100 Jahre Cellba-Puppen aus Babenhausen

Die „Celluloidwarenfabrik Babenhausen“ - kurz Cellba - hat die Babenhäuser Wirtschaftsgeschichte geprägt. Die sogenannten Cellba-Puppen waren einst Verkaufsschlager. Nun gibt es eine Sonderausstellung.
Babenhausen - Das Residenzstädtchen Babenhausen bietet in seiner reichen Historie auch eine beachtliche Wirtschaftsgeschichte. Dazu zählt die vor 100 Jahren durch zwei Patente 1923 auf den Weg gebrachte Gründung einer Puppen- und Spielwarenfabrik, ab 1930 die zweitgrößte ihrer Art im damaligen Deutschen Reich. Die 1924 offiziell gegründete „Celluloidwarenfabrik Babenhausen Schöberl&Becker“ wurde durch ihre Cellba-Puppen weltweit bekannt, bis sie 1966 an den US-Konzern Mattel verkauft wurde, der dann Barbie-Puppen herstellte. In diese Zeitläufte führt die Retrospektive „Puppenpatente waren der Anfang“ des Heimat- und Geschichtsvereins (HGV) Babenhausen im Territorialmuseum.
Nach ihren Bänden „Im Zeichen der Nixe“ – das auf die Puppen gestempelte Markenzeichen der Fabrikantenfamilie Schöberl – haben der HGV-Vorsitzende Georg Wittenberger und Kuratorin Ine Reichart im großen Saal des schönen Adelshofes ganze Arbeit geleistet in Fotos, Wandtexten und vielen Exponaten der Cellba-Produktion. Ex-Lehrerin Reichart dazu: „Vor 20 Jahren bin ich, die kein Faible für Puppen hatte, in dieses Thema hineingeraten – durch eine Plastiktüte mit alten Puppenköpfen auf dem Weihnachtsmarkt der Stadtmühle. Ich arbeitete mich in vorhandene Cellba-Verkaufskataloge ein, Sammler und ehemalige Mitarbeiter brachten mir Cellba-Puppen. Jetzt haben wir im HGV über 500 Puppen aus verschiedensten Jahren in allen Stilen.“

Dafür bräuchte es eigentlich ein Depot mit Ausstellungsraum. „Der Anbau des Burgmannenhofs, früher Wohnhaus der Schöberls mit Nixenwappen auf der Wand, bietet sich an. Er ist im städtischen Besitz und steht leer,“ hat Reichart auch einen Vorschlag parat.
Vorerst jedoch muss sich der HGV mit dem divers genutzten Ausstellungssaal im Territorialmuseum begnügen. Ab 1. April wird dort eine schöne Auswahl der Cellba-Sammlung über das ganze Jubiläumsjahr bis zum 1. April 2024 zu sehen sein.
Reichart möchte dabei nicht eine klassische „Puppenmutter“ sein, auch wenn sie gerade zwei neu erworbene, nicht inventarisierte Cellba-Puppen aus „Nonflam“-Kunststoff der 1950er/60er- Jahre auf dem Arm hält. Mit Hilfe von Wittenbergers Forschungen zur Firmen- und Familiengeschichte der Schöberls hat sich die studierte Anglistin und Romanistin zur Puppenexpertin gemausert.

Ihr Rundblick beginnt bei einer klassischen Celluloid-Puppe aus der Cellba-Anfangszeit, mit 100 Jahren die älteste der Sammlung in typischem Haarschnitt der 1920er. Genauer Bescheid weiß Reichart ab den Katalogen von 1935 – bis hin zum letzten Verkaufskatalog von 1965. Dazu die Kuratorin: „Bei aller industrieller Fertigung mit aus Mannheim angelieferten Celluloidplatten, Formgebung durch Modelleure und Graveure, Blasen der Körperteile, Weiterbearbeitung der Rohlinge, Aufmalen oder Einsetzen von (Glas)-Augen sind die Puppen 90 Prozent Handarbeit, unterschiedlich in Ausdruck und Hautfarbe.“ Auf der Rückseite tragen alle die Cellba-Nixe und eine Zahl, welche die Größe angibt. Trotz detailverliebter Gestaltung tragen die Serien nur Nummern – wie die berühmte „881“ von 1938. In Größe 35 kostete davon ein Einzelstück 3 Reichsmark, 1958 dann 8 D-Mark. Heute sind die Preise auf Puppenmärkten andere, zumal bei leicht fehlerhaften Puppen, die als Unikate begehrte Sammelstücke geworden sind. Dann führt Reicharts Präsentation zu den Puppen der Kriegszeit und Nachkriegszeit sowie zu Verkaufsschlagern aus den 1950er- und 1960er-Jahren, als man dann neue Kunststoffe wie Vinyl, Hostalen und Acetat einsetzte, um der Entflammbarkeit von Zelluloid zu entgehen.
Die Sonderausstellung
„Puppenpatente waren der Anfang – 100 Jahre Cellba-Puppen“ wird am Samstag, 1. April, 15 Uhr, im Territorialmuseum, Amtsgasse 32, eröffnet. Zu sehen ist die Schau bis zum 1. April 2024. Die Öffnungszeiten: donnerstags von 14 bis 17 Uhr, samstags von 15 bis 17 Uhr und sonntags von 14 bis 17 Uhr.
Man sieht und liest: Puppen der früheren Produktion wurden „nackt“ gekauft, ohne Kleidung, die oft im Umland oder zu Hause günstig genäht oder gestrickt wurde. Auch dadurch wurden die seriell hergestellten Spielgeräte zu individuellen Liebhaberstücken. Dazu kamen dann Serien-Namen wie „Helga, die Puppe mit der entzückenden Zopffrisur“, „Gretchen“ (ab 1939) oder die Stehpuppe „Eierliesel“. In den 50er-Jahren gab es eine Namensinflation mit Iris, Hanni, Gerda, Elfie, Traudel, auch Fridolin, Till und Peter. Dazu stießen amerikanische Modenamen wie Conny, Joe oder Sweety für den Weltmarkt. Cellba-Knüller war ab 1962 Sprechpuppe Gabi, die zehn Sätze wie „Ich bin müde“ sagen konnte, wenn man an dem Ring an ihrem Rücken zog. Begehrt auf Spielwarenmessen waren auch Trachtenpuppen oder die Olympia-Puppe von 1936 mit weißem Kleid und fünf olympischen Ringen. Kunden konnten wählen zwischen verschiedener Ausstattung, beweglichem Kopf und Augen, Perücke und Stimme oder Spezialmattierung der Haut. Dunkelhäutige Puppen mit Baströcken, von Cellba „Neger- oder Mulatten“ genannt, sorgen heute für Diskussionen. Gesprächsstoff bietet dazu das unterlegte Rollenverhalten und das verkaufswirksam eingesetzte „Kindchenschema“. Jungenpuppen waren dabei in der Minderheit. Man zeigt auch Cellba-Spielwaren für die Kleinsten: Schwimmtiere, Rasseln, Bälle und Beißringe, Gummipuppen mit Quietschstimme, Püppchen mit „Cinderella“-Schuhen, Garnituren für Badezimmer und Schule.
Reichart und dem HGV ist eine beeindruckende Zeitreise gelungen über „Spielwelten zum Liebhaben“, die heutigen Computer-Kindern vorenthalten werden. Der Verlust von Arbeitsplätzen durch die Cellba-Schließung ist dabei ein eigenes Thema. (Reinhold Gries)