Hass, Gewalt und Terror gegen Juden in Babenhausen

Auf die Spuren des im Nationalsozialismus ausgelöschten jüdischen Lebens in Babenhausen, nicht nur in Form von Mahnmalen, Gedenktafeln und Stolpersteinen, begaben sich über 20 Bürger beim Rundgang „Orte der Erinnerung“, zu dem der Heimat- und Geschichtsverein (HGV) eingeladen hatte.
Babenhausen - Bundesweit wird in diesem Jahr der 1700-jährigen reichhaltigen jüdischen Kultur in Deutschland gedacht. Erste dokumentierte Hinweise auf jüdische Babenhäuser finden sich allerdings erst einige Jahre nach der Stadtrechtsverleihung von 1295 und zwar in einer Urkunde vom Jahr 1318. In Babenhausen und seinen Stadtteilen Sickenhofen, Langstadt und vor allem in Hergershausen gab es große jüdische Gemeinden. In Hergershausen waren zu bestimmten Zeiten über 20 Prozent der Bewohner jüdischen Glaubens.
Nach dem Krieg bis in unsere Zeit wurden viele sichtbare Zeichen jüdischen Lebens verwischt. Umso wichtiger, dass der HGV, der im Jahr 1988 zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome das inzwischen vergriffene Buch „Die Jude von Babenhausen“ herausgab, immer wieder erinnert.
Rundgänge über die jüdischen Friedhöfe in der Kernstadt und Sickenhofen bietet der HGV-Vorsitzende Georg Wittenberger seit Jahren an. Jetzt führte der Heimatforscher Joachim Heizmann in der Babenhäuser Altstadt zu noch sichtbaren Spuren und gab den verfolgten, vertriebenen und ermordeten Menschen ein Gesicht, auch im Wortsinn mit Fotos, die er mitgebracht hatte.

Im Jahr 1931 lebten in der Kernstadt noch 19 jüdische Familien. Über drei Familien – die Familien Albert Frank, Emil Kadden und Julius Seewald – und ihre Schicksale berichtete Heizmann eindringlich.
Start war am Marktplatz, wo am Rathaus eine Gedenkplatte für die Opfer des Nationalsozialismus angebracht ist und außerdem ein Stolperstein an Treidchen Manheimer erinnert. Ihr dort stehendes Fachwerkhäuschen ging 1939 in den Besitz der Stadt über. Ihr Schicksal konnte nicht mehr rekonstruiert werden, aber das der Familie Julius Seewald, die in der Fahrstraße 26 lebte. „Julius Seewald war ein angesehener Kaufmann und betrieb hier ein Baugeschäft mit Haushaltswarenabteilung. Er gehörte von 1924 bis 33 dem Vorstand der hiesigen Volksbank an“, sagte Heizmann. Vielleicht lasse sich aus dieser Position erklären, dass dieses Anwesen das einzige in Babenhausen war, das während der Nazi-Zeit nicht enteignet wurde und in „arische“ Hände überging. Es wurde von der Volksbank verwaltet. Das Geschäft hatte Seewald 1933 noch verkauft, ehe die Familie in die USA flüchtete. Fünf seiner Kinder sollen Deutschland bereits vor der Machtergreifung in Richtung USA verlassen haben.

Heizmann berichtete von Hass, Gewalt und Terror, der sich bereits ab 1930 offen zeigte. „1933 wurde Adolf Hitler in Harreshausen zum Ehrenbürger ernannt, 1934 auch in Babenhausen. Straßen wurden nach NS-Größen umbenannt. Bereits am 20. April 1933 – Hitlers Geburtstag – gibt es schulfrei.“
1932 wurden die Schaufensterscheiben in Seewalds Geschäft zum ersten Mal eingeworfen. Der bis dahin geachtete Bürger wurde schwer misshandelt und erlitt einen Herzinfarkt. Trotz dieser traurigen Erinnerungen besuchten seine Nachfahren Babenhausen später mehrfach. Darunter auch seine Enkelin Mindy Ratner, die am 9. November 2016 ein von Rechtsanwalt Ingo Friedrich gestiftetes und vom Babenhäuser „Büro für Erinnerungskultur“ konzipiertes Gedenkband am Standort der ehemaligen Synagoge in der Amtsgasse 16 enthüllte und einen jüdischen Segen sprach. Die in der Reichspogromnacht verwüstete und geplünderte Synagoge wurde wohl allein wegen ihrer Nähe zu den Nachbarhäusern nicht in Brand gesetzt, so Heizmann.
Am Wohnhaus und der früheren jüdischen Metzgerei der Familie Emil Kadden in der Fahrstraße 35 hängte Heizmann die Fotos von Emil, Selma und ihrem Sohn Friedrich Kadden auf, die sich nach Übergriffen in der Pogromnacht 1939 nach Köln abgemeldet hatten und später Richtung Osten deportiert wurden. Sie kamen dort nicht in das KZ Mali Trostinez, sondern wurden nach ihrer Ankunft in den Wäldern von Blagowschtschina erschossen und in einem der zahlreichen Massengräber verscharrt. „Warum vor ihrem Haus keine der 2015 in der Kernstadt verlegten Stolpersteine zu finden sind?“, wollten die Rundgangsteilnehmer wissen. „Weil diese nur vor dem letzten frei gewählten Wohnort der Juden verlegt werden und das war bei Familie Kadden in Köln“, erklärte Heizmann.

Die dritte Familie, an deren Schicksal erinnert wurde, war die Familie Albert Frank, die eine Großschlachterei betrieb und in der Amtsgasse 29 lebte. Hier sind auch Stolpersteine zu sehen. Albert und Lina Frank gehörten zu den letzten Babenhäuser Juden, denen 1939 noch die Flucht über England nach New York gelang. In der Pogromnacht wurde Albert Frank verhaftet und für einige Wochen im KZ Buchenwald eingesperrt. Ihr Sohn Walter Frank, der bis zu seinem Tod in Lima/Peru lebte, hatte Deutschland bereits 1938 verlassen, ging zunächst in der Schweiz in die Schule und wanderte 1940 ebenfalls in die USA ein. Engen Kontakt hatte Walter Frank immer mit seiner ehemaligen Schulkameradin, der früheren Stadtarchivarin Ria Fischer gehalten, sie auch in Babenhausen besucht. „Der Stadtplan von Babenhausen gehörte zum Familienheiligtum“, erzählte Heizmann. Für ihn sei Babenhausen immer noch „Dehaam“ schrieb Walter Frank 1988 in seinen „Erinnerungen“, die im Buch des HGV über die Babenhäuser Juden zu finden sind.
Die letzte Station des Rundgangs durch die Altstadt war das vom Künstler Norbert Jäger in Marmor gehauene, 1988 von der Stadt errichtete Mahnmal, das beinahe versteckt hinter der Stadtmühle am Parkplatz „Auf der Bleiche“ steht. Warum dieser Ort gewählt wurde, erklärte Heizmann: „Hier war früher ein jüdisches Ritualbad, eine Mikwa. Seine Überreste wurden 1987 abgerissen“. Es war nicht in der Denkmaltopographie des Landkreises aufgenommen. (Petra Grimm)