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„Großteil der Drittklässler kann nicht richtig schwimmen“

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Wasserball gehörte zu den vielen Angeboten beim „SWIM IN“ von Schwimmjugend Hessen und Turnverein Babenhausen im Freibad.
Wasserball gehörte zu den vielen Angeboten beim „SWIM IN“ von Schwimmjugend Hessen und Turnverein Babenhausen im Freibad. © Dörr

Das Altstadtfest war am Wochenende nicht die einzige größere Veranstaltung in Babenhausen: Drei Tage lang verwandelte sich das Freibad in den Schauplatz des alle zwei Jahre andernorts stattfindenden „SWIM IN“ der Schwimmjugend Hessen.

Babenhausen -Die Schwimmjugend Hessen vertritt innerhalb des Hessischen Schwimmverbands die Belange der rund 40 000 Kinder und Jugendliche in den Schwimmvereinen zwischen Bensheim und Baunatal. 650 Nachwuchsschwimmer aus 33 Vereinen zelteten drei Tage lang im Bad, bildeten sich in Workshops fort und festigten beim Rahmenprogramm das Band innerhalb ihrer Szene. Kooperationspartner war der Babenhäuser Turnverein, dessen Schwimmabteilung ihr 100-jähriges Bestehen feiert.

Das Ereignis bot Gelegenheit sich umzuhören, wie es um die Schwimmfähigkeiten der jungen Hessen bestellt ist. Die können lebensrettend sein, gerade bei Unfällen und dem oft riskanten Vergnügen in natürlichen Gewässern. Hört man beispielsweise Ulrich Spatar zu, der die Schwimmabteilung des TV Babenhausen seit mehr als zwei Jahrzehnten leitet, ist der Trend glasklar ein negativer: Immer seltener könnten Kinder hierzulande überhaupt schwimmen. Dies habe sich schon länger in diese unerfreuliche Richtung entwickelt; zwei Corona-Jahre mit geschlossenen Bädern, ausgefallenem Schulschwimmen und gestrichenen Schwimmkursen von Vereinen und privaten Schwimmschulen hätten den Zustand jedoch nochmals verschärft.

„Es hat sich deutlich verschoben“, berichtet Spatar. „Die Babenhäuser Schulen bieten in der 3. Klasse Schwimmunterricht an. Früher konnten in diesem Alter zwei Drittel der Kinder richtig schwimmen. Heute sind es vielleicht noch zehn Prozent. Der Großteil kann heute also nicht richtig schwimmen.“ Dies erschwere auch den Lehrern die Arbeit, die nur wenige sichere Schwimmer im Unterricht hätten, dazu aber die gewachsenen Gruppen der unsicheren Schwimmer und der kompletten Nichtschwimmer. In diesem Zusammenhang holten sich die örtlichen Schulen dann auch Hilfe beim TVB.

Denn einfach so hinnehmen wolle man die vielen Nichtschwimmer zumindest im Mikrokosmos Babenhausen nicht. Dort gibt es aktuell auch deutlich mehr Zehn- bis Zwölfjährige, die sich buchstäblich nicht über Wasser halten könnten. „Normalerweise hätten sie das Schwimmen in den vergangenen zwei Jahren gelernt, bis acht bis zehn“, so Spatar. Was sie in der Corona-Zeit verpasst hätten, müssten sie jetzt nachholen. Was auch der Verein mit „ausgebuchten Schwimmkursen und einer Warteliste, die wir beim Alter von oben nach unten abarbeiten“, merke.

Gemeinsam mit rührigen Lehrern gehe man das Problem in der Stadt aktiv an. Stolz ist Spatar etwa auf einen Schwimmkurs mit vielen muslimischen Mädchen, deren Eltern eigentlich gegen die Teilnahme seien. „Eine Lehrerin der Schule im Kirchgarten hat uns diese Kinder geschickt“, erzählt Spatar. Der Verein begegne den komplizierten familiären Voraussetzungen etwa dadurch, dass er diesen Mädchen das Schwimmen auch ohne Mitgliedschaft (und manchmal auch ohne Geldzahlung der Eltern, was Fördermittel ersetzen) beibringe. Auch die Autofahrt ins Sportbad Dieburg, wo das vierstufige Schwimmschulen-Erfolgsmodell und die weiteren TVB-Wassersport-Angebote abseits der Sommermonate stattfinden, seien ein Hemmnis. „Unter den Nichtschwimmern sind besonders viele aus finanziell schwachen Verhältnissen“, weiß Spatar. In naher Zukunft wolle auch die Babenhäuser Edward-Flanagan-Förderschule einige nichtschwimmende Fünft- und Sechstklässler zum Turnverein schicken.

Tobias Rohrbach nennt derweil noch andere Gründe, warum immer weniger Kinder schwimmen können. Der Landesjugendwart der Schwimmjugend Hessen zählt auf: „Das knappe Gut sind die Wasserzeiten. Viele Schulen haben wegen des Bädersterbens kein Bad mehr im eigenen Ort. Und die hohen Energiekosten sind die nächste Bedrohung.“ Die sorgen teils schon jetzt zu einer Absenkung der Wassertemperaturen durch die Betreiber der Bäder, „aber schon 26 Grad sind für Kinder sehr kalt“. Zum Vergleich: Selbst als ideale Temperatur für Wettkämpfe sieht Rohrbach 27 Grad an. „Im Lehrbecken sollten es mindestens 28 bis 30 Grad sein.“ Trotz dieser negativen Vorzeichen müsse man alles daran setzen, möglichst vielen Kinder das Schwimmen beizubringen: „Das Augenmerk liegt auf den Schwimmkursen.“ (Jens Dörr)

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