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Viel zu wenig Feinde

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In der ausverkauften Markwaldhalle in Babenhausen präsentierten Hans-Joachim Greifenstein und Clajo Herrmann ihr Programm „Mach Kain Stress“.
In der ausverkauften Markwaldhalle in Babenhausen präsentierten Hans-Joachim Greifenstein und Clajo Herrmann ihr Programm „Mach Kain Stress“. © Just

Ausverkauftes Heimspiel für Hans-Joachim Greifenstein und Clajo Herrmann vom „Erstes Allgemeines Babenhäuser Pfarrer(!) Kabarett“ beim Heimspiel in Langstadt.

Babenhausen-Langstadt – „Früher war der Bürgermeister eine Respektsperson, heute ist er der Fußabtreter für jeden Dackelbesitzer, dem die Hundesteuer zu hoch ist“, sagt Hans-Joachim Greifenstein über den Wandel der Zeit. Verleumdungen, Hasstiraden oder Shitstorms – das Internet und die sozialen Medien sind derzeit voll davon. Manchmal könnten die Beschimpfungen auch als Lob empfunden werden, etwa wenn sie aus der rechten Ecke stammen.„Dann weiß man, dass die Arbeit anständig gemacht wurde“, so Clajo Herrmann. Aufgrund der überschaubaren Zahl an Beleidigungen, die das Pfarrerkabarett in den letzten 25 Jahren eingeheimst hat, kommen ihm aber mittlerweile Zweifel, ob man die Sache nicht besser hätte machen können: „Ich will auch mal richtig beschimpft und als Nervensäge ernst genommen werden.“ Nach derzeitigem Stand habe man deutlich zu wenig Feinde generiert und damit Respekt verdient.

Das „Erste Allgemeine Babenhäuser Pfarrer(!) Kabarett“ ist für seine Gesellschaftssatire bekannt. Dass die auch im 15. Programm mit dem Titel „Mach Kain Stress“ nicht zu kurz kommt, davon konnte sich das Publikum am Samstagabend in der Langstädter Markwaldhalle überzeugen. Das Heimspiel der Bühnenakteure wurde am Zuspruch evident: „Sämtliche Karten gingen im Vorverkauf weg“, berichtete Lara Kresz beim Blick auf die über 200 Besucher, die der Einladung der städtischen Abteilung „Jugend, Sport & Kultur“ folgten.

Bereits mit dem biblischen Namen „Kain“ versteckte sich im Programmtitel schon die erste Anspielung auf Wutbürger, Querdenker oder Verschwörungstheoretiker, die Greifenstein im Verlauf des Abends immer wieder genüsslich mit einem seiner Lieblingsbegriffe aus dem südhessischen Wörterbuch – „hirn-schlecht“ – in Verbindung brachte. „Eine Verschwörungstheorie muss so wahnsinnig verdreht sein, dass die, die sonst nie was kapieren, plötzlich sagen, dass sie es verstanden haben“, erläuterte Greifenstein. Kollege Herrmanns schickte sich daraufhin sogar an, eine eigene Schwurbel-Theorie zu kreieren und in die Welt zu setzen. So sei Elvis nicht gestorben, sondern lebe anonym als Papst im Vatikan weiter. Laut dem Comedian gebe es dafür im Internet klare Beweise – wenn man sie denn richtig sortiert.

Den ganzen Abend Verschwörer persiflieren wollte das Pfarrerkabarett nicht, weshalb man in bekannter Weise auch den mannigfaltigen Alltagsproblemen und -erscheinungen den Spiegel vorhielt. Die Inflation der Anglizismen in der deutschen Sprache („Fresh-Air-Snapping“ statt Spazierengehen) wurde ebenso auf die Schippe genommen, wie die Paar-Probleme im Baumarkt („Er hat den Wagen, sie das Sagen“).

Auch in ihrem aktuellen Programm enttäuschten Hans-Joachim Greifenstein und Clajo Herrmann nicht: zwei Stunden mit Pause unterhielten sie vortrefflich ihr Publikum und erfüllten das Versprechen, dass ein langer Abend bevorsteht. Wie sie sagten, sei das bei so viel „Bleede“, die gerade verstärkt die Evolution aufhielten und für die es eigentlich einen „Deppe-Duldungs-Zuschlag“ bräuchte, gar nicht schwer. Sowohl als kongeniales Duo oder solo lieferten sie als messerscharfe Beobachter Kabarett auf hohem Niveau, das mit einem Appell für mehr Vernunft einherging. Immer wieder wurden gesellschaftliche und moralische Missstände thematisiert und die hohe Kunst des Kabaretts erfüllt, tiefgängige Kritik humorvoll zu verpacken. Einmal lachte das Publikum über die Existenz von Sound-Ingenieuren in der Autoindustrie, die tatsächlich existieren. Sie tüfteln daran, wie Geräusche am Auto, etwa von zufallenden Türen oder Fensterhebern, bestmöglich klingen. Dass weite Teile Afrikas bis heute kein sauberes Trinkwasser haben, weil hier – anders als bei den Klanggeräuschen – kein Profit zu erzielen ist, stellte Greifenstein als nachdenkliche Komponente gegenüber. Dabei kam er zu dem Entschluss, dass die Arbeit von Sound-Ingenieuren „so nötig ist wie eine Katzenklappe im U-Boot“.

Die Kirchenkritik, für die das Pfarrerkabarett einst stand, wurde in Langstadt zwar nicht ausgespart, nahm aber einen geringeren Stellenwert ein als gewohnt. Hier wurde sogar eine Verbindung zum Hauptthema des Abends hergestellt, und zwar, dass die Religionen ebenfalls schon absurde Dinge erfanden, um sich wichtig zu machen. Die Katholiken mit ihrem langjährigen „Hauptgeschäftspartner“, dem Teufel, fungierten als Beispiel. Der sei schließlich nur dazu da gewesen, Angst zu machen, ob man in den Himmel oder die Hölle kommt. „Heute wollen die Leute gar nicht mehr in den Himmel, die wollen ins Fernsehen!“, resümierte Greifenstein. Beim Jauch hocken und klatschen sei das höchste Credo. Im Übrigen wäre Geschwurbel in der Religion noch nicht in Gänze verschwunden: „Das Konzept klappt noch, wenn auch immer weniger“, stellte das Duo fest. Dem christlichen Glauben bleiben die beiden ehemaligen Pfarrer verbunden: „Man wird durch die Geschehnisse zwar müde, trotzdem bin ich noch dabei“, meinte Greifenstein. Das dürfe gerne als das größte Wunder gelten. (Michael Just)

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