Zündstoff des Alltags: Das Theaterstück „Die Wanderung“ feiert auf dem Harmonieplatz Premiere

„Mir ist schlecht…“, meint Carla immer wieder. Paul hingegen ist sichtlich genervt von der Dauernörgelei seiner Freundin. Die beiden Protagonisten aus dem Theaterstück „Die Wanderung“ machen auf der Open-Air-Bühne des „Theaters Schöne Aussichten“ (Thesa) genau das, was der Titel aussagt. Schnell ist klar, dass die Stimmung zwischen Carla, gespielt von Charlie Kreuchauff, und Luis Heusel als Paul zum Zerreißen gespannt ist und die Beziehung dem Untergang geweiht.
Dietzenbach –Zu jeglichem Überfluss verstaucht sich Carla auch noch den Fuß, mitten im Nirgendwo ohne Handyempfang. Ihre Hilferufe werden von dem Pärchen Steve (Anselm Wittenstein) und Mike (Benno Hofacker) gehört, die schließlich einen Notruf absetzen können. Ihren persönlichen Notruf schreit Carla dem Lärm der Rotorblätter des Rettungshubschraubers entgegen – und soll damit das Leben aller vier Protagonisten ändern.
Das Erstlingswerk aus der Feder von Schauspieler Anselm Wittenstein kommt anders an, als es der Autor erwartet hat. Das Stück schlägt eigentlich ernste Töne an: Es geht um Loslassen und losgelassen werden, die Definition einer Familie, Gefühle füreinander und für sich selbst. „Eigentlich ist es weder Drama noch Komödie“, beschreibt Wittenstein sein Werk, dass er innerhalb weniger Wochen geschrieben hat. Doch aus den Stuhlreihen auf dem Harmonieplatz schallen immer wieder Lacher in den Abendhimmel. Manche herzhaft, andere erstickt, weil man nicht weiß, ob man lachen darf. Denn die Protagonisten geraten immer wieder in den Disput – und die Bissigkeiten und der Zynismus in den Aussagen der Charaktere greifen eben doch die Lachmuskeln an. Oftmals hängt dieser Humor mit der eigenen Erfahrung zusammen: Wenn der Wanderrucksack nicht richtig sitzt und darüber gemeckert wird, mag das für Außenstehende eine Lappalie sein – doch kann ebenso zum Tropfen werden, der das Fass zum Überlaufen bringt. Das Stück schafft es, das Publikum direkt in seine Mitte zu holen. Und lässt Banalitäten auf nachvollziehbare Weise zu Zunder werden. Gleichzeitig wird der Zuschauer dazu angeregt, in sich zu gehen, wenn Wittenstein das Modell der „heteronormativen“ Familie infrage stellt.
Vorstellungen am Wochenende
Die Bühne kommt derweil mit wenigen beziehungsweise ohne Requisiten aus. Ein Stil, den Regisseurin Christiane Kreuchauff geprägt hat. Zwei Sequenzen werden wiederum über einen Film erzählt; das Stück spielt mit dem Fokus des Publikums. „Während viele Stücke auf Kommunikationsfehlern basieren, geht es hier um die reine Kommunikation“, meint Besucherin Alexandra Kapelle beeindruckt. Dass dabei der Zuschauer am Ball bleibt und sich gleichzeitig unterhalten fühlt, gebe es nicht oft. Gast Timm Dörfelt findet: „Man erkennt sich selbst oft wieder – ein sehr kurzweiliges Stück.“
Theaterchef Reiner Wagner, der sich um den Einlass in den abgesperrten Teil des Harmonieplatzes gekümmert hat, ist ebenso zufrieden mit der Premiere: „Wir hatten rund 50 Besucher da – das ist großartig.“ Wie schon im vergangenen Jahr gilt: Wer sich zwischendurch einen Snack oder ein Getränk holen will, muss seine Maske aufsetzen, die er am Platz wieder abnehmen kann. Die Karten für das Stück kosten 15 Euro und sind im Vorverkauf so begrenzt, dass im Falle schlechten Wetters die Veranstaltung nach innen gelegt werden kann. Bei gutem Wetter gibt es weitere Karten an der Abendkasse. Gespielt wird an den kommenden Samstagen am 14., 21., und 28. August. Beginn ist jeweils um 20 Uhr. (Von Lisa Schmedemann)