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Sinnbilder und himmlische Botschaften in Babenhausens Kirchen

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Unter der Last des Kreuzes ist Jesus gestürzt und Menschen eilen ihm zu Hilfe. Dieses Bild von Theodor Gengnagel ist am hinteren Fenster in Hergershausen zu sehen.
Unter der Last des Kreuzes ist Jesus gestürzt und Menschen eilen ihm zu Hilfe. Dieses Bild von Theodor Gengnagel ist am hinteren Fenster in Hergershausen zu sehen. © Gries, Reinhold

Jedem, der eine besondere Kirche besucht hat, stehen aufwändig gestaltete Kirchenfenster vor Augen, die in kräftigen Farben leuchten oder glühen und im Spannungsverhältnis zwischen Glas und Licht biblische Geschichten erzählen. Zauberhaft strahlen sie im einfallenden Sonnenlicht wie Edelsteine. Was man dazu im großen Format in Oppenheim oder im Kölner Dom erleben kann, gibt es auch im kleineren zu bestaunen – in Babenhausens Stadtkirche, in Hergershausen oder in Langstadt.

Babenhausen – Die Vereinten Nationen haben 2022 zum „Internationalen Jahr des Glases“ ausgerufen, denn seit 9 000 Jahren begleitet der transparente Werkstoff die Menschheit. Glas wird seit langer Zeit aus den gleichen Ausgangsmaterialien hergestellt: Aus Quarzsand und Soda als Flussmittel, das niedrigere Schmelztemperaturen erlaubt, und aus gebranntem Kalk, der dafür sorgt, dass das Glas hart und fest wird. Chemisch gesehen ist Glas eigentlich eine unterkühlte Flüssigkeit. In alten Kirchenfenstern wie moderner Glasmalerei wirkt es jedoch alles andere als unterkühlt.

Das sieht man in der an sich schon schönen gotischen Stadtkirche von Babenhausen, wo die – auch aus nächster Nähe begehbare – Chorverglasung hinter dem Schnitzaltar für eine besondere Aura Farbtupfer. Im Gegensatz zum spätmittelalterlichen Denkmal ist die 1956/57 von Sophie Kehl gestiftete Glasmalerei nur gut 60 Jahre alt. Ihr Schöpfer war der mittelrheinische Glasmaler Gustel Stein (1922-2010), der seine Entwürfe von der bekannten Taunussteiner Glasmanufaktur Derix ausführen ließ.

In der Langstädter Kirche ist dieses stilreine neugotische Glasfenster des 19. Jahrhunderts zu bestaunen.
In der Langstädter Kirche ist dieses stilreine neugotische Glasfenster des 19. Jahrhunderts zu bestaunen. © Gries

Diese 1866 gegründete Glaskunstfirma, deren Dauerausstellung immer einen Ausflug nach Wiesbaden wert ist, schreibt zur Gestaltung: „Technik und Arbeitsschritte sind seit dem Mittelalter gleich. Das Gefüge aus Bleiruten und Glas besteht aus drei Komponenten: einem Bleinetz als Gerüst, dem Glas als Träger der Farben und der Bemalung als Mittel der Darstellung.“ Man sieht es gut an den drei mittleren Chorfenstern, wie hier überlieferte Schwarzlotmalerei aus oxidiertem Eisenpulver zum Einsatz kam, gebunden durch zerstoßenes Bleiglas. Verflüssigte Malfarben haben sich mit dem erweichten Grundglas verbunden, sodass Formensprache und Kolorit unverändert zur Geltung kommen.

Das linke Fenster illustriert die Schöpfungsgeschichte mit der Erschaffung der Tiere, Adam und Eva und ihren „Sündenfall“, dann das Drama zwischen Kain und Abel. Das mittlere Fenster zeigt Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi und das Lamm Gottes, das rechte Fenster den Passionsweg vom Ölberg über Dornenkrönung und Verspottung Jesu, Petri Verleugnung, die Szene, als sich Pontius Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht, dazu die Kreuzigung mit Maria und Johannes dem Evangelisten. Vor allem beim Betrachten aus der Nähe gerät man in den Sog dieser Ereignisse, deren darstellerische Qualität mit guten mittelalterlichen Scheiben mithält.

Das linke Chorfenster in der Babenhäuser Stadtkirche illustriert die Schöpfungsgeschichte mit der Erschaffung der Tiere sowie Adam und Eva mit ihrem „Sündenfall“.
Das linke Chorfenster in der Babenhäuser Stadtkirche illustriert die Schöpfungsgeschichte mit der Erschaffung der Tiere sowie Adam und Eva mit ihrem „Sündenfall“. © Gries, Reinhold

Von Babenhausens Altstadt ist es nicht weit zur neugotischen Denkmalkirche am alten Anger von Langstadt. Die Art, wie dort das sternenbesetzte neogotischen Gewölbefirmament mit dezent ornamentierten Glasfenstern harmoniert, macht einem still. Bekannt ist über deren Schöpfer, den Dieburger Glasermeister Kern und Karlsruher Glasmaler Hans Drinneberg, allerdings fast nichts. Mehr weiß man über die 1912 und 1952 ergänzten und renovierten Fensterzyklen der barocken Kirche von Hergershausen. Entworfen wurden sie von Theodor Gengnagel (1880-1943), dessen Werkstatt mit dem Jugendstil der Darmstädter Mathildenhöhe zusammenhing. Meisterhaft gefertigt wurden die ovalen und hohen Rundbogenfenster von der Darmstädter Glasmanufaktur Endner, finanziert von Stiftern der Gemeinde und der Orgelbaufirma Steinmeyer. Die Nordfenster des Barockbaus sind dem Wirken Jesu von der Geburt bis zum Tod gewidmet. Unter dem monumentalen Motiv „Ich bin der gute Hirte“, bei dem Jesus fast alttestamentarisch das führerlose Gottesvolk um sich versammelt, sieht man Jesus auf dem Kreuzweg. Rot gekleidet ist er unters Kreuz gestürzt, Menschen eilen ihm auf dem Weg nach Golgatha zu Hilfe, helfen ihm auf.

Das Großfenster „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ steht für Ausgangspunkt und Mitte des christlichen Glaubens. Der weiß gemalte Erlöser ist auferstandener Erstling der Entschlafenen – wie im Korintherbrief, das Rechteck unter dem Rundbogen bebildert Jesu’ Grablegung in fast mittelalterlichem Stil: „Da nahmen sie den Leib Jesu und banden ihn samt den Gewürzen in leinene Binden, wie es bei den Juden Sitte ist, zu begraben“ (Joh. 19,40). Ähnlich berührend stellte Gengnagel die Taufe Jesu, den segnenden Erlöser und die Heilung eines Kranken im alten Bleirutenstil dar – gegenüber ovalen weihnachtlichen Engelsbildern auf der Empore. (Von Reinhold Gries)

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