.

Nach 42 Jahren im Lehrerberuf: Was werden Sie vermissen?

Das ist Lebendigkeit im Kontakt mit so vielen Menschen. Damit meine ich die Schülerinnen und Schüler, aber auch die vielen Kolleginnen und Kollegen. Das habe ich immer sehr geschätzt.

Gegenfrage: Was werden Sie nicht vermissen?

Die vielen Verwaltungsabläufe.

Auf was freuen Sie sich?

Das in meinem Leben mehr Ruhe einkehrt. Heißt: Das ich die Dinge, die ich auch jetzt schon tue, mit mehr Ruhe und nicht in der Hektik nebenbei machen muss.

Gibt es einen unvergesslichen Moment in den 22 Jahren an der Flanagan-Schule?

Das ist sicherlich die Jubiläumsveranstaltung zum 40-jährigen Bestehen der Schule 2016. Wir haben uns lange überlegt, wie wir ein Jubiläum für ein Beratung- und Förderzentrum feiern. Eine Schule macht das mit eine akademische Feier oder einem Schulfest. Wir haben das dann mit einer Podiumsdiskussion zu Entwicklungen in der Sonderpädagogik getan. Und an dem Tag habe ich auch den Antrag auf Schulnamenskorrektur von Eduard zu Edward eingereicht. Meine damaligen Konrektorin hat dies in der Figur des irischen Priesters Edward Flanagan getan,

Warum hieß die Schule zunächst eingedeutscht Eduard-Flanagan-Schule?

Eventuell war die Befürchtung da, dass die Schüler den englischen Vornamen nicht aussprechen können. Aber das ist eine Vermutung. Leider kann ich meine Vor-Vor-Gängerin nicht mehr befragen. Sie ist verstorben. Fakt ist: Einen Eduard hat es nicht gegeben. Und wir wollten die Historie dieser Persönlichkeit gerechet werden. Er lebte um 1900, wanderte in die USA aus und war ein sehr beeindruckender Mensch. Er hat den Gedanken der Resozialisierung in Zusammenhang mit eigener Arbeit in die Gesellschaft getragen. Und das ist ein Gedanke, wenn auch in anderer Form, der uns hier vorantreibt im Zuge der Berufsorientierung.

Ein Blick in die Zukunft: Welchen Herausforderungen muss sich die Edward-Flanagan-Schule stellen?

Die Herausforderung ist der Umgang mit dem politischen Willen, die sogenannte sonderpädagogische Grundversorgung an die allgemeinen Schulen zu bringen. Das heißt, große Schulen werden die Möglichkeit haben, ihre eigenen Förderschulkräfte an die Schule zu holen. Im Grundschulbereich hätte dies bereits die Babenhäuser Schule im Kirchgarten und die Geiersbergschule in Groß-Umstadt machen können. Sie haben aber darauf verzichtet. Was passiert dann langfristig mit dem Beratungs- und Förderzentrum? Wie verändern sich dadurch die Aufgaben? Wird es das Zentrum langfristig noch geben? Das sind die Fragen in der Hessenweite Debatte und zugleich die Herausforderung.

Und für was plädieren Sie?

Ich plädiere dafür, dass wir dieses System, dass wir vor 20 Jahren angefangen haben aufzubauen, das man natürlich an der ein oder anderen Stelle verändern kann, beibehalten soll. Denn aus meiner Sicht hat sich dieses System bewährt. (Norman Körtge)

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