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Messerattacke vor Gericht: Bluttat vor Augen geführt

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Bild vom damaligen Tatort in Babenhausen. © dpa

Darmstadt/Babenhausen - Das psychiatrische Gutachten, der Rechtsmediziner und eine virtuelle Tatortbegehung standen im Mittelpunkt des dritten Verhandlungstages um die Messerattacke im Dezember. Von Norman Körtge

Keine Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung, kein in Verbindung mit der Tat stehender Alkohol- oder Drogenkonsum, keine Merkmale auf eine tief greifende Bewusstseinsstörung – und damit voll schuldfähig. Das ist – stark zusammengefasst – die Essenz aus dem psychologischen Gutachten über Sultan U., das am dritten Verhandlungstag vor dem Landgericht Darmstadt von Dr. Christian Knöchel (Vitos Klinik Riedstadt) der Strafkammer um Richter Volker Wagner präsentiert wurde. Dr. Knöchel sprach dem wegen versuchter fahrlässiger Tötung an seiner Ehefrau Angeklagten auch ab, dass es sich um eine Tat im Affekt gehandelt haben könnte. Dazu sei der Tatablauf in dem gemeinsamen Haus über einen zu langen Zeitraum gegangen und zu komplex gewesen: die Messerattacke auf seine Frau und die zu Hilfe eilende Schwester, das Auftreten der Badezimmertür. Dass extreme Gefühle bei dem 55-Jährigen im Spiel gewesen sein müssen, der sich von seiner Ehefrau betrogen und ihrer gesamten Familie ausgenutzt sah, bestritt der Gutachter nicht. Der Begriff Kränkungswut fiel, die durch die von Dr. Knöchel ausgemachten stark ausgeprägten narzisstischen Züge beim Täter massiv verstärkt worden sei, bis es eben im Dezember vergangenen Jahres zu der Bluttat kam.

Den massiven Gewaltausbruch des Angeklagten bekamen die Prozessbeteiligten und Zuschauer, unter ihnen auch wieder die am Tattag lebennsgefährlich verletzte Ehefrau – die, wie berichtet, ihrem Mann verzeiht, gar die Schuld auf sich nimmt – vor Augen geführt.

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Zunächst mit einem durch die Kriminaltechniker mit Hilfe von Sphären-Aufnahmen ermöglichten virtuellen Rundgang durch das Haus. Zu sehen sind Blutspritzer und -flecken im Hausflur und dann eine große Blutlache in dem Wohnraum im Erdgeschoss, in dem die Ehefrau mit mehr als einem Dutzend Messerstiche aufgefunden wurde. Erkennbar sind auch die liegen gelassenen Materialien des notärztlichen Einsatzes. Blut auch auf der Treppe in den ersten Stock. Dort finden die Polizisten später auch die abgebrochene Messerspitze einer der Tatwaffen. Im Badezimmer im ersten Stock, wohin U. die flüchtende Schwester verfolgte und die Tür eintrat, herrscht Chaos auf dem Boden. Das deute auf ein Kampfgeschehen hin, so die aussagende Kriminalbeamtin, die auch von der „Dynamik der Blutspuren“ spricht, die den Tathergang nachvollziehbar machen würden.

Die Aufnahmen vom Tatort sind das eine, die Bilder der zahlreichen Stichwunden an den Körpern der Ehefrau und deren Schwester das andere. Gerichtsmediziner Hans Werner Leukel zeigte und analysierte diese. Unter der Vielzahl der Stich- und Schnittverletzungen ist vor allem die in der Leistengegend lebensgefährlich gewesen. Der große Blutverlust rührte daher, dass zwei Blutgefäße verletzt wurden. Mehrere Blutkonserven waren notwendig gewesen, um den Verlust zu kompensieren und ihr Leben zu retten. Wären die Stiche im Unterbauch tiefer gegangen, hätte dies wegen der darunter liegenden Organe schwerwiegende Folgen haben können. Bei der Schwester sind es die Verletzungen in der Hand, die ins Auge fallen. Sie sind offensichtlich bei der Abwehr der Messerattacke entstanden. Konkret lebensgefährlich seien die Verletzungen bei diesem Opfer nicht gewesen, so der Gerichtsmediziner.

Die Frage nach dem Warum kann der Angeklagte nicht eindeutig beantworten, dass er die Tat begangen habe, streitet er nicht ab. Er könne sich aber an Vieles nicht mehr erinnern. Er wisse allerdings noch, dass er von seiner Schwägerin abgelassen habe, als sie ihn anflehte, sie habe doch Kinder. Seine Rechtsanwältin erklärt später, ihr Mandat sei von den vielen Bildern vom Tatort und den Opfern so erschrocken gewesen, dass er nicht mehr hätte klar denken können. Ihm sei bewusst gewesen, dass er seine Frau habe erheblich verletzen können, nachdem er wahllos zu den Messern gegriffen habe. Er habe das Reden erzwingen wollen und dann habe sich sein ganzer Frust entladen. Er fühlte sich ausgenutzt, sei „nur Putzlappen, nicht der Mann“ gewesen. Und er liebe seine Frau noch immer, werde aber nicht, wie von seiner Ehefrau am ersten Prozesstag angeboten, irgendwann wieder bei ihr einziehen. Er könne sich die Tat nicht verzeihen.

Am morgigen Donnerstag wird die Verhandlung mit den Plädoyers fortgesetzt.

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