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Sympathische Dorfgemeinschaft mit viel Zusammenhalt

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Heimatkundler und Ökokaufmann Frank-Ludwig Diehl in seinem kleinen Naturkostladen am Dorfanger.
Heimatkundler und Ökokaufmann Frank-Ludwig Diehl in seinem kleinen Naturkostladen am Dorfanger. © Gries

Ortsnecknamen können ganz schön gemein sein. So ist es auch mit Langstadt, deren Bewohnerinnen und Bewohnern sich „Lengschder Doureplätscher“ (Totenschläger) nennen lassen müssen. Dieser „Auszeichnung“ ist im 250 Seiten starken Jubiläumsbuch „750 Jahre Langstadt“ ein eigenes Kapitel in Mundart gewidmet, Seite für Seite eine Festschrift, die eigentlich nur in einem gut harmonierenden Dorf entstehen kann.

Langstadt – Frank-Ludwig Diehl, der am gemütlichen, dorferneuerten Anger mit vielen schönen Fachwerkhöfen und hoch aufragender Kirche seinen wie aus der Zeit gefallenen Naturkostladen betreibt, kennt sich aus mit Dialekt und Ortslegenden. Er ist der Sohn des bekannten Langstädter Naturschützers Otto Diehl, aktives Mitglied im Nabu-Ortsverein, Kirchenvorstand, passionierter Heimatkundler, Sitzungspräsident des TSV Langstadt-Karnevals und stellvertretender Ortsgerichtsvorsitzender. Er sagt: „Zur Doureplätscher-Legende gibt es mehrere Versionen. Vor dem 30-jährigen Krieg hatte Langstadt keinen eigenen Friedhof, musste Verstorbene auf den Gottesacker der damaligen Nachbargemeinde Altdorf bringen, über einen schlechten Weg. Als eines Tages der Leichnam von Hans, einem etwas verrufenen Lengschder, bei miesem Regenwetter und unbezahlt Richtung Altdorf gebracht wird, springt der Sarg auf und der Tote fällt auf den Boden.“ So weit so schlecht. Dazu Mundartstrophen aus dem Festbuch, gesprochen vom „Scholz“ und vom „Schultheiß“: „Faul Hans is deserdiert, wer faul worr en soim Lääwe, der is aach faul em Doud. De soin von seune Straasch. Jetzt gäihts serick, mir haachen lerrerwaasch…Nou pläddschesen mit Rache…bis em es Wasser läuft aus de Aache.“

Au weiah! Danach legt man den Toten zurück in den nun besser vernagelten Sarg und bringt ihn eilig auf den Kirchhof. Leute aus Nachbardörfern hatten einiges mitbekommen.

Der Höhepunkt von Langstadt: die neugotische Kirche an der Hauptstraße.
Der Höhepunkt von Langstadt: die neugotische Kirche an der Hauptstraße. © Gries, Reinhold

Schaut man nun dem Bio-Kaufmann in seine verschmitzt lächelnden Augen inmitten seines Verkaufsparadieses, so findet man hier nirgendwo Bestätigung für derlei Rohheit. Diehl macht mit Überzeugung Dorfführungen, schreibt schöne Abhandlungen zur Ortsgeschichte, kümmert sich mit Bruder Dirk und anderen rührend um Tiere und Pflanzen im Naturschutzgebiet Wingertsberg, bastelt und verlegt nostalgische Ansichtspostkarten über Langstadt und Umgebung.

Gegenüber betritt man Jutta Vollmanns „Ökofaktum“-Laden. Sie kommt aus dem Odenwalddorf Heubach gerne nach Langstadt: „Das hier ist ein besonderer Ort, das Dorf und seine Bewohner geben mir Kraft. Ich möchte deshalb meinen Design-Laden zum Treffpunkt und Diskussionsort machen zu meinen Ideen einer durchgreifenden Lebensreform.“

Kirchenvorstandsvorsitzende Monika Fischer-Krapp mit dem kunstgeschmiedeten Turmschlüssel.
Kirchenvorstandsvorsitzende Monika Fischer-Krapp mit dem kunstgeschmiedeten Turmschlüssel. © Gries, Reinhold

Nein, auch sie ist keine „Doureplätscherin“. Vielleicht versteckt sich solche Spezies in Nebengassen oder dunklen Ecken. Aber, wenn man das doppelte Oval des komplett denkmalgeschützten Ortskernes abläuft, erblickt man nur blitzsauber renovierte Hofreiten und hübsche Häuschen, einen bunt sortierter Dorfmarkt, ein sich „Bretzel“ nennenden einladenden Landgasthof mit hessischer Küche und Fremdenzimmern, ein stilles altes Rathaus mit Laubengang, geschmiedete Handwerker-Schilder, eine Bächles-Rinne, den breiten Torbogen einer ehemaligen Wassermühle, grüne Gräben und lauschige Gärtchen. Vorbei am ehemaligen „Hirtenhaus“ für dorfeigene Gänsehirten geht es zu weiten Wiesen, Feldern und weit verstreuten Bauernhöfen. Ein Bild, das fast wie eine Fata Morgana vermeintlich untergegangener Dorfidyllen wirkt. Aber alles hier ist echt. Mit den „Ureinwohnern“ gerät man schnell in freundliche Gespräche, die gar nicht so kurz geraten.

Dann geht es zum Höhepunkt von Langstadt, der neugotischen Kirche, in deren hohem Turm schon jahrhundertelang Schleiereulen leben. Auf der herrlichen Bechstein-Orgel bereitet gerade Organist Dieter Haag den Gottesdienst vor. Nach bewundernden Blicken auf edle Glasmalerei in mundgeblasenen Fenstern, schließt eine Frau den Treppenzugang zum Turm auf – und das mit einem 20 Zentimeter langen, in Kärnten kunstgeschmiedeten Bartschlüssel. Es ist Monika Fischer-Krapp, neue Kirchenvorstandsvorsitzende der evangelischen Gemeinde, die wochenlang kaum schlafen konnte, weil sie erst nicht kandidieren wollte. Jetzt macht sie mit Mechaniker Frank Stoiber ihren ersten amtlichen Turmrundgang, bei dem nur kleinere Schäden im Mauerwerk entdeckt werden. Nicht nur die herrliche Mechanik des Königlich Bayrischen Turmuhrwerkes von 1880 mit dem freischwingenden Pendel und springenden Minuten, seit 40 Jahren bedient und aufgezogen von Dieter Haag, bestätigt sie darin, sich mit voller Kraft für die denkmalgeschützte Kirche und ihre Gemeinde einzusetzen: „Als Bibelerzählerin will ich unsere Inhalte verstärkt an die Dorfkinder bringen, dazu Klangkirchen-Projekte fördern und unsere Pfarrstelle wieder besetzt haben.“

Schulpfarrerin i.R. Ruth Selzer-Breuninger springt ihr bei: „Diese Kirche, dieser Ort haben es verdient. Meine Eltern sind mit mir täglich mit dem Fahrrad von Babenhausen nach Langstadt zu Verwandten gefahren. In der Hofreite links der Kirche und auf dem Kirchplatz erfuhr ich Nähe und Wärme, sozialen Zusammenhalt und begriff, was bäuerliches Leben im Dorf ausmacht. In der Küche am Herd wurden Neuigkeiten erzählt, es wurde dort gemeinsam gegessen. Wir Kinder waren meistens draußen und gingen mit aufs Feld, Kartoffel lesen oder Heu machen. Auf dem Kirchplatz spielte sich das Leben ab, auch bei Hochzeiten, Konfirmationen und Festen…Auch wenn viele Jahre vergangen sind, einiges von diesem Zusammenhalt ist in Langstadt noch zu spüren.“ Kein Wunder, dass aus solch einem Dorf keiner weg will. (Von Reinhold Gries)

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