Nach Anschlag in Hanau: Stele und Ehrengrab für Terror-Opfer Sedat Gürbüz beschlossen

Stumme Mahnwache: Vor dem Capitol gedenken Dietzenbacher am Freitagabend (30.10.2020) der Ermordeten von Hanau und setzen ein Zeichen gegen Rassismus.
Dietzenbach – Über der jüngsten Sitzung der Stadtverordnetenversammlung schwebt die Befürchtung, es könnte – angesichts der sich ausbreitenden Corona-Pandemie – die letzte in absehbarer Zeit sein. „Wer weiß, wann wir uns wiedersehen können“, sagt Stadtverordnetenvorsteherin Christel Germer zu Beginn. Und es entwickelt sich eine lange Runde mit einigen wichtigen Entscheidungen. Die Stadtverordneten stimmen nicht nur mehrheitlich der Ausfallbürgschaft für die Stadtwerke GmbH zu, sondern auch einer Zusammenlegung der Bürgermeister- mit der Kommunalwahl am 14. März.
Nach Anschlag in Hanau: Dietzenbacher recken Plakate mit Fotos der Ermordeten in die Höhe
Zuvor recken rund 60 Dietzenbacher vor dem Capitol Plakate mit Fotos der in Hanau Ermordeten in die Höhe. Zünden Kerzen an. Erzeugen auf dem Europaplatz eine beklemmende Stille. Keine Reden. Die Pandemie erlaubt nur ein stummes Zeichen gegen das Vergessen. Gegen Gewalt. Gegen Rassismus. Gleichzeitig verleiht die Mahnwache der Forderung des Ausländerbeirats Nachdruck, dass die Entscheider im Capitol eine Stele und ein Ehrengrab für den im Februar aus dem Leben gerissenen Sedat Gürbüz in dessen Heimatstadt auf den Weg bringen (wir berichteten).
Drinnen fordert die Mutter des Ermordeten, Emis Gürbüz, von den Stadtverordneten: „Bitte machen Sie, was machbar ist für mein Kind.“ Stadtverordnetenvorsteherin Christel Germer versichert: „Das ganze Parlament trauert mit ihnen.“ Man wolle der Familie ihren Wunsch nicht verwehren, sagt Andrea Wacker-Hempel (Grüne) und sich mit der Familie solidarisch zeigen, fordert Ismet Küpelikilinc (DL/FW-UDS). Man könne der Familie den Schmerz zwar nicht nehmen, betont Ahmed Idrees (SPD), „aber, wir können Verantwortung tragen“. Und „dazu beitragen, dass es eine angemessene Würdigung gibt“, sagt Manuel Salomon (CDU).
Gespräche über Gedenken nach Anschlag in Hanau: AfD platzt in Einigkeit des Parlaments
In die Einigkeit des Parlaments platzt die AfD. Philipp Eckert spricht von einer „wichtigen Entscheidung, die Auswirkungen auf weitere Fälle haben könnte“. Eine Stele auf dem Roten Platz gegen „Rechts und Terrorismus und weiß der Deibel noch alles“ sei nach seinem Dafürhalten nicht angebracht. „Wenn wir auf städtischem Gelände ein Mahnmal setzen, kann das nur gegen alle Gewalt in der Gesellschaft sein.“ Er habe das Gefühl, dass die Politik in dem Fall nicht ganz außen stehe. Er schlägt vor, vor dem Haus der Gürbüz in der Altstadt „ohne großes Aufsehen“ ein Mahnmal in die Erde zu lassen – analog zu den 22 von Gunter Demnig als Erinnerung an die von Nazis verfolgten Dietzenbacher verlegten Stolpersteinen.
„Das“, so hofft Jerome Alex (SPD), „war nur ein Ausrutscher auf der rechten Seite“. Und Artus Rosenbusch (fraktionslos) argumentiert dagegen, hebt die „ganz klare historische Bedeutung der Stolpersteine“ hervor. Auf den Einwand von Harald Nalbach (WIR-BfD), warum man sich nicht vor jeglicher Gewalt distanzieren könne, entgegnet Ausländerbeiratsvorsitzende Helga Giardino: „Da hätte man vor Jahren schon eine Stele aufstellen müssen.“ Mit einer Stele am Roten Platz werde rassistische Gewalt aus der Anonymität geholt. Zudem gebe es gegen Rassismus viel zu wenige Stelen, betont Giardino. Das Mahnmal auf dem Roten Platz wird von Initiativen und Privatpersonen finanziert.
Nach Anschlag in Hanau: Kein einiges Zeichen aus dem Parlament in Dietzenbach
Ein einiges Zeichen aus dem Parlament – das stets unter dem Banner: „Kein Platz für Rassismus tagt“ – kommt allerdings bei beiden Entscheidungen nicht zustande. Dafür sorgt eine Minderheit. Bei der Änderung der Friedhofsatzung, die es nun dem Magistrat ermöglicht, ein Ehrengrab für Sedat Gürbüz einzurichten, schert die AfD aus. Die legt auch gegen die Stele ebenso wie ein Fraktionsmitglied der WIR-BfD ein Veto ein. Alle anderen der WIR-Fraktion enthalten sich bei der Causa Stele.
Klare Fronten gibt es dagegen beim Termin für die Bürgermeisterwahl im kommenden Jahr. Der Magistratsvorlage, die Wahl des Rathauschefs zusammen mit der Kommunalwahl und der des Ausländerbeirats auf den 14. März zu legen, wollen längst nicht alle folgen. Dem Gegenvorschlag von SPD und Grünen, die Wahl zeitgleich mit der des Bundestags im kommenden Herbst zu organisieren, folgen auch „Die Linke“, DL/FW-UDS und Artus Rosenbusch. „Das hat ein mächtiges Geschmäckle, dass man nun schnell eine Entscheidung herbeiführen will“, schimpft Rainer Engelhardt (SPD). „Wir denken daran, wie es für die Parteien laufen soll, einen Kandidaten aufzustellen und mitten im November Unterschriften zu sammeln“, sagt Jerome Alex angesichts der Pandemie einen schwierigen Wahlkampf voraus und nennt das Vorgehen des Magistrats „undemokratisch“. „Der Einzige, für den das ein Vorteil ist, ist der Amtsinhaber.“
Wahlen in Dietzenbach: „Es geht bei beiden Wahlen um die gleichen Themen.“
Jens Hinrichsen (DL/FW-UDS) sieht wie Alex den Nachteil bei den kleinen Parteien und Wählerinitiativen: „Der Fokus wird dann nicht auf der Kommunal-, sondern auf der Bürgermeisterwahl liegen.“ Man habe gewusst, das nächstes Jahr Wahlen stattfinden, sagt Ahmed Idrees. „Da hätte man das Ansinnen früher kommunizieren können.“ Eine weitere Belastung für die städtischen Mitarbeiter, erwartet Andrea Wacker-Hempel. „Das ist eine große Herausforderung für die Verwaltung, und der Bürgermeister hat’s ja schon gesagt: Wir fahren am Limit.“
Nicht alle hegen den Gedanken, es sei ein ungünstiger Zeitpunkt, betont hingegen Stephan Gieseler (CDU). Harald Nalbach preist die Synergieeffekte im März an und Manuel Salomon wirbt für die „gute Effizienz“: „Es geht bei beiden Wahlen um die gleichen Themen.“
Für die Wahl am Sonntag, 14. März, mit etwaiger Stichwahl am 28. März stimmen CDU, WIR-BfD, FDP, AFD und Artus Rosenbusch. Damit steht Dietzenbach ein Superwahltag bevor. Noch hat aber kein Kandidat seinen Hut in den Ring geworfen. Amtsinhaber Jürgen Rogg will sich im Dezember erklären, CDU-Faktionschef Salomon deutet zumindest, ohne einen Namen zu nennen, an, man habe einen „guten Kandidaten“. (Ronny Paul)