Geordnetes Chaos in der Schloss-Apotheke

Lediglich ein Surren ist zu hören, wenn in der Schloss-Apotheke der Greifarm durchs Medikamentenlager rauscht. Derzeit wird das in die Jahre gekommene System erneuert. Ein Blick hinter die Kulisse.
Babenhausen – „Ibuprofen 400 Milligramm, 50 Stück, bitte!“, sagt ein Kunde in der Schloss-Apotheke von Harald Perschbacher. Der Apotheker erledigt ein paar Klicks am Rechner, es surrt – und plopp fällt die gewünschte Packung Schmerzmittel aus einer Öffnung in der Wand. Nichts Ungewöhnliches. In der Schloss-Apotheke gibt es schon seit 19 Jahren ein automatisches Medikamentenausgabe-System. „Damals waren wir die Nummer 241, die es von Becton Dickinson Rowa Germany bekamen“, erzählt Perschbacher. Heute hätten rund ein Viertel aller Apotheken in Deutschland eins, um sich den Gang zur Schublade zu sparen.
Demnächst soll die Ausgabe noch ein wenig fixer laufen. Perschbacher, der die Apotheke 1991 übernahm, hat zum 30-Jährigen in ein aktuelleres System investiert. Für das alte war die Garantie auf Ersatzteile verstrichen. 75 000 Euro kostet ihn allein die neue Anlage, 3 000 Euro berappt er für den Austausch der Kühlung, und mit allen Arbeiten drumherum werden am Ende die 100 000 Euro voll sein, schätzt er.
Grund genug, um mal zu zeigen, wie solch ein Kommissioniersystem im Detail funktioniert und Perschbacher ermöglicht einen Blick hinter die Kulissen.
Zunächst geht es in den 7,40 Meter langen Gang, der direkt hinter der linken von zwei Kassen liegt. Hier war früher das Lager, und hier soll auch wieder das Lager hinein. Wo vor einer Woche gähnende Leere herrschte, reiht sich nun ein noch ungefülltes gläsernes Regalfach neben und über dem anderen. Auf beiden Seiten des Ganges. Die Medikamente werden, alphabetisch völlig kunterbunt, nur nach Packungsgröße einsortiert, sodass – frei nach Tetris – möglichst viele hineinpassen. Der Gegensatz zur alten Anlage: Auch zwei unterschiedliche Medikamente können hintereinander. Etwa 10 500 Packungen, deutlich über 1000 mehr als vorher, sollen peu à peu ab morgen auf diese Weise unterkommen. Dabei kann es sein, dass die eine Voltaren-Salbe zwei Meter von der nächsten entfernt steht. Auf den ersten Blick: Chaos pur. Aber der Greifarm des Kommissionierers, der sich in vier Sekunden vom einen bis zum anderen Raumende bewegt, findet dank gespeicherter Pharmazentralnummer, was derApotheker sucht. Und er gibt Medikamente nicht nur aus, er räumt sie genauso ein.

Ohne solch ein System wären Perschbachers Mitarbeiter nach der Lieferung von Ware – pro Sendung 150 bis 250 Packungen – bis kurz vor 10 Uhr damit beschäftigt, händisch einzusortieren. „Was weniger Zeit für die Kunden bedeuten würde“, meint der Chef. Ganz anders der Kommissionierer. Legt man ihm neue Medikamente aufs Fließband, räumt er sie nach seiner Tetris-Methode ein: In Magazin 7 sind in Regalboden 25 noch 15 auf 3 auf 4 Kubikzentimeter frei – eine entsprechend große Packung wird dorthin geschoben. Bei hundert Medikamenten dauert das rund zehn Minuten. Will zwischendrin ein Kunde ein Arzneimittel kaufen, unterbricht das System die Räumtätigkeit und schaltet auf Ausgabe um. Und wenn mal weder ein- noch ausgegeben wird, optimiert es sich selbst und versucht, neuen Platz zu schaffen.
Der neue Automat zieht durch beidseitigen Druck die Packungen aus dem Regal, nicht mehr wie der alte durch Ansaugen per Vakuum, erklärt Perschbacher. So können mit einem Zug gleich zwei Packungen auf dem Greifarm landen. Will der Greifer die hintere Packung, lässt er nur diese zur Warenausgabe wandern, und die vordere kommt zurück. Hierbei hat die Kasse, die direkt hinter dem Lager steht, besonders kurze Wege. Und die zweite ist über ein Deckenrohr und eine nach unten fördernde Schraube mit dem Automaten verbunden. Für die Kunden ist nichts anders als die 19 Jahre zuvor – nur alles einen Tick schneller.

Zurzeit sind die Medikamente noch ausgelagert und stehen in einem Container vor der Apotheke, der ebenfalls ein Kommissioniersystem enthält. Die Schaufensterscheibe wurde vor zwei Wochen entfernt, damit das System per Rutsche durch die Ersatzwand den Innenraum erreichen kann. „Die Umlagerung der Medikamente mache ich außerhalb der Geschäftszeiten, sodass die Packungen während der Öffnungszeiten für unsere Kunden immer verfügbar sind“, so Perschbacher. Jedes Medikament wird dabei von Hand dem Außenautomaten entnommen und der neuen Anlage verfüttert. Bis Sonntag will der Apotheker damit fertig sein. Drei Wochen hat der Umbau dann insgesamt gedauert, der Container mit der Außenanlage kommt weg und die Schaufensterscheibe wieder rein. Und falls die Technik mal streiken sollte, weiß die EDV genau, wo in dem geordneten Chaos das gesuchte Medikament liegt, sodass man es per Hand holen kann. Aber so etwas ist laut Perschbacher in 19 Jahren nur viermal passiert. (zkn)