Ein Jahr danach: Keine heiße Spur

Babenhausen ‐ Samstag, 18. April 2009: Gegen 13.20 Uhr finden Passanten eine schwer verletzte junge Frau im Vorgarten eines Reihenhauses in der Friedrich-Ebert-Straße. Es ist die 37-jährige Astrid Toll, die bei ihren Eltern wohnt; sie überlebt die Schussverletzungen nach einer Notoperation. In dem Haus bietet sich den Rettungskräften ein Bild des Grauens. Von Stefan Scharkopf
Der Täter hat mehrere Magazine abgefeuert. Die 62 und 58 Jahre alten Eheleute Klaus und Petra Toll haben die Schüsse nicht überlebt. Ihre Tochter muss stundenlang blutend durchs Haus geirrt sein, bevor sie den Weg ins Freie fand. Die Frau kann bis heute keine Angaben zu dem Verbrechen machen. Auch knapp ein Jahr nach dem Doppelmord und dem Mordversuch an der Tochter bleibt der Fall rätselhaft. Bislang wurden über 1 000 Vernehmungen geführt, Hinweisen nachgegangen, und es gibt immer noch keine heiße Spur. Das Ehepaar lebte sehr zurückgezogen, das Privatleben war überschaubar und die Recherchen der Sonderkommission sind entsprechend schwierig. „Das Motiv liegt im Verborgenen, aber es gibt eins, da sind wir sicher“, sagt Polizeipressesprecher Karl Kärchner im Gespräch mit unserer Zeitung.
Der Einsatz der Sonderkommission im Juni 2009:
Als ein „sehr mysteriöses Verbrechen“ hatte Kriminaldirektor Rudolf Balß den Doppelmord im vergangenen September bei einem Pressetermin beschrieben. Aus dem beruflichen und privaten Hintergrund der Familie ergibt sich bislang kein Zeichen auf ein Motiv. „Es ist ein äußerst aufwändiges Ermittlungsverfahren“, so Karl Kärchner. „Wir haben keine heiße Spur. Wie es sich für uns darstellt, ist der Täter in der Absicht gekommen, um zu töten. Es steckte schon ein sehr entschiedener Wille dahinter, die drei Menschen umzubringen. Auch die Tochter sollte sterben, glücklicherweise hat sie aber überlebt.“

Heute lebt die Frau an einem sicheren Ort und wird betreut. Ihre physischen Verletzungen sind verheilt, über ihren psychischen Zustand sind Aussagen schwer möglich. „Wer kann schon in die Seele eines Menschen schauen?“, fragt Kärchner. Trotz kontinuierlicher Berichterstattung in den Medien, einem Schaukasten in der Friedrich-Ebert-Straße mit weiteren Hinweisen auf die Tat, ist die Nachrichtenlage übersichtlich. Gemessen an der Schwere des Delikts, so Kärchner, erhielt die Polizei vergleichsweise wenige Hinweise. Nichtsdestotrotz besteht die Sonderkommission weiter, wurde aber personell abgespeckt. Begonnen hatte die Soko FES 36 mit 20 Kollegen, später waren es 30, mittlerweile beschäftigt sich etwa eine Hand voll Beamte mit dem schwierigen Fall. „Es sind nach wie vor noch Gutachten auszuwerten von Befunden vom Tatort“, sagt Kärchner. Der Polizeipressesprecher beschreibt die kriminalistische Arbeit mit einem Bild: „Es ist eine sehr aufwändige Puzzlearbeit. Wir bewegen uns auf verschiedenen Straßen. Eine wird zum Ziel führen, da sind wir zuversichtlich.“ Eine dieser Straßen wurde auch am Abend des 3. Juni beschritten. Erneut hörten Nachbarn Schusssalven durch ihr Wohnviertel peitschen. Zeugen eines tatsächlichen Verbrechens wurden sie dabei aber nicht. Rund ein Dutzend Kripobeamte stellte das Tatgeschehen aus dem April mit scharfen Waffen nach.
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Denn den Ermittlern war bislang nicht ganz klar, ob Nachbarn die tödlichen Schüsse überhaupt gehört haben können. Schüsse mit unterschiedlicher Intensität sollten diese Frage klären: bauartgetreu, mit Schalldämpfer und schallgedämpft „Marke Eigenbau“ - so wie es der Täter gemacht haben muss. Geschossen wurde mit einer Walther P 38, einer Waffe, wie sie auch der Mörder benutzte. Hilfe holte sich die Soko auch beim Bundeskriminalamt und gar von Spezialisten aus dem Ausland.

So wie sich die Befunde nun darstellen, hatte der Täter ein Behältnis mit Schaumstoff gebaut und dieses vor die Tatwaffe gehalten oder aufgeschraubt, um möglichst keine Geräusche zu machen. Dennoch wurden die Schüsse in der Nachbarschaft gehört. Die Tatwaffe ist nach wie vor verschwunden. Bei der Walther P 38 handelt es sich um ein millionenfach für Wehrmacht und Bundeswehr produziertes Fabrikat. In einem Umkreis von 100 Kilometern hatte die Polizei rund 650 legal gemeldete Pistolen dieses Typs untersucht, die Tatwaffe war nicht darunter. Auch wenn es derzeit keine Hinweise aus der Bevölkerung mehr gibt: „Unsere Motivation ist weiterhin hoch“, sagt der Polizeisprecher.