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Babenhausen: Ein Gotteshaus voller Engel

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Ein Medaillon von Eberhard Fischer zeigt die Taufe Jesu.
Ein Medaillon von Eberhard Fischer zeigt die Taufe Jesu. © -

Die nach St. Nikolaus benannte gotische Stadtkirche Babenhausens steckt noch voller Geheimnisse. So weiß eigentlich niemand genau, wer deren großartigen Schnitzaltar (ab 1503) geschaffen hat. War es gar Meister Riemenschneider persönlich oder seine Werkstatt? Was enthüllen partiell freigelegte Wandmalereien? Damit beschäftigt sich auch die ehemalige Babenhausener Schulpfarrerin Ruth Selzer-Breuninger in ihrem neuen Führer zur Stadtkirche für „junge und junggebliebene Menschen“.

Ein Faible hat sie für Suchspiele. Bei einem geht es um die Entdeckung von Engelsfiguren und Darstellungen in St. Nikolaus. Bis 2021 hatte die Theologin 30 Engel entdeckt, bei erneutem Nachsuchen waren es 34, nun ist sie bei 39 Engeln angelangt – Ende offen.

Vielleicht sind es mehr, auch auf den meist im Dunkeln stehenden, später bemalten Werktags-Rückseiten des Schnitzaltars. Dort wird Maria bei der Verkündigung durch Engel Gabriel von einer Wolkengloriole mit sieben Engelsköpfchen umschwirrt. Selzer-Breuninger dazu: „Engel als Himmelsboten Gottes sind im wirklichen Leben nicht materiell fassbar. Aber sie sind ein spannendes Thema, auch in der Stadtkirche. Sie fallen dort nicht besonders auf, man muss bewusst nach ihnen suchen. Die goldenen Putten an der Orgel und am Grafenstuhl findet man schnell. Mit etwas Neugier entdeckt man weitere Engel in den Wandmedaillons und in alten Wandmalereien.“

Selzer-Breuningers Lieblingsengel erkennt man mit einem Leuchter „zwischen Tür und Angel“ im Chor auf der Stufe zur Sakristei: „Er hat kein Gesicht, wirkt aber mit seinen roten Haaren, dem weißen Gewand und dem roten Mantel sehr präsent. Auch wenn wir Engel gerne vermenschlichen, oft malen, verkitschen oder als spirituelles Hilfsmittel benutzen, in Wahrheit gehören sie in eine Sphäre, zu der wir Menschen keinen Zugriff haben.“ Dieser im späten Mittelalter gemalte Engel aber ist sehr gut sichtbar unter zwei freigelegten Wandmalereien des 15. Jahrhunderts an der nördlichen Chorwand.

Darin geht es um Tod und Begräbnis Mariens und ums Jüngste Gericht. Man sieht oberhalb der aufgebahrten Muttergottes drei Engel mit Kreuzstab, Kerze und Palmzweig, darüber Gottvater, das „Seelenkind“ der Verstorbenen auf der Schulter.

Beim anderen Wandbild thront Christus als Weltenrichter in der Mandorla auf einem Regenbogen, neben ihm posaunen schwebende Engel Fanfaren zur Auferweckung der Toten. Gut restauriert sind auch die sechs Medaillons in den Arkadenzwickeln des Langhauses mit Szenen zum Leben Christi. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden sie um 1620 geschaffen vom Babenhausener Stuckateur und Maler Eberhard Fischer (1583-1625), der Beachtliches in der Aschaffenburger Jesuitenkirche, in Seligenstadt und auf Burg Breuberg geschaffen hat.

Fischer zeigt drei Himmelsboten: Einmal beobachtet ein Engel die Taufe Jesu am Jordan, dann ist Jesu Himmelfahrt von vier Engeln flankiert. Im Medaillon zum Garten Gethsemane zum betenden Jesus in Todesangst taucht ein Engel mit Kreuz in einer Wolke auf, darunter liest man gotisch gemalte Worte aus Matthäus 26: „Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn und es kam, dass er mit dem Tode rang und betete heftiger…“ Da ist also der Schutzengel, von dem wir Menschen immer sprechen. Dazu die Pfarrerin: „Es gibt Situationen, da spüren wir, dass wir geschützt waren. Hinterher sagen wir, da war eine gute Macht, ein Schutzengel, an meiner Seite.“ Bisher unklar scheint auch, wer die vier Evangelistenbilder auf dem frühbarocken Grafenstuhl gemalt hat. Dabei liegt es im Stilvergleich mit den Medaillons auf der Hand, dass Markus mit dem Löwen, Johannes mit dem Adler, Lukas mit dem Stier und Matthäus mit dem großen Engel auch vom „Tüncher und Mahler“ Fischer porträtiert wurden.

Die Fragezeichen gehen weiter. An Stiche Albrecht Dürers erinnert der Engel Gabriel auf dem Schnitzaltar bei der Verkündigung an Maria am Betpult. In Gustel Steins bunten Chorfenstern von 1956 entdeckt man mehrere Engel, darunter auch den Cherubim mit dem Schwert, der Adam und Eva aus dem Paradies weist.

Über Butzenscheiben der Grafenloge derer zu Hanau-Lichtenberg schweben Engelsputten mit vergoldeten Flügeln. Dazu passen vier kindliche Barockputten auf dem Orgelgehäuse. Auf dem Stein-Epitaph des 1570 verstorbenen Ritters Burkhard von Hertinghausen lugt ein kindlicher Cherub aus dem Dreiecksgiebel.

Dazu hat Selzer-Breuninger einen kleinen Engel ohne Flügel auf einem Wandgemälde in der Sakristei entdeckt. „Gottes Engel brauchen keine Flügel“, sagt sie dazu, „sie kommen in unauffälligen Gewändern, machen klare Ansagen, erhellen den Geist und geben Orientierung. Sie sind unfassbar und trotzdem glaubwürdig.“

Nicht nur zu Weihnachten sieht man die steinernen Engel über der Weihnachtskrippe auf der Außenwand-Nische, historische Kopie des Originals im Kirchenschiff. Per Spruchband geben beide die Losung: „Gloria in excelsis deo – Ehre sei Gott in der Höhe“. Es fehlt „Und Friede auf Erden bei den Menschen“, auch Thema der Christmette in der Stadtkirche, zelebriert von Ruth Selzer-Breuninger. (Reinhold Gries)

Ruth Selzer-Breuninger kennt alle Wandbilder und Geheimnisse der Stadtkirche.
Ruth Selzer-Breuninger kennt alle Wandbilder und Geheimnisse der Stadtkirche. © Gries
Ein Steinrelief an der Westfassade zeigt die Geburt Jesu.
Ein Steinrelief an der Westfassade zeigt die Geburt Jesu. © -
Ein Ausschnitt aus dem Schnitzaltar.
Ein Ausschnitt aus dem Schnitzaltar. © -

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