Für den schlimmsten Fall der Fälle

Darmstadt - Die europäisch-japanische Raumsonde BepiColombo startet am Wochenende zum Merkur – sieben Jahre dauert ihre Reise. Dann beginnt die Forschung. Es ist die anspruchsvollste Mission der Esa in ihrer mehr als 40-jährigen Geschichte. Von Axel Wölk
In wenigen Tagen startet der Flug der Europäer zum Merkur, dem innersten Planeten unseres Sonnensystems. Unsere Zeitung hat am Darmstädter Standort der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) exklusiv Einblick in die letzte Simulation vor dem Abheben der Raumsonde BepiColombo am Samstag vom Weltraumbahnhof Kourou erhalten. Von Hektik und panischen letzten Eingriffen ist nichts zu spüren. Die Esa-Ingenieure setzen auf Routine und gelassene Anspannung. Wie wichtig es jedoch ist, sich auf die verheerendsten Situationen einzustellen, unterstrich jüngst die schwere Panne der russischen Sojus-Kapsel, die eigentlich zur Internationalen Raumfahrtstation (ISS) wollte, dann aber nach dem Start notlanden musste.

Mit Elsa Montagnon zeichnet nach langer Zeit mal wieder eine Frau als Flugleiterin für eine Esa-Mission verantwortlich. Das Ziel des letzten Check-up vor dem großen Tag umreißt sie klar: „Es geht für uns darum, zu testen, wie zu reagieren ist, wenn etwas passiert. Wir müssen einfach ein Gefühl dafür bekommen.“
So bauen die Tester der Systeme mitunter äußerst knifflige Szenarien für den schlimmsten Fall ein und dann müssen die Ingenieure in Windeseile Lösungen finden. Das ist für den Erfolg der Mission essenziell: „Im Weltraum bleibt wenig Zeit.“ Als absoluter Härtefall für die Esa-Ingenieure wird getestet, dass die Sonnensegel nicht ausklappen. Dann wäre die gesamte Sonde ohne Strom.
Für Montagnon wird es im Verlauf der insgesamt mindestens sieben Jahre währenden Mission zwei aufreibende Nervenspiele geben. Das erste fängt direkt beim Lift-off an. Diese kritische Startphase dauert rund drei Tage. Dann kann sich Montagnon ein wenig zurücklehnen und im Prinzip – für diese Mission – sieben Jahre bis zur Ankunft der Sonde am Planeten durchatmen. Für die Endphase der Flugdauer braucht es mitsamt Eintreten der Satelliten in die Umlaufbahn des Merkurs rund drei Monate. Und vor allem auf diese beiden Knackpunkte hin wird mit voller Energie getestet.
Um vorbereitet zu sein, simulieren die Techniker möglichst horrende Szenarien, etwa, dass es Probleme beim Empfang von Signalen gibt. Aber auch Schwierigkeiten mit der Treibstoffversorgung sind ganz oben auf der Tagesordnung. Und natürlich muss der Betrieb mit Solarstrom sichergestellt sein. Sobald die ersten kritischen Phasen überstanden sind, tritt die Navigation in den Vordergrund. Ein wenig wie schon einst in der klassischen Schifffahrt orientiert sich das Weltraumgefährt an den Sternen.
In der Raumfahrt – und besonders in der unbemannten, da dort der Mensch nicht sofort eingreifen kann – hängt enorm viel an der Aktivierung der Software und an Prozeduren im All. Das heißt, dass die Signale ankommen müssen, mit denen die Maschinen dann wie am Schnürchen ihre bereits auf der Erde programmierten Routinen abspulen. Montagnon betont: „Der Mensch hat das letzte Wort.“
Überhaupt geht es bei Weitem nicht nur um einen reinen Test technischer Systeme. Vielleicht wichtiger noch ist der Austausch von Mensch zu Mensch, Experte zu Experte. Dafür hat die Französin angesichts einer äußerst multinationalen Organisation wie der Esa auch den entscheidenden Grund parat: „Bei uns ist es sehr bunt.“ So müssen die internen Entscheidungsprozesse sitzen. Im Extremfall können Sekunden über Wohl und Wehe einer gesamten Mission den Ausschlag geben.
Damit Horrorszenarien möglichst gar nicht erst eintreten, plant die Esa stets mit sogenannten Redundanzen, damit der Ausfall eines Systems durch ein anderes kompensiert werden kann. Das beruhigt ein wenig. Schließlich ist der Satellit so bei massiven Problemen mit nur einer Kernkomponente vor einem Komplett-Zusammenbrauch gefeit.
Auch bei der Esa werden die Fortschritte der Künstlichen Intelligenz gespannt verfolgt. Nicht zuletzt tobte der plötzlich das Ruder auf einem Raumschiff an sich reißende Supercomputer Hal im Science-Fiction-Streifen „Odyssee 2001“. Hier äußert sich die eher zurückhaltend wirkende Montagnon sehr dezidiert: „Die Daten müssen immer zurück zum Menschen kommen.“ Für Teilbereiche wie einen Rover auf dem Mars sei Künstliche Intelligenz durchaus sinnvoll. Bei Störfällen gebe es aber kein echtes Lernen durch die Künstliche Intelligenz. Macht dieses Beispiel der häufig für den Rest der Menschheit taktgebenden Raumfahrt Schule, könnte am Ende tatsächlich die Technik der Bevölkerung dienen – und nicht andersherum.