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Die Stadt bietet körperliches und mentales Training für Demenzerkrankte an

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Von: Barbara Scholze

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Gemeinsam trainieren: In der Gruppe herrscht ein großes Vertrauen, denn keines der Mitglieder beurteilt andere nach ihrem Können.
Gemeinsam trainieren: In der Gruppe herrscht ein großes Vertrauen, denn keines der Mitglieder beurteilt andere nach ihrem Können. © scholze

Wenn es ans Schwingen geht, ist Friederike (Name geändert von der Redaktion) wieder einig mit ihrer Welt. Dann steht sie vom Stuhl auf, malt große Kreise in die Luft und wiegt sich im Takt. Ein Strahlen lässt die sonst manchmal angestrengte Miene verschwinden, ein körperliches Wohlgefühl wird sichtbar. Friederike leidet unter Demenz. In der „Moment“-Sportgruppe der städtischen Seniorenarbeit kann sie gut loslassen.

Dietzenbach – „Wir bieten für Frauen und Männer, mit ganz unterschiedlichen geistigen und körperlichen Gegebenheiten die Möglichkeit, sich auch im Alter fit zu halten und eine kleine Auszeit vom Alltag zu genießen“, sagt Kirsten Wolf, Sachgebietsleiterin der Seniorenarbeit.

„Motorisches und mentales Training“ sind die Worte, die sich hinter der Abkürzung „Moment“ verstecken. Gedacht ist die Sportgruppe für Hochbetagte und Demenzerkrankte, die sich bewegen und kräftigen und dabei auch die kleinen grauen Zellen anregen wollen. Angeleitet werden sie von Karin Winkler-Deneberger, seit Jahrzehnten bekannt in der Dietzenbacher Sportszene und ausgestattet mit einer entsprechenden Ausbildung beim Landessportbund. Als Co-Trainerin kommt Elke Toussaint dazu, ebenfalls erfahren in der Seniorenarbeit. „Wir werden alle älter und die Sportangebote müssen sich entsprechend mitändern“, stellen die beiden fest. Das gefällt unter anderem Elsa gut, die für die „Moment“-Gruppe extra aus Neu-Isenburg angefahren kommt. „Ich habe mein Leben lang Sport gemacht und bin froh, dass ich diese Möglichkeit gefunden habe.“

Seit August des vergangenen Jahres treffen sich so jeden Mittwochmorgen die Sportler im Gymnastikraum des Seniorenzentrums Steinberg. Einen finanziellen Anschub ermöglichte das Projekt „Wir bewegen uns“, sodass Sportgeräte wie etwa Bälle oder Frisbee-Scheiben angeschafft werden konnten. Waren es schon gleich zu Beginn vier Teilnehmer, umfasst die Gruppe inzwischen sechs Frauen und einen Mann. Auch Angehörige können sich jederzeit dazu gesellen. „Durch die Pandemie begrenzen wir die Teilnehmerzahl derzeit auf zehn Sportler“, teilt die Trainerin mit.

Jede Stunde beginnt unter anregender Musik mit einem Kreislauftraining, das auch die Muskulatur aufwärmt. „Wir schwingen mit den Füßen“, gibt Winkler-Deneberger vor, als nächstes sind die Arme dran. „Noch ein bisschen strecken und halten, halten, halten“ fordert die Trainerin auf, die ersten Seufzer sind zu hören.

Denn bei allem Spaß, den die Gruppe mit den Übungen und auch miteinander hat, steckt ein Konzept hinter jeder Aufgabe. „Es geht darum, möglichst alle Muskelgruppen zu trainieren und die Gelenke zu stärken.“ Das dient nicht nur der Sturzprophylaxe, sondern erhält die allgemeine Beweglichkeit, die Koordinationsfähigkeit und damit schlussendlich auch die Selbstständigkeit. „Das merken wir etwa, wenn wir Pullover an- oder ausziehen oder etwas auf dem Boden Liegendes aufheben“, sagt Elke Toussaint.

Im Anschluss darf der Körper dann ein bisschen ausruhen und das Gehirn ist mehr gefordert. Bei den Denksportfragen geht es um Schlager, um Märchen, um verschiedene Städte oder um Sportarten. Die Erinnerungen beginnen zu purzeln. Mancher erzählt eine kleine passende Geschichte zum Thema, anderen fallen Scherze ein, die Gruppe hat ihren Spaß. „Wir lachen hier viel“, sagt Teilnehmerin Renate. Auch das entspricht genau der Zielsetzung. „Wir wollen das Gespräch und die Gemeinschaft fördern“, stellt Winkler-Deneberger fest. Mittlerweile gebe es Kontakte, die Teilnehmer erkundigten sich gegenseitig nach der Familie, auch zwischen den Trainings gebe es den ein oder anderen Austausch.

Was die Gruppe darüber hinaus auszeichnet, ist der stets respektvolle Umgang miteinander. „Niemand muss Angst haben, dass er etwas falsch macht, jeder macht die Übungen so, wie er es am besten kann“, sagt Winkler-Deneberger. Sie greife nur selten ein und auch dann nur, wenn sie sieht, dass eine Bewegung vielleicht eher schaden als nutzen würde. „Es ist in kurzer Zeit wirklich großes Vertrauen entstanden“, freut sich auch Co-Trainerin Toussaint. Sich gegenseitig zu beobachten sei sowieso nicht drin, „jeder hat mit sich selbst genug zu tun und bringt seine ganz eigenen Wehwehchen mit, bei dem einen wollen die Beine nicht mehr so, ein anderer hat eher Schwierigkeiten mit den Armen.“ Das sei eben so, wenn man älter wird. Wichtig bleibe immer, dass die Bewegung ein Lächeln auf das Gesicht zaubere.

Die „Moment“-Gruppe trifft sich außer zu kurzen Urlaubszeiten jeden Mittwochmorgen um 10 Uhr im Seniorenzentrum Steinberg, Siedlerstraße 66. Der Sportraum ist barrierefrei und kann mit Rollator und Rollstuhl gut erreicht werden, eine medizinische Notfall-Versorgung ist gewährleistet. Der Beitrag beträgt acht Euro pro Stunde und lässt sich über die Pflegekasse abrechnen. Anmeldung ist möglich bei Kirsten Wolf unter 06074 483490 oder per Mail an kirsten.wolf@dietzenbach.de. (Barbara Scholze)

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