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Konzertlesung „Es gab in Auschwitz keine Vögel“ mit Autorin Monika Held

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Von: Barbara Scholze

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Finden Worte und Töne, um den Holocaust zu beschreiben: Autorin Monika Held und Kontrabassist Gregor Praml.
Finden Worte und Töne, um den Holocaust zu beschreiben: Autorin Monika Held und Kontrabassist Gregor Praml. © scho

„Es gab in Auschwitz keine Vögel“. Diese Worte bilden nicht nur den Titel einer Konzertlesung der Autorin Monika Held und des Kontrabassisten Gregor Praml. Sie sind auch die erste Aussage der eingespielten Original-Erzählungen des Ausschwitz-Überlebenden Hermann Reineck, verstorben im Jahr 1995. Er habe intensiv aufgepasst, führt die Stimme vom Band aus.

Dietzenbach – „Aber kein Vogel war zu hören - Totenstille“, sagt der Zeitzeuge. Totenstill ist es zu diesem Zeitpunkt auch im Theater Schöne Aussichten, wohin der Ortsverband der Awo zu der Konzertlesung eingeladen hat. „Wir machen jetzt gemeinsam eine Reise“, kündigt Held an. Als Journalistin hatte sie im Jahr 1979 Hermann Reineck kennengelernt. Kurz zuvor hatte er mit weiteren Überlebenden die „Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer“ gegründet. Seine Geschichte hat die Autorin schließlich in dem Buch mit dem Titel „Der Schrecken verliert sich vor Ort“ verarbeitet. Aus Hermann Reineck wird dort der fiktive KZ-Häftling Heiner Rosseck, aus Reinecks Frau Anni wird Lena. Dabei geht Held in der Erzählung weit über die Lagerzeit hinaus. Sie entwickelt viel mehr die Lebensgeschichte von Heiner und Lena, die sich anlässlich der Frankfurter Auschwitzprozesse in den 1960er Jahren kennenlernen.

Während der Lesung verweben sich die Reineck-Berichte vom Band, die Schilderungen, mit denen Monika Held das grauenvolle Lagerleben von Heiner Rosseck beschreibt und die Pramlsche Musik. Rosseck ist Kommunist und wird im August 1942 in Wien verhaftet. Bereits bei den Verhören habe er sich „schlagen lassen, aber nicht gesprochen.“ Im November wird er mit dem Vermerk „R.U.“, „Rückkehr unerwünscht“ nach Auschwitz transportiert. Held liest: „Dort haben die Toten wie Abfallhaufen auf der Straße gelegen, ein bizarrer Berg aus Gliedern und zerschmetterten Köpfen.“

Dabei sind es nicht nur solche Beschreibungen, die das Publikum im gut gefüllten Raum des kleinen Theaters betroffen machen. Es ist ebenso die eindringliche Musik von Gregor Praml am Kontrabass. Findet der Musiker doch für jedes Wort den richtigen Ton. Er arbeitet mit Bogen und Händen, mal ist es eine Sequenz, mal ein Klang, der lange nachhallt. Unterdessen nimmt die Geschichte ihren Gang. Protagonist Rosseck wird zum Schreiber im Krankenhaus des Stammlagers ernannt, seine Aufgabe ist es, Krankheiten zu erfinden, die als Todesursache gelten. Im Jahr 1964 sagt Rosseck, ebenso wie der echte Zeitzeuge Reineck, dann in den Frankfurter Ausschwitzprozessen aus. Der Prozess sei eine große Belastung für ihn gewesen, bekennt er. „Ich konnte nicht reden und es sind Tränen geflossen.“ Belastet habe ihn vor allem die Wahrheitssuche auf rein juristischer Basis, etwa die Fragen nach Entfernungen, nach dem Wetter und der Position der Türen. Aussagen muss er auch zu dem unfassbaren Tun des SS-Sanitäters Josef Klehr, berühmt für das „Abspritzen“ der Lagerhäftlinge mit tödlichen Phenolinjektionen. „Die meisten waren so schwach und im Kopf so mürbe, dass sie sich still umbringen ließen.“

Am Ende sind es weit mehr als eine Million Menschen, die in Auschwitz grauenvoll den Tod finden. „Bald wird es keine Überlebenden des Holocausts mehr geben, und wer erzählt dann?“, fragen Held und Praml. So richte sich ihre Konzertlesung vor allem an die Jugend, die beiden Künstler sind für Besuche in Schulen ansprechbar. Schließlich sei der Bezug nie aktueller, verweisen sie auf die AfD. Indes erklingt am Ende der Konzertlesung der Beifall trotz der hervorragenden Leistung nur verhalten. „Wir kennen das“, sagt Praml. All das Gehörte und Empfundene sei schließlich nicht geeignet, ein begeistertes Klatschen auszulösen. (Von Barbara Scholze)

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