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Erste Hanauer Festspielpremiere überrascht mit eigenwilliger Märcheninterpretation

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Von: Jutta Degen-Peters

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Küchenszene in der Zirkusmanege: In ihrer Rolle als Köchin Berta erweist sich Anne Hoth als einer der Publikumslieblinge.
Küchenszene in der Zirkusmanege: In ihrer Rolle als Köchin Berta erweist sich Anne Hoth als einer der Publikumslieblinge. © Patrick Scheiber

Was hat (KönigIN?) Drosselbart mit Schneewittchen, Zwerg Nase, dem tapferen Schneiderlein und Aschenputtel zu tun? „Alles hängt irgendwie mit allem zusammen“ – der Satz aus dem Munde der Königin ist der Schlüssel zum Musical „Drosselbart!“, mit dem im Hanauer Amphitheater die 38. Brüder-Grimm-Festspiele eröffnet wurden. „Endlich“, wie Oberbürgermeister Claus Kaminsky und Intendant Frank-Lorenz Engel bei der Begrüßung betonten.

Hanau – Nach zwei Jahren der coronabedingten Einschränkungen durfte die Premiere wieder unter den gewohnten Bedingungen stattfinden. Das Publikum, darunter Ehrengäste wie die Generalkonsulin von Irland, Anne-Marie Flynn, die Bundestagsabgeordnete Katja Leikert (CDU) und die Landtagsabgeordneten Mirjam Schmidt (Grüne), Alexandra Walter (AfD) und Christoph Degen (SPD) sowie Vertreter aus Kommunalpolitik, Kultur, Kirche und sponsernden Unternehmen, erlebte ein buntes und quirliges Stück mit eingängigen Melodien von Rumba und Cha-Cha-Cha über Rock bis zur Zirkusmusik, gespielt von der auf der Empore des Bühnenbildes sitzenden Band. Die Akkordeonklänge Vassily Dücks untermalten viele Aktionen besonders treffend. Die Spielfreude der Darsteller war ansteckend, die Texte gespickt mit witzigen Anspielungen, die Kostüme einfallsreich.

Die 38. Brüder-Grimm-Festspiele sind eröffnet.
Die 38. Brüder-Grimm-Festspiele sind eröffnet. © HA

Doch wirkliche Begeisterung für die Geschichte um die aufmüpfige Prinzessin, die verheiratet werden soll, konnte sich nur einstellen, wenn es gelang, das Originalmärchen aus dem Hinterkopf zu verbannen. So ließen sich die vielen Ideen, Gags und Experimente als erfrischende Variation zum Thema genießen. Das Märchen um den Prinzen mit dem schiefen Bart oder Kinn steht seit Bestehen der Festspiele zum vierten Mal auf dem Spielplan. Die Bühnenfassung von Regisseur Christoph Drewitz und Autor Peter Lund hätte man auch mit „Drosselbart!? – ein Zirkusmärchen“ überschreiben können. Als Rahmenhandlung dient der Zirkus, der das Märchen auf die Bretter bringt und sich bei der weit weg vom Original angesiedelten Interpretation jede Menge Freiheiten nimmt.

Bisweilen schrill: Im Musical „Drosselbart!“ trifft die Märchen- auf die Zirkuswelt.
Bisweilen schrill: Im Musical „Drosselbart!“ trifft die Märchen- auf die Zirkuswelt. © Patrick Scheiber

In der Grimmschen Version zwingt der König die Prinzessin, die all ihre Freier verhöhnt, zur Strafe einen Bettelmann mit schiefem Kinn zu heiraten. Erst nach einer Phase der Läuterung bereut die Prinzessin ihr Verhalten, und der hässliche Spielmann erweist sich als verwunschener Prinz. Lund und Drewitz legten in ihrer Version Wert auf ein zeitgemäßeres Frauenbild: Das Reich wird von einer Königin regiert (auch stimmlich sehr überzeugend: Charlotte Heinke), die Verweigerung der Tochter, Prinzessin Ann (jugendlich-frisch: Pamina Lenn), ist Ausdruck des Wunschs nach Selbstbestimmtheit, im Königshaus haben die Frauen das Sagen.

Zirkus führt Geschichte auf

Dass ein Zirkus die Geschichte von Drosselbart aufführt, ist ein raffinierter Kunstgriff, der das bisweilen etwas schrille Spiel quasi vorprogrammiert. Auch die Kostüme helfen beim Spagat zwischen Zirkus- und Märchenwelt. Die beiden im Dauerstreit liegenden Schwestern von Prinzessin Ann (Shireen Nikolic als Cindy und Ira Theofanidis als Rosie) kommen mit Mieder und Strapsen (Vorderansicht) und Rokokoschößen ihrer Prinzessinnenkleider (rückwärtige Ansicht) daher.

Nachdenklich: Prinz Ferdinand von Nebenan, gespielt von Paul Csitkovics.
Nachdenklich: Prinz Ferdinand von Nebenan, gespielt von Paul Csitkovics. © Patrick Scheiber

Im ersten Bild schwenken die Darsteller vor blau-gelber Kulisse gelbe und blaue Fähnchen und knüpfen mit ihrer Geste an die Worte Claus Kaminskys an. Der hatte eingangs vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine und des gerade geschehenen Dramas in Hanau betont, dass Feiern und Nachdenklichkeit zusammengehörten: „Wir alle geben die Hoffnung nicht auf, dass diese Welt eine bessere werden kann, als sie im Moment ist!“ Auf die Premierenfeier fürs Publikum werde verzichtet, das Eingesparte an die Ukraine gespendet.

Überzeugende Prinzessin Ann

Dass man die Welt ein kleines bisschen besser machen kann, wenn man sich einmischt und empathisch ist, beweist in „Drosselbart!“ Prinzessin Ann. Pamina Lenn nimmt man den 18-jährigen Trotzkopf mühelos ab. Ann zieht mit ihrem auserwählten Koch, der eigentlich der blasierte Prinz Ferdinand von Nebenan (Paul Csitkovics) ist, durchs Land. Prinz Charming, der sich als Koch ausgibt, muss sich die geballte Kritik seiner Angetrauten anhören – und Lösungsansätze wie „weniger Party und Muße, mehr Mitgefühl und mehr Geld für das Volk“. Die beiden nähern sich einander an: Der Prinz ist froh, dass zum ersten Mal in seinem Leben ein Mensch ohne Furcht vor Konsequenzen die Wahrheit sagt. Die Prinzessin spürt, dass es der Koch-Prinz gut mit ihr meint, und lernt, ihre verletzenden Spitzen zu unterdrücken.

Märchenbotschafterin: Marie-Luise Marjan war einer der prominenten Gäste bei der Premiere.
Märchenbotschafterin: Marie-Luise Marjan war einer der prominenten Gäste bei der Premiere. © Patrick Scheiber

Als Publikumsliebling erweist sich neben der resoluten Köchin (Anne Hoth) der Koch Jakob (Pedro Reichert), wegen seines schiefen Kinns auch Zwerg Nase genannt. Der gefällt sich in der Rolle des Prinzen, heiratet aber zum Schluss lieber Köchin Berta als eine Prinzessin. Der drollig-unbeholfene Jakob sieht in seinem mit Antennen bestückten Taucherhelm, unter dem er sich zunächst verbirgt, zum Schießen aus.

Anleihen aus anderen Märchen

Etwas ratlos bleibt mancher mit den Anleihen aus den anderen Märchen. Wieso war die Königin in ihrer Jugend Schneewittchen und musste bei den Zwergen knechten? Weshalb tauchen die sieben Zwerge in einer witzigen, an Kasperletheater erinnernden Szene plötzlich als Minenarbeiter auf? Und weshalb zerren sie Prinzessin Ann hinter die Mauer und tun ihr Gewalt an? Die Assoziationen, die sich hier einstellen, sollte man dem Publikum ersparen.

Applaus vom Publikum: Die mittleren Ränge im Amphitheater waren gut besetzt, die äußeren Reihen eher spärlich.
Applaus vom Publikum: Die mittleren Ränge im Amphitheater waren gut besetzt, die äußeren Reihen eher spärlich. © Patrick Scheiber

Alles in allem eine Aufführung mit vielen schönen Mosaiksteinen, turbulenten Szenen, guten schauspielerischen Leistungen, zahlreichen Überraschungsmomenten, fantasievollen Texten mit Witz und schöner Musik. Leider enden manche Handlungsstränge im Nichts – es fehlen wirkliche Highlights und der rote Drosselbart-Faden, der alles zusammenhält.

Weitere Aufführungem

„Drosselbart!“ ist wieder am Sonntag, 22. Mai, 14 und 18.30 Uhr, sowie am Dienstag, 24. Mai, 18.30 Uhr und zu weiteren Terminen zu sehen. Infos und Tickets: festspiele-hanau.de

Von Jutta Degen-Peters

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