Kirschkernspucken trifft auf Pfeilewerfen

Mit weit geöffneten Augen starre ich die bunte Zielscheibe an. Gelb ist meine Lieblingsfarbe und ins Gelbe soll ich jetzt auch schießen. Meine Finger umklammern ein metallenes Blasrohr, das ich waagerecht vor meinen Mund halte. Meine Lippen presse ich dabei an das rote Mundstück. Jetzt muss ich nur noch kräftig pusten, damit sich der kleine Pfeil, der im Rohr steckt, löst und hoffentlich direkt in die Mitte der Zielscheibe fliegt.
Dietzenbach – Ums treffsichere Pusten geht es bei der noch jungen Hallensportart Blasrohrschießen. „So ähnlich wie Kirschkernweitspucken“, erklärt Trainer Oliver Weck von den Dietzenbacher Tellschützen. Er zeigt den Trainings-Teilnehmern um mich herum in der großen Halle des Dietzenbacher Schützenvereins, mit welchen Strategien sie die grüne Pfeilspitze aus stolzen sieben Metern Entfernung in den gelben Kreis der Zielscheibe blasen können. Wichtig ist, die Beine müssen parallel stehen. Ein Ausfallschritt ist verboten. Wichtig ist auch, das ovale Mundstück so anzusetzen, dass die maximale Luftmenge durch das Blasrohr gedrückt werden kann und nichts an der Seite entweicht. „Und zwischendrin immer Pause machen, damit man nicht hyperventiliert“, rät Oliver Weck.
Diesen Tipp nehme ich mir zu Herzen, denn im Trainingsverlauf muss ich insgesamt 60 Pfeile durch mein 1,20-Meter-Rohr pusten. Obwohl während des Zielens höchste Achtsamkeit geboten ist, damit niemand verletzt wird, zählt das Blasrohr nicht als Waffe. Auch Kinder ab fünf Jahren, oder eher gesagt „sobald sie vernünftig pusten können“, sagt Weck, dürfen mittrainieren. Bis zehn Jahre wird aus fünf Metern Entfernung geschossen. „Blasrohrschießen ist eine tolle Familiensportart“, schwärmt der Trainer.
Bei meinen ersten Versuchen erinnert mich das alles ein wenig an Dartspielen. Vor allem das Bild, wie die Pfeile in der Zielscheibe stecken und dann abgezogen werden müssen. Zwar wird mit der eigenen Puste geschossen und nicht mit den Händen geworfen. Aber das macht es für mich umso spannender. Meine ersten drei Pfeile fliegen unsicher unter die Zielscheibe. Doch schon mein vierter Schuss trifft genau in die gelbe Mitte. Damit habe ich nicht gerechnet und jubele vor Überraschung und Freude laut los. „Man kann relativ schnell Erfolge erzielen“, sagt Oliver Weck amüsiert. Nicht nur der Spaßfaktor, auch Konzentration, Geschicklichkeit und Atmung kommen beim Training nicht zu kurz. „Die Kunst ist, beim Abschießen nicht zu wackeln“, kommentiert er, als mein nächster Pfeil rechts an der Zielscheibe vorbeizischt.
Kennengelernt hat Oliver Weck das Blasrohrschießen 2018 bei den Deutschen Meisterschaften der Schützen in München – und war sofort schockverliebt. „Zwei Jungs vom Deutschen Schützenbund haben das vorgestellt und ich dachte: „Das ist ja ‘ne lustige Sache, macht Spaß, ist einfach zu erlernen und für alle Altersklassen geeignet.“ Zurück in Dietzenbach hat er die neuartige Sportart sofort in den städtischen Schützenverein gebracht, die seitdem auf großen Anklang stößt.
Die Hürden sind niedrig: Für die gesamte Ausrüstung, zu der das bis zu 1,70 Meter lange Blasrohr mitsamt Mundstück, Pfeilen und Reinigungsset gehört, werden nur 70 Euro fällig. Außer ein bisschen Konzentration und der richtigen Strategie braucht es nichts. Schnupperer bekommen die Ausrüstung kostenlos vom Schützenverein gestellt.
Ich übe weiter: Meine Füße stelle ich nebeneinander, während ich den kleinen Pfeil in mein Blasrohr setze, bis ein lautes „Klack“ ertönt. Nun hebe ich mein Rohr und bringe es in eine Linie mit der Zielscheibe. Wenn man beide Augen weit aufmacht, erscheinen plötzlich zwei Rohre, hat mir Weck erklärt. Und wirklich. Das Rohr teilt sich und ich platziere die gelbe Scheibe genau in der Mitte. Natürlich ohne mit dem Rohr zu wackeln. Zack – in Windeseile schießt mein Pfeil aus dem Blasrohr heraus und in die Mitte der Zielscheibe. Wenn es so weiter geht, kann ich mich bald bei einem Wettbewerb anmelden.
Auch die Tellschützen haben im November den Ersten Dietzenbacher Blasrohrcup veranstaltet, an dem 30 Schützen teilnahmen. Das große Potenzial der Sportart hat auch der Deutsche Schützenbund erkannt: Ab dem nächsten Jahr wird das Blasrohrschießen eine offizielle Disziplin mit festen Regeln. Pünktlich zum zweiten Blasrohrcup in Dietzenbach.
Ein weiterer Höhepunkt soll das Osterferiencamp im Schützenverein sein: „Wir wollen mit den Kindern die Blasrohre selbst bauen mit Alurohren und 3-D-Druckern. Auch die Pfeile basteln wir selbst. Und danach schießen wir natürlich“, kündigt Oliver Weck an. (Lisa Mariella Löw)
Informationen: Wer die Sportart testen möchte, kann sich per E-mail an vorsitzender@tell-schuetzen.de wenden. Das Training findet freitags um 17 Uhr im Dietzenbacher Schützenhaus (Raiffeisenstraße 1) statt.