Mehr als nur Info-Tafeln in Sickenhofen

Sickenhofen - 300 Jahre lebten Juden im Dorf, sie waren – wie die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften auch – Teil des Lebens in Sickenhofen. Eine moderne Gedenkstätte wird sich ihnen widmen. Von Stefan Scharkopf
„Stolpersteine“ sollen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Vor dem letzten selbst gewählten Wohnort jüdischer Bürger, die vom NS-Regime verfolgt wurden, werden kleine Gedenktafeln aus Messing in den öffentlichen Gehweg eingelassen. Es gibt aber weitere Ideen, die Erinnerung an jüdisches Leben in den Kommunen wach zu halten. In Sickenhofen – dort wurden bereits acht Stolpersteine im Gedenken an die Familien Frank und Kahn verlegt – wurde die Idee geboren, eine Gedenkstation zu errichten, deren Konzeption und Umsetzung über das reine Aufstellen von Infotafeln hinausgeht.
Beauftragt mit der Umsetzung ist das Büro für Erinnerungskultur, das der Historiker Dr. Holger Köhn und der Diplom-Designer Christian Hahn 2012 gegründet haben. Die gebürtigen Babenhäuser betrieben ihr Büro zunächst in Frankfurt, haben ihren Sitz aber seit einem Jahr in der Kernstadt. Die beiden bearbeiten ein großes Spektrum an lokalen historischen Themen und haben beispielsweise Ausstellungen zu „Ich bin immer gern gefahren – Geschichte der Darmstädter Straßenbahnfahrer“, „125 Jahre Schenck“, „Mit dem Glauben Staat machen“ für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau oder „Näht auf, wenn Ihr Adler seid!“ über die Fan-Aufnäher des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt konzipiert.
Holger Köhn wurde in Babenhausen und in Historikerkreisen mit dem Buch „Die Lage der Lager“ bekannt. Untertitel: „Räumliche Anordnung der Displaced Persons-Lager in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands, 1945-1951“. Dies war auch seine Doktorarbeit. An zehn Fallbeispielen beschreibt der Historiker unter anderem die Lager in Babenhausen und Dieburg. Als „Displaced Persons“ wurden Menschen bezeichnet, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten, etwa Zwangsarbeiter und Zwangsverschleppte der NS-Herrschaft. Auch in der Babenhäuser Kaserne waren diese Personen untergebracht.
Eins der neueren Projekte des Duos ist nun die Gedenk-station in Sickenhofen. Wie genau diese Stätte aussehen könnte, die Kubatur, das Material steht noch nicht fest. Doch es gibt einige Ideen: So könnte es bedruckte Tafeln geben, sei es mit Texten und/oder Bildern, eine Hörstation, in dem ein Zeitzeuge über das Leben und das Schicksal der Familie Frank berichtet, die nach einer Denunziation von NS-Schergen abgeholt wurde. Erinnert werden soll generell an 300 Jahre jüdisches Leben im Ort und daran, dass Juden, wie die Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften auch, Teil des dörflichen Lebens waren, als Mitarbeiter in Betrieben, Mitglieder in Vereinen, als Nachbarn.
„Die Recherche war nicht einfach“, sagt Holger Köhn im Gespräch mit unserer Zeitung, „es gab beispielsweise kaum Bilder.“ Wertvoll waren dagegen Gespräche mit Sickenhöfer Zeitzeugen. Vier Interviews wurden aufgezeichnet und für die Nachwelt gesichert. Forschen in Datenbanken und ein Kontakt in Israel brachten Hilfe. Bilder, die aus Israel kamen, werden auch im Stadtarchiv aufbewahrt.
Die Idee für eine Gedenkstation kam im Zusammenhang mit der Verlegung der Stolpersteine auf. In einem nächsten Schritt sollte auch auf den jüdischen Friedhof und die ehemalige Synagoge im Ort hingewiesen und diese drei Segmente visualisiert werden. Das fand Gefallen im Ortsbeirat und bei denjenigen, die sich beim Integrierten Kommunalen Entwicklungskonzept (IKEK) engagieren. „Innerhalb des IKEK-Programms wurde zur gleichen Zeit darüber gesprochen, einige Plätze zu verschönern“, sagt Ortsvorsteher Friedel Sahm. So war recht schnell die Ecke Bachstraße/Ernst-Ludwig-Straße als Standort für die Gedenkstation ausgemacht; die zentrale Lage, zudem an einem Radweg, sprach dafür. Der erste Gedanke, ein Schild aufzustellen, auf dem das dunkle Kapitel der Lokalgeschichte nachzulesen sein sollte, wurde verworfen, als die Beteiligten Holger Köhn kennenlernten und gemeinsam überlegten, die Umsetzung zu professionalisieren. Die IKEK-Gruppe befasste sich im Anschluss mit den Feinheiten.
„Das Projekt an sich steht“, sagt Sahm, „in der nächsten Sitzung der IKEK-Steuerungsgruppe im Juli wird darüber entschieden.“ Findet es Zustimmung, kann die Stadt einen Antrag beim IKEK-Konsortium stellen. Erst wenn die Genehmigung vorliegt, darf mit der Realisierung begonnen werden. Bleibt die Finanzierung: Gerechnet wird laut Sahm mit Kosten jenseits der 10.000 Euro. 65 Prozent davon werden über das IKEK bezahlt. Den Rest erhoffen sich die Initiatoren über Spenden und durch Sponsoren. Auch die Stadt ist aufgerufen, etwas beizusteuern – doch wegen des Lochs im Etat ist damit derzeit eher nicht zu rechnen.