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Kampf gegen die Tränen

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Von: Anna Scholze

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Vor Ort im Einsatz: Der Medienproduzent Talha Mohammad (links) und Notfallmediziner Tariq Qazi unterstützen die Menschen in einer Zeltstadt in Antakya.
Vor Ort im Einsatz: Der Medienproduzent Talha Mohammad (links) und Notfallmediziner Tariq Qazi unterstützen die Menschen in einer Zeltstadt in Antakya. © privat

Eine Mutter weckt in den frühen Morgenstunden des 6. Februar in Antakya ihre Tochter. Sie soll schnell das Haus verlassen. Die Straße erreicht das Mädchen alleine, bevor ihre Familie unter dem Gebäude begraben wird.

Dietzenbach – Es sind solche Geschichten, die den freiwilligen Helfern Tariq Qazi und Talha Mohammad während ihres Aufenthaltes im türkischen Erdbebengebiet die Tränen in die Augen treiben. Ihre Betroffenheit allerdings schlucken die Dietzenbacher derzeit runter. Sie wollen nicht vor jenen weinen, die alles verloren haben. Zumal diese meist noch nicht realisiert haben, welches Schicksal sie getroffen hat. „Das Mädchen hat kurz zuvor noch gelacht“, sagt Mohammad.

Er und Qazi sind am vergangenen Sonntag mit der Hilfsorganisation Humanity First in Antakya angekommen. Während Mohammad als Medienproduzent vor allem für die Dokumentation der Arbeiten vor Ort zuständig ist, leistet Qazi als Arzt medizinische Hilfe. „Eine Versorgung, so wie wir sie aus unseren Notaufnahmen kennen, gibt es hier derzeit nicht“, verdeutlicht er. Viele Mediziner, die sich vor dem Unglück um die Menschen gekümmert hätten, seien nicht mehr da. Außerdem sei das örtliche Krankenhaus völlig überfüllt. Um für etwas Entlastung zu sorgen, haben sich die beiden mit dem Team von Humanity First in der Zeltstadt bei Antakya niedergelassen. Hier kümmern sich Qazi und die übrigen Ärzte um alle, die ambulant behandelt werden können.

Allerdings werden die Menschen bei ihnen auch mit schwerwiegenden Blessuren vorstellig. „Zu uns kam ein Mann mit einer großen Wunde, die er sich bei dem Erdbeben zugezogen hat“, erzählt der 39-Jährige. Die Verletzung sei nur provisorisch versorgt gewesen und habe nicht gut ausgesehen. Nachdem die Ärzte sie professionell verbunden hatten, hätten sie dem Mann dringend empfohlen, ein Krankenhaus aufzusuchen. Denn es habe die Gefahr einer Blutvergiftung bestanden. Dabei waren die Mediziner in dem Zeltdorf in den vergangenen Tagen auch dazu gezwungen, zu improvisieren, so etwa bei einem Patienten mit Herzrhythmus-Störung. „Wir hatten nicht alle Medikamente da, die wir gebraucht hätten“, berichtet Qazi. Sie seien mit ihm dann schnellstmöglich in ein Krankenhaus gefahren. Die Liste mit den fehlenden Arzneimitteln hätten sie indessen an die türkische Katastrophenschutzbehörde Afad weitergegeben. Diese versuche, sie zu besorgen, etwa aus den zerstörten Apotheken.

Tariq Qazi und Talha Mohammad betonen jedoch immer wieder, dass ihre Erzählungen die grausame Realität nicht in Gänze abbilden können. So versucht etwa Mohammad, die Situation in Antakya zu beschreiben, er sagt: „Als wir in die Stadt reingefahren sind, war es wie eine Geisterstadt. Niemand war mehr da.“ Es sei wie in einem Film gewesen. Mehr Worte hat er für das Erlebte nicht, zu viele Eindrücke kreisen durch seinen Kopf. Darunter auch solche von dem großen Zusammenhalt und der Hilfsbereitschaft jener Menschen, die im Erdbebengebiet geblieben sind. So berichtet auch Qazi, dass die Türken vor Ort sehr bemüht seien, auch für die Helfer Essen zu kochen. „Das ist unter den Umständen eine wahre Heldentat“, macht er deutlich.

Ebenso überwältigt von der Hilfsbereitschaft der Leute sind auch die Vorstandsmitglieder des Helete Sport- und Jugendvereins. An ihrer Hilfsaktion, bei der sie Sachspenden gesammelt haben, haben sich nach ihren Aussagen in der vergangenen Woche rund 700 Menschen beteiligt. „Es gab Frauen, die selbst Angehörige verloren haben und dennoch mit Tränen in den Augen und dem Handy in der Hand Kisten gepackt haben“, sagt Schriftführerin Nermin Küpelikilinc. Besonders berührt hat die Vereinsspitze ein kleiner Junge, der mit seinem Sparschwein in die Vereinsräumlichkeiten gekommen ist, um zu spenden. Leider habe er ihnen seinen Namen nicht verraten, dabei würden sie sich gerne bei ihm bedanken, sagt Küpelikilinc. Insgesamt hat die Vereinigung bisher sieben Lastwagen mit Hilfsgütern in das Erdbebengebiet geschickt. Ein achter wird sich am kommenden Mittwoch in die betroffene Provinz aufmachen.

Bis Dienstagabend können noch weiter Spenden in der Robert-Koch-Straße 1a abgegeben werden. Genaue Infos gibt es auf der Facebookseite des Vereins. „Danach werden wir nur noch Geldspenden sammeln“, sagt der Vorsitzende Bilal Barak. Bisher seien bereits rund 50 000 Euro zusammengekommen. Das Geld will der Verein hauptsächlich an ein Waisenhaus und ein Altenpflegeheim übergeben. Tariq Qazi und Talha Mohammad hingegen werden heute im Laufe des Tages nach Deutschland zurückkehren. (von Anna Scholze)

Spendenkonto:

Helete Jugend- und Sportverein e.V.

IBAN: DE62 5005 0201 1247 2352 10

BIC:HELADEF1822

Frankfurter Sparkasse

Verwendungszweck: Erdbeben Türkei/ Helete

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